Was ist Heimat? Zuhause auf der Rückbank
Mit dem Käfer in den Kindergarten, mit dem Taunus ans Meer: Die Kindheit auf dem Rücksitz hat Generationen geprägt. Auch weil Autos so unterschiedlich waren wie Länder, wurden sie zu einem Stück Identität, zur Heimat. Doch nun züchtet der Gleichheitswahn der Hersteller entwurzelte Pkw-Nomaden heran.
Was Automarken anging, war mein Vater ein Nomade. Ich habe lebhafte Erinnerungen daran, wie er während meiner Kindheit ohne erkennbare Markenloyalität, ohne klare stilistische Stoßrichtung Autos unter unserem Carport parkte. Dort standen jeweils nur für kurze Zeit ein VW Käfer Cabrio, Ein Saab 96, ein Golf 2 GTD, ein Saab 99 Turbo, ein Fiat Uno und ein Isuzu Trooper.
Ich weiß auch noch genau, wie wir im Sommer 1984 mit dem Saab 99 vier Wochen lang mit anderen Deutschen in einer Autokarawane durch Russland fuhren. Wie wir im Sommer im Käfer-Cabrio unterwegs waren, im Rücken das Rasseln des Vierzylinder-Boxermotors. Oder wie ich fasziniert über den Schaltknauf des Golf 2 GTD strich, der einem Golfball nachempfunden war, während mein Vater darüber dozierte, wie unfassbar gut der GTD für einen Diesel geht.
Mein Vater hat mir seine Begeisterung für Autos vererbt - und mir mit seinem Nomadentum im Reiche der Marken gleichzeitig die automobile Heimat genommen.
Sehnsucht nach der Heimat Auto
Mir ist das neulich erst klar geworden. In einem Gespräch mit Kollegen über automobile Wertanlagen kamen wir auf den Volvo 850 T5 zu sprechen. "Volvo", sagte einer der Anwesenden, "Volvo ist geil". Dabei glänzten seine Augen, sein Blick bekam etwas Sehnsüchtiges.
Man kann ja über Volvo vieles sagen, es sind grundsolide Autos, sie gelten als sehr sicher, sehr zuverlässig, das Design ist eher praktisch und schnörkellos. Wenn man ein Synonym für automobile Vernunft wählen müsste, würde man wahrscheinlich einen Volvo nehmen. Aber "geil"? Wohl kaum.
Sie hätten immer Volvos gefahren, sprudelte es aus dem Kollegen heraus. Er könne sich noch genau an die langen Fahrten in den Urlaub erinnern. Während er erzählte, war er regelrecht beseelt - durch Erinnerungen an einen Volvo, wohlgemerkt.
Weinen wegen eines Motorschadens
Und dann erzählte er eine Geschichte, die uns alle tief berührte. Eines Tages erlitt der brave Volvo 245 einen Motorschaden. Zusammen mit seinem Vater fuhr der Kollege von Kiel nach Hamburg. Dort kauften sie einen gebrauchten Motor, den sie auf einem Anhänger wieder zurück nach Hause transportierten. Dort sollte das Spenderherz dem gestrandeten Schweden eingepflanzt werden.
Bei der schwierigen Operation half ein Freund der Familie, der Kfz-Mechaniker war. Mein Kollege stand etwas abseits, als er plötzlich sah, wie sein Vater zu weinen begann. Der Mann stand einfach vor dem ausgeweideten Volvo und heulte. Was war passiert?
Der alte Motor hatte nach seinem Ausbau den Blick auf die Motor- und Längsträger freigegeben. Die waren durchgerostet, unrettbar vergammelt. Die schonungslose Diagnose des kundigen Freundes: Das Auto war tot. Die Erschütterung, die damals durch die Familie gegangen sein musste, konnte man noch heute spüren.
Die Automobilnomaden kommen
Für mich war das neu. Ich habe so etwas nie erlebt. Die Autos kamen und gingen, sie haben mich mehr oder weniger begeistert, doch ans Herz gewachsen sind sie mir nicht. Sie wurden für mich nie zu einer Heimat, wie es der Volvo für den Kollegen war.
Seit diesem Gespräch denke ich oft an das Auto als Heimat. Vor allem, weil ich beobachte, dass dieses Phänomen langsam verloren geht - wenn es nicht schon verloren gegangen ist. Vielleicht sind die Kinder von heute die Automobilnomaden von morgen, so wie ich.
Das hat nicht nur damit zu tun, dass Autos heute durch Leasing und Carsharing-Modelle immer häufiger gewechselt werden. Viel entscheidender ist, dass die Fahrzeuge sich viel ähnlicher sehen. Früher waren Autos wie Länder. Jedes Land hat seine ganz eigene Topografie, seine eigene Sprache. Und jede Automarke hatte ihre eigene Art, Kunden zu ködern: die verwendeten Materialien im Innenraum, die Karosserieform, der Geruch, das Fahrverhalten, die Laufkultur der Motoren, der Preis. Die Autos einer Marke waren unverwechselbar, sie hatten etwas Identitätsstiftendes. Sie wurden zur Heimat.
Der Fluch der Gleichheit
Und heute? Das Diktat der Aerodynamik verhindert wirklich eigenständige Formen, die meisten Autos sind rundgelutscht im Windkanal. Innenausstattungen, Fahrdynamik, Geruch - alles auf einem ähnlich hohen Niveau. Hinzu kommt, dass heute irgendwie alle alles bauen. Daimler stieß mit der A-Klasse in die Niederungen der Käuferschichten vor, die man zuvor jahrzehntelang verpönt hatte. Nebenbei warfen die Stuttgarter alle Qualitätsansprüche, die sinnstiftend für die Marke waren, über Bord. Volkswagen strebte in die andere Richtung, Premium war das Gebot der Stunde, mit der Luxuslimousine Phaeton wollten die Wolfsburger im Revier von Mercedes wildern.
Indem Grenzen zwischen den Marken verschwinden, verschwindet auch das Heimatgefühl, das Autos vermitteln können. Die Kinder von heute werden in 20 oder 30 Jahren wohl kaum mit feuchten Augen über den Pkw reden, auf dessen Rückbank sie ihre Kindheit verbracht haben. So wächst eine Generation von Automobilnomaden heran. Eine Horde Heimatloser, so wie ich.
Vielleicht machen sie das, was ich gemacht habe. Als Kompensation. Vor wenigen Jahren kaufte ich mir eine gebrauchte Mercedes S-Klasse von 1987. Vor der stand ich als Kind immer staunend, linste durch die Seitenscheibe auf den Tacho, der bis 240 reichte und bewunderte die vielen Knöpfe für Sitzheizung, Fensterheber und weitere, scheinbar endlose Komfortextras.
Derzeit steht der Wagen abgemeldet auf dem Grundstück meiner Eltern. Hin und wieder überlege ich, ihn zu verkaufen. Aber ich bringe es nicht übers Herz. Das Auto war nie meine automobile Heimat. Aber es ist mein automobiles Traumland.