Fahrgemeinschaften Einer geht noch
Die Straßen sind ausgelastet - im Gegensatz zu den Autos. Dabei helfen Fahrgemeinschaften, Geld zu sparen, Staus zu vermeiden und die Umwelt zu schonen. Besetzte Beifahrer- und Rücksitze könnten die einfachsten Lösungen für die großen Verkehrsprobleme unserer Zeit bieten.
Florian Rau fährt jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit, von Hamburg-Ohlsdorf nach Neumünster, eine Stunde hin und eine Stunde zurück. Wann immer es geht, nimmt er dabei Leute mit. "Ich spare damit Benzinkosten und lerne Menschen kennen", sagt der 33-Jährige. Seine Begleitung findet er auf dem Internetportal Mitfahrgelegenheit.de.
Drei- bis viermal pro Woche bekommt er Anfragen von Mitfahrern, die in seinen Skoda Fabia Kombi einsteigen möchten. Eigentlich noch zu wenig, findet er. "Ich hätte gerne jemanden, der regelmäßig mitfährt, aber bislang habe ich noch keinen anderen Pendler für diese Route gefunden", sagt der 33-Jährige.
Das ist schade - und zwar nicht nur für Florian Rau: Fahrgemeinschaften bieten die einfachsten Antworten auf die großen Fragen, die Autofahrern und Verkehrsplanern den Kopf zerbrechen.
Stau, Spritpreise, Stress und CO2-Belastung? Wenn sich vier Autofahrer zusammenschließen, schieben sich drei Fahrzeuge weniger über die Straßen, es bleiben drei Parkplätze frei, drei Mitfahrer erscheinen entspannter zur Arbeit, jeder zahlt nur ein Viertel der Benzinkosten und der Abgasausstoß wird ebenfalls stark reduziert.
Aber wie das mit einfachen Antworten so ist: Sie haben meistens einen Haken. Fahrgemeinschaften sind da keine Ausnahme.
Fahrgemeinschaften sind Vertrauenssache
Florian Rau kann die Vorbehalte gegen Fahrgemeinschaften sogar nachvollziehen. "Das Auto ist ein abgegrenzter Raum, und viele Fahrer wollen nicht so eng mit einem Fremden zusammensitzen. Und als Mitfahrer kennt man ja weder das Auto noch das Fahrverhalten des Fahrers."
Die Angst, an einen rücksichtslosen Raser oder einen Sonntagsfahrer zu geraten, schreckt viele ab. Und wer ungern Small Talk hält oder sich davor fürchtet, mit Belanglosigkeiten zugeschüttet zu werden, zieht die Isolation des eigenen Autos vor.
Autofahren: Das verheißt doch schließlich Freiheit und Flexibilität. Fahrgemeinschaften werden bereits dann unsexy, wenn der Mitfahrer das Radio leiser stellen möchte. So denken offenbar viele. Wenn man sich morgens und abends mit dem Auto durch den Berufsverkehr schiebt und ein Blick hinter die anderen Windschutzscheiben wirft, sieht man jedenfalls selten genug Beifahrer, geschweige denn Passagiere in der zweiten Reihe.
"Derzeit sitzen 90 Prozent der Autofahrer in Deutschland alleine in ihrem Wagen", sagt Sascha Müller, Projektleiter der Arbeitsgemeinschaft Pendlerservice. Die AG wird von Bundesländern, Verkehrsverbünden und Städten getragen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Fahrgemeinschaften zu fördern.
Dass Müller trotzdem Hoffnung schöpft, liegt an den jüngeren Autofahrern. "Da wächst eine Generation heran, die mit sozialen Netzwerken im Internet groß geworden ist. Die pflegen eine spontanere Kommunikation als die heute 40-Jährigen", glaubt er.
Gibt es zu viele Angebote?
