Neue europäische Leitlinie Ärzte forcieren Kampf gegen Bluthochdruck
Bluthochdruck tut nicht weh, deshalb unterschätzen ihn viele. Eine neue europäische Leitlinie soll die Therapie jetzt vereinfachen, um Schlaganfälle und Herzinfarkte zu verhindern. Kernziel: Die Patienten müssen mehr Verantwortung übernehmen.
Thomas Karl * hatte vor wenigen Wochen einen Schlaganfall. Er redet langsam und betont, man merkt ihm an, dass es ihn Mühe kostet. Seinen linken Arm kann er nur eingeschränkt nutzen, beim Gehen zieht er das Bein nach. Er sieht älter aus als 45 Jahre; Ursache des Schlaganfalls in so jungem Alter ist Thomas Karls hoher Blutdruck. Leider ist er kein Einzelfall.
Die Zahl der jungen Schlaganfallpatienten nimmt zu. Etwa 30 Prozent der Gesamtbevölkerung und über die Hälfte der älteren Menschen haben einen zu hohen Blutdruck. Doch die Krankheit wird von vielen Betroffenen nicht ernst genommen. Gut die Hälfte weiß noch nicht einmal von ihrem Bluthochdruck, denn anders als bei anderen Krankheiten haben die Patienten zunächst keine Beschwerden. Zudem behandeln nicht alle Ärzte konsequent genug. Dabei erhöht Bluthochdruck bei den weltweit rund 1,5 Milliarden Betroffenen nicht nur das Risiko für einen Schlaganfall, sondern zum Beispiel auch für einen Herzinfarkt und Schäden etwa an den Nieren.
Lebensstil im Vordergrund
Bluthochdruckspezialisten weisen darauf seit Jahren hin und wollen jetzt die Therapie verbessern. Beim gerade stattfindenden Kongress der Deutschen Hochdruckliga in Münster geht es deshalb unter anderem um die neuen europäischen Leitlinien zum Bluthochdruck von der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiology (ESC).
Die Leitlinien vereinfachen die Blutdruckzielwerte, rücken den Lebensstil der Patienten in den Vordergrund und geben Ärzten einen größeren Handlungsspielraum. Experten wie Florian Limbourg von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) halten die Neuerungen für sinnvoll: "Die Behandlung könnte dadurch einfacher und sicherer werden."
Künftig wird für alle Patienten ein Zielwert von weniger als 140 zu 90 Millimeter Quecksilbersäule (mmHg) angestrebt. Der galt bisher nur für einen Teil der Patienten. Bei Diabetikern, Nierenkranken und Patienten mit erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten galten bisher niedrigere Werte unterhalb von 130 zu 85 mmHg.
Der höhere Wert ist der sogenannte systolische Blutdruck. Die Systole ist der Pumpvorgang im Herzen, bei dem sich die Herzkammern zusammenziehen und das Blut in die Schlagadern drücken. Der systolische Wert gibt den Druck an, der während dieses Moments gemessen wird.
Der niedrigere Wert ist der diastolische Blutdruck. In der Diastole erschlaffen die Herzkammern und füllen sich mit Blut. Der diastolische Wert gibt den Druck an, der während dieses Zeitraumes besteht.
Messbar wird der Druck mithilfe des Stethoskops, eines Hörrohrs, dessen Membran über einer Schlagader (Arterie) auf die Haut gelegt wird. Treten beim Ablassen des Drucks aus der Blutdruckmanschette die ersten Geräusche auf, ist der systolische Druck erreicht, verschwinden die Geräusche wieder, zeigt das den diastolischen Wert an.
Die Einheit des Blutdrucks ist Millimeter Quecksilbersäule, abgekürzt mmHg nach dem chemischen Zeichen für Quecksilber (Hg).
Ab Werten von über 140/90mmHg sprechen Ärzte von Bluthochdruck (Hypertonie). Auch die wird noch einmal unterteilt in eine leichte Hypertonie (bis 160/90mmHg), eine mittelschwere (bis 180/110mmHg) und eine schwere Hypertonie bei noch höheren Werten.
Besonders bei älteren Menschen gibt es die isolierte systolische Hypertonie, bei der nur der obere Blutdruckwert über 140mmHg liegt, während der untere niedriger als 90mmHg bleibt.
Reicht das nicht oder leidet der Patient unter schwerem Bluthochdruck, verschreibt der Arzt Medikamente. Ein Mittel alleine reicht dabei häufig nicht aus, mehrere Wirkstoffe kombiniert wirken bei vielen Patienten besser. Und die meisten Patienten müssen ihre Tabletten lebenslang nehmen, weil der Blutdruck sonst wieder steigt.
Quelle: Deutsche Hochdruckliga e. V. Stand: Leitlinien 2008, Update 2011, Blutdruckgrenze 2013.
Wissenschafltlich gesicherte Empfehlungen
"Die neuen Leitlinien sind nicht wie die alten Leitlinien ein Expertenkonsensus. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass die neuen Leitlinien evidenzbasiert sind, das heißt, sie basieren auf Studienergebnissen. Die Therapie wird für die Ärzte einfacher", sagt Marcus Baumann vom Klinikum rechts der Isar an der Technischen Universität München.
Aus Sicht Jürgen Scholzes sind die neuen Zielwerte ein Schritt in Richtung Praktikabilität, denn nur ein Teil der Patienten schaffe es mit der Behandlung unter den Wert von 140 mmHg. "Das erzeugte in der Vergangenheit häufig Frustration bei Ärzten und Betroffenen", erzählt sein Kollege Baumann.
"Es wird einfach nicht individuell genug behandelt"
Mit den bisherigen Zahlen dürfe man sich laut Scholze nicht zufriedengeben: "Das Traurige ist, dass es bei gut 90 Prozent der Patienten möglich wäre, die Blutdruckwerte unter 140 zu 90 mmHg nebenwirkungsfrei abzusenken. Es wird einfach nicht individuell genug behandelt, Medikamente zu selten oder nicht gut genug kombiniert, und die Patienten müssten besser geschult werden, um mitzuarbeiten", sagt der Mediziner.
Ein strikteres Vorgehen fordern die Leitlinien, wenn es um die Vorbeugung und den intensiveren Einsatz nicht-medikamentöser Therapiemaßnahmen wie Ernährung und Bewegung geht. "Eine Gewichtsabnahme von zehn Kilogramm bringt eine Blutdruckabsenkung um sechs bis zehn Punkte. Damit kann man durchaus eine Tablette und damit auch Nebenwirkungen einsparen", so Baumann.
Blutdruckmessen zu Hause gewinnt an Bedeutung
Künftig ist der Patient bei der Blutdruckmessung stärker gefordert, denn die Leitlinien werten nicht nur die ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung auf, sondern auch jene durch den Patienten zu Hause. Meist ist der beim Arzt gemessene Blutdruck wegen der Aufregung des Patienten in der Praxis höher als der selbst gemessene.
Bei der medikamentösen Therapie sollen Ärzte künftig freier aus den verschiedenen Medikamentengruppen die für den Patienten geeignetsten auswählen. Dabei geht es vor allem darum, das Risiko für Krankheiten der das Herz versorgenden Gefäße zu senken. "Eine verallgemeinernde Aussage ist jedoch schwierig, da jeder Patient anders ist. Hier bietet die neue Leitlinie dem Arzt einen größeren Spielraum", sagt Baumann.
- Corbis
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* Name von der Redaktion geändert