Thesenpapier Kasse will Wartezeiten auf Psychotherapie verkürzen
Wie lässt sich die Wartezeit für psychisch Kranke auf einen Therapieplatz verkürzen? Die Techniker Krankenkasse hat jetzt eine Koordinierungsstelle zur Erstberatung von Patienten vorgeschlagen. Psychotherapeuten zweifeln jedoch am möglichen Erfolg.
Psychisch Kranke müssen je nach Wohnort oft Wochen auf einen Therapieplatz warten. Immer häufiger gehen Patienten deshalb dazu über, sich per Kostenerstattung von einem privaten Psychotherapeuten behandeln zu lassen. Das Problem sorgt derzeit für zahlreiche Debatten. Jetzt hat die Techniker Krankenkasse (TK) eine Idee zu Papier gebracht, die die Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz verkürzen soll.
In einem Thesenpapier schlägt die TK vor, eine Koordinierungsstelle für eine Erstberatung der Patienten einzurichten. "Therapieplätze würden in der Folge nicht falsch besetzt und stünden denjenigen zur Verfügung, die sie tatsächlich benötigen", heißt es in dem Papier.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) schätzt den Nutzen einer solchen Koordinierungsstelle jedoch als begrenzt ein. Der Zugang für Patienten zur Psychotherapie werde zusätzlich erschwert und schränke deren Wahlfreiheit ein, sagt Rainer Richter, Präsident der Kammer mit Sitz in Berlin. Zudem sei solch eine Stelle bürokratisch und teuer.
Derzeit gibt es drei Therapieverfahren, die mit den Kassen abgerechnet werden können: Die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie. Sie unterscheiden sich unter anderem in der Anzahl der durchschnittlichen Therapiestunden, aber auch in der Art und Weise, wie sie seelische Leiden behandeln.
Den Angaben zufolge nahmen 2011 im Bundesdurchschnitt vier Prozent aller TK-Versicherten mindestens einmal eine psychotherapeutische Leistung in Anspruch (etwa 300.000 Patienten). Unterschiede gibt es in Städten und ländlichen Gebieten. Deutlich wird das am Beispiel von Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern (MV): In Hamburg gingen sechs Prozent der Versicherten im Jahr 2011 mindestens einmal zum Psychotherapeuten, im nahe gelegenen Bundesland zwei Prozent.
Auch die regionale Verteilung der abgerechneten Therapieformen ist unterschiedlich. In Hamburg ist die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie mit einem Anteil von 58 Prozent führend (MV: 41 Prozent), 18 Prozent gingen in der Hansestadt zu einer analytischen Psychotherapie (MV: 9 Prozent), und 24 Prozent machten in Hamburg eine Verhaltenstherapie (MV: 49 Prozent).
Nur wenige Behandlungsleitlinien
Nach dem TK-Vorschlag könnte ein unabhängiger ärztlicher oder psychologischer Psychotherapeut in einer Koordinierungsstelle ein Erstgespräch führen und Patienten in eine Therapie steuern. Empfehlungen für bestimmte Psychotherapieverfahren sind jedoch laut Richter kaum möglich, da nur wenige Behandlungsleitlinien solche diagnosespezifischen Empfehlungen beinhalten würden.
Außerdem: "Die Wirksamkeit einer Psychotherapie wird durch mehrere, sehr unterschiedliche Faktoren bestimmt, unter denen das einzelne Verfahren keineswegs das wichtigste ist." Einen mindestens ebenso großen Einfluss auf den Behandlungserfolg habe das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Therapeut.
Für die TK erscheint es aber nicht nachvollziehbar, wenn die gleiche Diagnose bei einem Verhaltenstherapeuten in einer Kurzzeittherapie in 25 Stunden behandelt werden könne, bei einem Analytiker jedoch mindestens 40 Stunden in Anspruch nehme.
Die Kasse hat sich zudem die Diagnosen genau angeschaut. "Jeder Vierte, der eine Psychotherapie erhält, leidet an einer leichteren Erkrankung. Für diese Patienten könnten vielleicht andere Angebote hilfreich sein", sagt Thomas Ballast, stellvertretender Vorsitzender im Vorstand der TK.
Darunter zählt die TK sogenannte Anpassungsstörungen etwa nach einem belastenden Erlebnis oder leichte depressive Episoden. Betroffene könnten beispielsweise intensiver vom vorbehandelnden Arzt betreut werden oder Präventionsangebote wahrnehmen. Die Techniker Krankenkasse spreche gerade auch mit Verbänden der Hausärzte darüber, welchen Beitrag diese für psychisch Kranke leisten könnten.
Die BPtK warnt allerdings vor einer "Fehleinschätzung vermeintlich leichter psychischer Erkrankungen". Sie setzt sich unter anderem dafür ein, dass Psychotherapeuten ähnlich den Hausärzten Akutsprechstunden führen und abrechnen können. Eine bessere Akutversorgung erlaube auch ein "beobachtendes Abwarten", ob sich eine anbahnende oder leichte psychische Erkrankung bereits mit Hilfe von Informationen zur Erkrankung oder unterstützter Selbsthilfe bessern lasse.
Die Idee einer Koordinierungsstelle befürworten auch die DAK-Gesundheit und die Barmer GEK, wie Sprecher der beiden Krankenkassen auf Anfrage bestätigen. "Die Frage der Auswahl der Ärzte oder Psychotherapeuten für die Koordinierungsstellen ist sicher schwierig", räumt Ballast von der TK ein. Das sei eine beachtliche Verantwortung. "Man sollte das Verfahren daher in Modellen erproben."
Christiane Löll, dpa