Mauerfall Die wahren Revoluzzer
6. Teil: Wut: Uwe Schwabe über die Wut, die ihn auf die Straße brachte
"Der Großteil der Leute, die im Herbst 1989 zu den ersten Demonstrationen gekommen sind, waren nicht die Intellektuellen, nicht die Studenten. Es waren zum größten Teil normale Arbeiter, die hautnah jeden Tag den Untergang dieses Landes erlebt haben. Das waren Leute, die haben so die Nase voll gehabt, die wollten das nicht mehr."
Eigentlich war Uwe Schwabe, geboren 1962 in Leipzig, ein ganz normaler DDR-Bürger: Jungpionier, trug rote Halstücher, fuhr ins Ferienlager und ertrug die dortigen Pionierappelle. Es kam die Jugendweihe, das obligatorisch gesprochene Gelöbnis von der Liebe zur DDR war selbstverständlich.
Doch seine Mutter hatte ihn und seine drei Geschwister zur Selbstständigkeit erzogen. Selbst wenn sie ihn zu einer sozialistischen Person hätte machen wollen, sagt Schwabe, "sie hätte keine Zeit dazu gehabt".
Die Mutter war alleinerziehend und arbeitete im Dreischichtsystem in einem Großbetrieb. Nach Feierabend machte sie ihren Facharbeiterbrief in der Abendschule.
Anfang der Achtzigerjahre kam Schwabe immer wieder in Konflikt mit dem Staat. Als Lehrling hatte er sich geweigert, Mitglied der Gesellschaft für Sport und Technik zu werden, diese war für ihn nicht mehr als eine "paramilitärische Organisation", die Jugendliche auf den Militärdienst vorbereiten sollte. Erst nach heftigem Mobbing durch seine Lehrer trat er der Gesellschaft bei.
Ärger gab es auch, weil Schwabe nicht Mitglied der "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft" werden wollte, wie es bei seiner ersten Arbeitsstelle verlangt wurde, um die Prämie als "Kollektiv der Sozialistischen Arbeit" zu sichern. Schwabe wollte sich seine Freunde lieber selbst aussuchen - und wurde gänzlich ausgeschlossen.
Alles dies habe seinen Widerspruchsgeist geweckt, sagt Schwabe. Er wollte der gleichgeschalteten Uniformität etwas entgegensetzen. Er kündigte 1987, war arbeitslos, auf dem Weihnachtsmarkt verkaufte er Imbisse und Glühwein.
"Und es waren die Eltern der Kinder, die ausgereist sind, die den Mut hatten, diesen Weg zu gehen und gesagt haben: Ich mache hier nicht mehr mit."
Obwohl kein Christ, hatte er schon länger Kontakt zur Jungen Gemeinde der Nikolaikirche und beteiligte sich an deren Aktionen. Die Möglichkeiten der geistigen Freiheit, die die Kirche ihm bot, nahm er an. Er engagierte sich in der AG Umweltschutz und gründete 1987, weil ihm die Umweltproblematik allein nicht genug war, die Initiativgruppe Leben.
Ob Pleiße-Gedenkumzug (1988) oder Gegenprotest anlässlich der staatlichen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration (1989), Uwe Schwabe war dabei.
Wegen des Verteilens von Flugblättern wurde er im Januar 1989 für zehn Tage inhaftiert. Im Herbst 1989 engagierte er sich fürs Neue Forum und gründete das Archiv Bürgerbewegung, das wichtige Erinnerungsarbeit leistet. Heute ist er dessen Vorsitzender.
- 1. Teil: Die wahren Revoluzzer
- 2. Teil: Mut: Gesine Oltmanns über die Stasi-Gewalt
- 3. Teil: Demos: Katrin Hattenhauer über Theater und Musik bei den Protesten
- 4. Teil: Musik: Jochen Läßig über die entscheidende Demonstration
- 5. Teil: Kontakte: Kathrin Mahler-Walther über die Bedeutung der Telefone
- 6. Teil: Wut: Uwe Schwabe über die Wut, die ihn auf die Straße brachte
- 7. Teil: Klugheit: Wissenschaftler Jens Reich über die Stimmung, die alles ändern sollte
- 8. Teil: Keine Gewalt: Christoph Wonneberger über Unfreiheit und Perspektiven
- 9. Teil: Liebe und Zorn: Uwe Kulisch über verbotene Bücher