Autos im Web 2.0 Pack den User in den Tank
Local Motors ist der wohl erste Web-2.0-Autohersteller: Unternehmensgründer Jay Rogers lässt Design, Marktforschung und Konstruktion komplett von einer Internetcommunity erledigen. Sieht so die Zukunft der Pkw-Branche aus?
Autoindustrie und Internet - das ist keine Liebesgeschichte. Während sich Manager anderer Branchen den Kopf darüber zerbrechen, was Phänomene wie offene Schnittstellen, soziale Netzwerke oder User-Feedback für ihr Geschäftsmodell bedeuten, arbeitet die Pkw-Branche im Wesentlichen noch genauso wie zu Zeiten Helmut Kohls.
Dabei könnten Daimler oder GM vom Silicon Valley einiges lernen. Doch wie meist bei großen Veränderungen, sind es nicht die Dickschiffe, die eine Branche neu erfinden - sondern Garagenbastler, Visionäre, Träumer.
Es gibt einen Mann, der alles in einem ist: der Amerikaner Jay Rogers. Er hat sich vorgenommen, die Prinzipien des Internets auf die Autoproduktion anzuwenden. Und er tut das so umfassend wie vermutlich sonst niemand auf der Welt.
Rogers ist PS-Freak, das liegt in der Familie: Sein Großvater gründete 1901 Amerikas erste Motorradfirma Indian, er selbst hat alte BMWs und einen Mercedes 280 SEL von 1970 in der Garage. Rogers war Captain bei den Marines, hat in Harvard studiert und bei McKinsey gearbeitet. Er könnte vermutlich problemlos einen Top-Job bei GM oder Ford bekommen.
60.000 Autodesigns gesammelt
Stattdessen ist er Vorstandschef des Start-ups Local Motors (LM). Die US-Firma möchte Autos bauen, was gemeinhin als schwieriges, kapitalintensives Unterfangen gilt. Normalerweise braucht man dazu gigantische Fabriken, Heerscharen von Ingenieuren und Autodesignern, sowie ein riesiges Vertriebs- und Händlernetz.
Jay Rogers sagt: "Das braucht man alles nicht mehr."
Rogers' 2008 gegründete Firma betreibt eine Web-Community und führt regelmäßig Designwettbewerbe durch, bei denen es Geldpreise zu gewinnen gibt. Über 60.000 Autoskizzen sind inzwischen online. LM betreibt zudem Foren für Technik und Produktion, inzwischen sind mehr als 6400 Menschen Mitglieder des PS-Netzwerks. Darunter sind laut Rogers viele Mechaniker und Industriedesigner, die es satt haben, für träge Großkonzerne zu arbeiten.
2008 stellte der kalifornische Designer Sangho Kim einen Entwurf online, der wie eine Kreuzung aus BMW X6 und Bigfoot-Truck aussah. Die Community war begeistert. Sie wählte Kims Vehikel zum coolsten Autodesign auf der Seite.
"Damit war entschieden, welches Auto wir zuerst bauen", sagt Rogers.
In zwei Jahren zum Beta-Vehikel
Alle bei LM veröffentlichten Designs lassen sich online weiterbearbeiten. Schon nach wenigen Tagen hatten andere Kreative Kims Entwurf optimiert, aspektualisiert, weiterentwickelt. Produktionsspezialisten wiesen auf Details hin, die in der Fertigung Probleme bereiten könnten. Fahrzeugingenieure entwarfen das komplette Chassis. "Nach 60 Tagen hatten wir das Ding durchgeplant", erinnert sich Rogers.
Anders als bei herkömmlichen Autofirmen geschieht all das öffentlich. Die Fans haben die Möglichkeit, früh eine Bindung zu ihrem Traumauto aufzubauen. Designschritte, Prototypen, Testfahrten - alles wird auf der LM-Seite und auf YouTube dokumentiert.
Knapp zwei Jahre nach Kims erstem Posting schießt der Prototyp des Vehikels - genannt Rally Fighter - durch die Wüste Nevadas. Bei großen Herstellern dauert so etwas fünf bis sieben Jahre.
Wie kann das sein? Rogers macht sich einen Umstand zunutze, der kaum jemandem bewusst ist: Nämlich dass die Autoindustrie, was ihre Fertigung angeht, zumindest ein bisschen Open Source ist.
Jeder kann von Zulieferern hergestellte Motoren, Antriebswellen oder Bremssysteme auf dem freien Markt erwerben. "Die passen im Prinzip zusammen." Selber bauen wäre für LM zu teuer: "Ein Rücklicht zu designen ist schon ein Millionen-Dollar-Projekt", sagt Rogers. Deshalb habe man eines von Mazda genommen, was aber kaum auffalle. In einer kleinen Fabrikhalle in Massachusetts bauen zehn Mitarbeiter die Autos dann zusammen.
"Wir sind Apple, nicht Porsche"
Es gibt derzeit hundert Vorbestellungen, der erste Rally Fighter wird im November dem Kunden übergeben. 500 Autos müsse man verkaufen, so Rogers, dann lohne sich die Sache. Konfigurieren kann der Kunde nichts. "Es gibt das Produkt nur in einer Ausführung. Da sind wir nicht wie Porsche, sondern eher wie Apple." Auch das reduziert die Kosten.
Den Titanen der Pkw-Industrie wird Rogers mit seinem Modell kurzfristig wohl keine Konkurrenz machen. "Ja, wir sind klein. Aber ist das schlecht?" Eine moderne Autofabrik, als Beispiel nennt Rogers Nissans Werk in Smyrna (Tennessee), koste rund 2,5 Milliarden Dollar. Seine Mikrofabrik, eine umgebaute Lagerhalle, habe 250.000 Dollar gekostet. "Ich kann also sehr viele davon bauen. Alle lokal, ohne später eine riesige Industriebrache zurückzulassen."
Nach dem Rally Fighter sind bereits weitere Modelle in Planung. Und wenn der Markt für im Web designte Autos irgendwann größer werden sollte als erwartet, dann will Rogers seine Mikrofabriken möglicherweise abschaffen und auf ein Modell umstellen, wie es etwa der Turnschuhhersteller Nike verwendet: LM würde sich dann nur noch mit der Umsetzung der Community-Designs und dem Marketing beschäftigen, die Produktion übernähme jemand anders - vielleicht einer der herkömmlichen Autohersteller: "Die haben schließlich reichlich Überkapazitäten."