Früher Test Bleiben meine Nieren gesund?
Geht es den Nieren gut oder bauen sie bedrohlich ab? Die Frage könnte sich mithilfe eines jetzt vorgestellten Markers Jahre im Voraus beantworten lassen. Die Entdeckung kann die Vorbeugung verbessern - und vielleicht sogar neue Therapien ermöglichen.
Wenn die Nieren ihre Arbeit einstellen, sind die Aussichten für Betroffene düster: Das Blut muss fortan per Dialyse gereinigt werden, eine kräftezehrende Prozedur. Eine neue Niere kann langfristig helfen, doch Spenderorgane sind knapp. Und bei manchen Nierenerkrankungen kann es sogar passieren, dass das frisch implantierte Organ schnell selbst von dem Leiden befallen wird.
Ein Problem, mit dem die Nierenheilkunde, die Nephrologie, zu kämpfen hat: Zuverlässige Werte für einen fortschreitenden Abbau sind erst messbar, wenn die Nieren schon Schaden genommen haben.
Eine mögliche Lösung präsentiert jetzt ein Forscherteam im "New England Journal of Medicine" (NEJM): Ihren Untersuchungen zufolge geht ein hoher Blutwert des sogenannten suPAR mit einem deutlich höheren Risiko einher, in den folgenden Jahren ein chronisches Nierenleiden zu entwickeln.
Nach fünf Jahren hatten zwölf Prozent der Probanden in den unteren zwei Gruppen - also die mit eher niedrigem suPAR-Wert -, ein chronisches Nierenleiden. In den zwei Gruppen mit höherem suPAR-Wert waren 41 Prozent chronisch nierenkrank. Die Gruppe mit dem höchsten suPAR-Wert hatte ein dreimal so großes Risiko für Nierenleiden wie jene mit dem niedrigsten Wert. Dass so viele der Teilnehmer nierenkrank wurden, hängt mit ihrem fortgeschrittenen Alter zusammen - und der Tatsache, dass sie alle schon wegen Herzkreislaufproblemen behandelt wurden.
Um ihr Ergebnis zu untermauern, untersuchten die Forscher den Zusammenhang von suPAR und Nierenfunktion in einer weiteren Gruppe: bei 347 HIV-positiven Frauen in der Women's Interagency HIV study. Hier nahm ebenfalls die Nierenfunktion bei den Teilnehmerinnen stärker ab, die einen höheren suPAR-Wert hatten.
"Im Vergleich mit bekannten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, hatte suPAR den stärksten Zusammenhang mit dem Abbau der Nierenfunktion", sagt Jochen Reiser von dem Rush University Medical Center in Chicago (US-Bundesstaat Illinois).
Reiser und Kollegen hatten vor wenigen Jahren entdeckt, dass zwei Drittel der Patienten mit sogenannter fokal segmentaler Glomerulosklerose (FSGS) einen erhöhten suPAR-Wert hatten. Dadurch kamen sie auf die Idee zu testen, ob er auch ein Anzeichen für andere Nierenleiden sein könnte. Reiser erklärt, dass suPAR auch mit der Entwicklung der relativ häufigen diabetischen Nephropathie zusammenzuhängen scheint - Zuckerkranke haben ein erhöhtes Risiko für Nierenleiden.
Gezielt vorbeugen
Ein Test, der über Jahre voraus Risikopatienten identifizieren kann, wäre eine große Hilfe, weil diese dann besser vorbeugen können. Etwa durch Abnehmen, gesunde Ernährung und das Senken von Bluthochdruck. Im "NEJM" schreibt das Team um Salim Hayek und Sanja Sever: Durch rechtzeitige Prävention könne das Risiko, dass sich eine chronische Nierenkrankheit entwickle, um bis zu 50 Prozent gesenkt werden.
Reiser sieht weitere Anwendungsmöglichkeiten: Beispielsweise könne man bei potenziellen Nierenspendern prüfen, ob sie ein erhöhtes Risiko haben, dass ihre Nieren in den kommenden Jahren versagen - und bei auffälligen Werten von der Spende abraten. "suPAR ermöglicht uns endlich einen Blick in die Zukunft der Niere", sagt er. Der entsprechende Test sei schon seit Jahren auf dem Markt und weder aufwendig noch teuer.
Nicht nur ein Marker, sondern eine Ursache?
Der Wissenschaftler nimmt an, dass suPAR nicht nur ein Marker ist, sondern die Nierenprobleme mit verursacht. In Tiermodellen wurde dies schon untersucht, beim Menschen muss man es jetzt prüfen. Falls sich die Annahme bestätigt, wäre es möglich, dass ein Senken von suPAR die Nieren schützt. "Jeder kann diesen Wert durch den Lebensstil beeinflussen, aber nur zu etwa 20 Prozent", sagt Reiser. Bei Übergewicht abnehmen, Bluthochdruck senken, Bewegung, gesunde Ernährung - das wird alles ohnehin zur Vorbeugung empfohlen.
"Ob ein hoher suPAR-Wert lediglich ein Marker für die schwindende Leistung der Nieren ist oder den Abbau mit verursacht - das muss man erst beweisen", gibt Jan-Christoph Galle zu bedenken. "Zu diesem Zeitpunkt ist es nur eine Hoffnung, dass man durch ein Senken von suPAR die Nieren schützen kann."
Man arbeitet schon an Methoden, suPAR aus dem Blut zu entfernen oder durch einen gespritzten Antikörper zu neutralisieren. Ein deutsches Biotech-Unternehmen, Miltenyi Biotech, entwickelt laut Reiser ein Gerät, dass suPAR aus dem Blut filtert. Voraussichtlich 2016 können erste Tests starten.
"Bei Mäusen haben wir suPAR bereits stark gesenkt - ohne problematische Nebenwirkungen", sagt Reiser. Auch hätte er bereits gemeinsam mit Kollegen von der Berliner Charité bei einigen FSGS-Patienten den suPAR-Wert durch eine spezielle Blutwäsche, die Plasmapherese, gesenkt. Das Fazit dieses Pilotversuchs war positiv: Der Zustand der Patienten stabilisierte sich.