Geha vs. Pelikan Wettrüsten der blauen Wunder
Tintenflecken statt Tattoos: Der Schulfüller machte alle Pennäler zu Königsblauen, denn mit Federhaltern ließ sich in Freistunden prima Fechten, Schießen und Tischfußball spielen. Doch Klecks war nicht gleich Klecks - entscheidend war, ob er von einem Geha oder einem Pelikan stammte.
"German Hardcopy" stand auf dem Pappschächtelchen. Ich hatte die Tintenpatrone unachtsam in meinen Drucker gesteckt, aber als ich die Verpackung wegwarf, blieb mein Blick an der Abkürzung hängen: "Geha". Der reine Geiz hatte mich zum Kauf getrieben. Die Geha-Tinte war billiger als das Original von Epson. Und solange die Kartusche ihren Dienst tut: Tinte ist doch Tinte.
Vor 25 Jahren hätte ich das anders gesehen. Geha ging gar nicht. Und zwischen zwei Tintenklecksen konnten Welten liegen - je nachdem, aus welchem Füllfederhalter sie stammten. Meiner war ein Pelikano. Ich war ein Pelikankind und wusste mich damit auf der richtigen Seite. Katholisch oder evangelisch, Junge oder Mädchen, Oberdorf oder Unterdorf - das machte alles nichts. Meine Grundschulklasse war ein mustergültiges Toleranzkollektiv. Nur beim Füller, da hörte der Spaß auf. Die erste Gewissensentscheidung der noch jungen Generation Golf? Wahrscheinlich würden auch meiner damaligen Mitschüler heute laut aufjauchzen, wenn ihnen zufällig Büromittel der Marke Geha (respektive Pelikan) in die Hände fielen.
Denn "Geha gegen Pelikan" war ein kindliches Markenduell, ein Glaubenskrieg ums Alltäglichste aller Arbeits-Werkzeuge. (Vielleicht so wie heute PC versus Mac, nur viel, viel schmutziger!) Im vergangenen Jahr las ich in der Wirtschafts-Zeitschrift "Brandeins": "Die Wahl des Schulfüllers - üblicherweise Pelikan oder Geha - positionierte einen jeden gegenüber den Mitschülern." Dem ist rückblickend wenig hinzuzufügen. Außer vielleicht der Frage: Warum?
Konkurrierende Nachbarn
Das Füller-Paar zieht sich durch viele Storys, nicht bloß persönliche Grundschulerinnerungen: Deutsche Industriegeschichte, Wirtschaftswunder, Ergonomie in der Schule, Pädagogik im Industriedesign, sogar Hannoveraner Lokalkolorit liefert "P. vs. G." zuhauf.
Und schließlich gibt es da das Motiv des steten Wettrennens: Seit 1950 produzierte Geha den ersten Füller mit Tintenpatrone in Deutschland. 1959 zog Pelikan mit dem Pelikano nach, für dessen Design eigens Grundschullehrer befragt worden waren. Geha spendierte ein Sichtfenster auf den Rest-Tintenstand, Pelikan zog nach. Bis in die achtziger Jahre hinein war es ein Ringen um die Füller-Führerschaft in unmittelbarer Nachbarschaft.
Denn 1918 hatten die Brüder Heinrich und Conrad Hartmann (Geha steht für "Gebrüder-Hartmann-Werke") ihre Schreibwarenfabrik gleich neben den Hannoveraner Pelikanwerken von 1832 gegründet. Diese übernahmen 1990 den Stammsitz des Konkurrenten. Dabei war Pelikan selbst infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten und der Übernahme durch die Schweizer Metro-Handelskette 1983 kein kuscheliger niedersächsischer Mittelständler mehr. Inzwischen bestimmt ein Großaktionär aus Malaysia die Geschicke der Füllerfirma. Und der Geha-Füller blieb auf der Strecke.
Klarer Sieger und Verlierer? Nicht ganz, denn auch den Geha-Spross "German Hardcopy" hat sich die Pelikan-Holding vergangenes Jahr einverleibt. Beide stellen weiterhin unter anderem günstige Patronen für Tintenstrahldrucker von Fremdherstellern her. Büromittel-induzierte Anfälle von Griffel-Sentimentalität lauern also in fast jedem Schreibwarenladen.
Spielen, Schmieren, Matschen
Die Erinnerungen, die so ausgelöst werden können, sitzen fest und sind multisensorisch. In der Grundschule hatte man ja viel Zeit, sich die Anatomie des Füllers durch genaues Befingern bis aufs Letzte einzuprägen. Ich weiß noch, wie es satt klackte, wenn ich die metallene Kappe auf den blauen Plastikschaft meines Pelikano schob. Ich höre noch das ganz leichte Quietschen, wenn ich den Füller zu fest zusammengeschraubt hatte. Und das feucht-peinliche Gefühl, wenn die Spielerei dann doch wieder zum Tinten-Leck geführt hatte. Der Zeitvertreib meiner Unterrichtsstunden war königsblau.
Ein größeres Maß an Wartung habe ich keinem Gerät je zuteil werden lassen als meinem Schulfüller. Kappe ab, in der Mitte auseinander schrauben. Die Ersatzpatrone herausklopfen und dann - vorsichtig - die vordere Tintenpatrone herausziehen. Die musste aufrecht auf der Schulbank stehen, sonst gab es Sauerei. Lange bevor ich das Wort Zen zum ersten Mal buchstabierte, lernte ich, was wahre Kontemplation ist.
Pop statt Pädagogik
Man kann also darüber streiten, ob die Füller nun eher Lern- oder Spielzeug waren. Zumal sich die transparenten Plastikkügelchen aus leeren Patronen prima durch die Gegend schießen (Jungs) oder zu Dutzenden in einer einzigen leeren Plastikhülse sammeln (Mädchen) ließen. Außerdem wurden die Geräte des Geistes in den kleinen Pausen fürs Gefecht zweckentfremdet: Geha mit Pelikan gekreuzt, als seien es zwei Stummel-Degen. So wurden die Federn in unserer Fantasie zu Schwertern.
Dass dabei jemals eines der Modelle einen Vorteil gebrachte hätte, erinnere ich nicht. Nach vier Jahren jedenfalls war der Zauber meines pädagogisch wertvollen Füllers verflogen.
Denn am Gymnasium schrieben die coolsten der Mädchen schon ab der fünften Klasse mit Lamy, da hatten sowohl Geha als auch Pelikan das Nachsehen. Mit dem plumpen Ding zog - etwas verspätet - der Look der Achtziger ins Federmäppchen ein: Hochglanzplastik in den Donna-Summer-Farben Rot, Schwarz oder Weiß, auf der Kappe saß eine überdimensionierte Kreuzschraube, um den lackierten Drahtbügel zu halten. Das war Pop fürs Federmäppchen. Und bei Lamy war eine einzige Patrone fast so lang wie zwei von Geha und Pelikan zusammen.
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