Belastung für Kommunen Die Waisenräder
Sie blockieren Parkplätze und verschandeln die Städte: Deutsche Kommunen ziehen in den Kampf gegen herrenlose Fahrräder, die abgestellt wurden und verrotten. Doch manches Wrack bekommt eine zweite Chance.
Zwei Mitarbeiter des Fahrradkontrolldienstes patrouillieren ständig in Münster. Ihr Auftrag: die Erkennung von Fahrradleichen. Wie viele andere deutsche Städte kämpft Münster gegen Hunderte Rostruinen, die knappen Parkraum blockieren oder den Ordnungssinn der Bürger provozieren.
"Man sieht täglich Räder, die wahrscheinlich nicht mehr bewegt werden", sagt der Leiter des Dienstes, Bernhard Korthues. Der Vorderreifen ist platt, die Kette hängt schlaff, Rost löchert den Rahmen. Doch reichen die Indizien, um ein Fahrrad für Schrott erklären zu können?
Wie lassen sich Waisenräder von jenen zu unterscheiden, die nur auf Reparatur warten? Korthues benötigt eindeutige Beweise.
"Wir warten eigentlich nur darauf, dass sie irgendwann Moos ansetzen", sagt er. Erst was aussieht wie Abfall wird losgeschnitten und entsorgt. "Das Rad muss sichtbar nicht mehr benutzbar sein", sagt der Kölner Stadtsprecher Jürgen Müllenberg - auch in seiner Stadt fahnden Patrouillen verstärkt nach Zweiradwracks.
Letzte Warnung per Banderole
Täglich ziehen die Fahrradfahnder in deutschen Städten Hunderte Räder aus dem Verkehr; mit Schneidbrennern öffnen Inspekteure die Schlösser. In Hamburg waren es im vergangenen Jahr 3000, in Berlin mehr als 2500, in Köln mehr als 1800. Korthues und seine Kollegen entsorgten in der Studentenstadt Münster rund 900 Räder, und mehr als 200 Schrottexemplare waren es in Freiburg.
Die meisten Städte geben eine letzte Warnung, bevor sie ein Fahrrad abräumen. In Köln, Freiburg, einigen Berliner Bezirken und in Hamburg künden neonfarbene Banderolen von der letzten Frist bis zur Entsorgung. Die Banderolenlösung habe sich bewährt, sagt René Filippek vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC). Allerdings würden die Zettel mitunter als Aufforderung zum Plündern missverstanden.
Jedoch bremst ein rechtliches Problem die Wrackpatrouillen vor dem Anbringen der Warnbanderolen: Auf öffentlichen Plätzen gibt es keine Höchstparkdauer - Fahrräder einfach wegzunehmen wäre illegal. Solange Räder rollen können, müssen sie stehen bleiben.
Erst wenn Fahrräder platt sind, oder aus anderen Gründen nicht mehr fahren können, parken sie nicht im rechtlichen Sinne - die Räder gelten als Abfall, sie sind mithin keine Fahrzeuge mehr. Die Ordnungskräfte argumentierten, dass es sich bei Abfall um eine unerlaubte Sondernutzung des öffentlichen Raumes handelte, erläutert Filippek.
Zweite Chance fürs Waisenrad
Ständig kämen Beschwerden über hässliche Rostruinen, nicht nur von Einheimischen, auch von Touristen, erzählt die Rathaussprecherin von Freiburg im Breisgau, Martina Schickle. Suche und Räumung der Schrotträder stelle für Kommunen mittlerweile einen erheblichen finanziellen und personellen Aufwand dar, heißt es beim Städte- und Gemeindebund.
Parkraum für Räder sei ohnehin schon knapp, mahnt Ulrike Saade von der Dienstleistungsagentur Velokonzept. An stark frequentierten Fahrradständern in Bahnhofsnähe oder vor studentischen Einrichtungen müsse deshalb über eine zeitliche Begrenzung der Parkdauer nachgedacht werden. "Räder, die länger als zwei Wochen dort stehen, könnten dann abgeschleppt werden, ohne dass sie schrottreif sind", sagt Saade.
Münster versucht einen anderen Weg, um dauerparkende Exemplare aus dem Weg zu schaffen: Regelmäßig kündigt die Stadt auf Schildern das große Putzen rund um zentrale Fahrradständer an. Räder, die bei der Reinigungsaktion im Weg sind, werden umgesetzt oder zur Fahrradfundstation gebracht.
"Das hat den positiven Begleiteffekt, dass wir Radleichen herausfischen", sagt Korthues - jene, die nicht abgeholt werden. Besitzer, die ihr Fahrrad nicht aufgegeben hätten, meldeten sich hingegen meist. Was ein halbes Jahr vergeblich wartet, geht ins Eigentum der Stadt über.
Manches Waisenrad bekommt dann eine zweite Chance: Es wird versteigert oder zum Dienstrad der Kommune.
boj/dpa