Auf der Webseite pendlerservice.de sind über ein Dutzend Internetplattformen für Fahrgemeinschaften - vor allem auch für Berufspendler - aufgelistet, zudem kann man sich informieren, wie man Fahrtkosten berechnet, ob man als Mitfahrer die Pendlerpauschale erhält und wie der Versicherungsschutz geregelt ist.
Die Vielzahl der Pendlerbörsen sind für Müller Fluch und Segen zugleich: "Einerseits liefern sie den Beweis für die große Nachfrage nach Fahrgemeinschaften. Andererseits verstreuen sich die Leute auf viele verschiedene Seiten - dadurch erreichen viele Angebote nicht die kritische Masse an Mitgliedern."
Trotzdem rechnet er damit, dass sich immer mehr Menschen für Fahrten zusammenfinden werden. In dem Prinzip Fahrgemeinschaft sieht er sogar die Rettung für Kommunen und Landkreise. "In einigen ländlichen Gegenden wird der öffentliche Nahverkehr nicht mehr lange finanzierbar sein", sagt er, "dort könnten Fahrgemeinschaften in Zukunft Bus und Bahn ersetzen. In Ballungsgebieten sind die Kapazitäten des ÖPNV dagegen oft ausgereizt, auch hier müssen Alternativen geschaffen werden."
Unternehmen unterstützen die Idee
Dass Fahrgemeinschaften nicht nur für die öffentliche Hand, sondern auch für die Privatwirtschaft interessant sind, zeigt ein Blick nach Südwestdeutschland. In Karlsruhe nutzen fünf Unternehmen, darunter Siemens und ENBW, die Dienste von PocketTaxi.
Das Start-up hat eine weitere Plattform für Fahrgemeinschaften programmiert. In diesem Modell bezahlen die Unternehmen einen bestimmten Beitrag für die Nutzung der Plattform. So ist beispielsweise für die Siemens-Mitarbeiter in Karlsruhe der Service dann kostenlos.
"Wir konzentrieren uns auf kurze Strecken, die spontan gefahren werden", erklärt Patrick Novinsky von PocketTaxi den Unterschied zu anderen Portalen. "Die Idee ist, dass man sich als Berufspendler erst kurz, bevor man das Haus verlässt, um eine Fahrt kümmert und von unserem System sofort eine passende Gelegenheit zugewiesen bekommt."
Als Fahrer gibt man bei PocketTaxi unter anderem an, welchen Umweg man in Kauf nehmen würde. Mitfahrer listen Zeit und Treffpunkt auf und bekommen darauf passende Angebote angezeigt. Der Kontakt läuft über das System - der Fahrer muss Anfragen nur noch per Klick bestätigen, ohne weitere Absprachen zu treffen.
"Die Technologie funktioniert, jetzt brauchen wir nur noch genug Teilnehmer", sagt Novinsky. Bislang seien rund 700 Pendler auf der Plattform registriert und nutzen die PocketTaxi-App. "Es kommen einige Fahrgemeinschaften zustande, aber es gibt noch nicht so viele Fahrer, dass man sich darauf verlassen kann, spontan jemanden zu finden."
Freie Fahrt als Belohnung
Die PocketTaxi-App ist nur ein Beispiel unter vielen: Die Möglichkeiten, eine Fahrgemeinschaft zu bilden, scheinen nie besser gewesen zu sein. Was muss jetzt passieren, damit sich die Plätze in den Autos füllen? "Der Leidensdruck muss wohl noch steigen, durch hohe Benzinpreise oder strengeres Parkplatzmanagement", vermutet Sascha Müller.
Einen der wenigen Anreize in Deutschland bieten die Parkplätze für Berufspendler an Autobahnanschlussstellen. Auf den Highways der USA gibt es dagegen sogar Fahrspuren für Fahrgemeinschaften. Die sogenannten HOV-Lanes ("High Occupancy Vehicle") sind für Fahrzeuge mit zwei oder mehr Insassen reserviert. Autofahren und Freiheit: in Zukunft wohl immer öfter ein Gemeinschaftserlebnis.