Newtown-Berichterstattung Autisten verurteilen Stigmatisierung
Es gibt Hinweise, dass der Newtown-Attentäter Adam Lanza möglicherweise Asperger-Autist war. Die Berichterstattung darüber hat eine Debatte entfacht: Verbände, Organisationen und Blogger melden sich zu Wort, um gegen eine Stigmatisierung von Autisten und falsche Vorurteile zu kämpfen.
Hamburg - Die Hinweise verbreiteten sich rasch: Adam Lanza, der Amokschütze von Connecticut, hatte möglicherweise die Diagnose Asperger-Syndrom. Viele Medien berichteten darüber und beleuchteten dabei die Hintergründe zum Asperger-Syndrom.
Auch SPIEGEL ONLINE veröffentlichte einen Artikel dazu. Darin wird zwar ausdrücklich klargestellt, dass ein etwaiges Asperger-Syndrom keinesfalls eine Erklärung für die Taten von Newtown sein kann. Dennoch gab es Empörung über den Text: Etliche Leser, insbesondere selbst Betroffene, schickten Leserbriefe oder setzten Tweets ab. Ein Artikel vor diesem Hintergrund, so der Tenor der meisten Zuschriften, suggeriere, Asperger-Autisten seien potentielle Mörder.
"Wenn man in den Medien das Bild eines Amokläufers sieht, und dick darüber oder nebendran etwas von Autismus steht, tut das weh", heißt es etwa in dem Blog quergedachtes eines Autisten, das Aufklärungsarbeit zum Thema Autismus leisten will. Es mache Angst, dass Autismus noch mehr stigmatisiert werde und gedankliche Verknüpfungen bei anderen Menschen entstünden, "die nicht nur falsch, sondern verletzend sind".
"Seelische Behinderungen werden in dieser Gesellschaft ignoriert"
Ähnlich äußern sich Leser in E-Mails, die SPIEGEL ONLINE erreichten: Artikel wie dieser würden die Integration ihrer Kinder nicht erleichtern, heißt es darin. Viele Kinder, aber auch betroffene Erwachsene, hätten ohnehin in der Gesellschaft mit der Stigmatisierung und mit Vorurteilen zu kämpfen. "Mein Sohn hat wie viele andere in der Schule die Hölle durchgemacht", schreibt eine Mutter. Andere Eltern fürchten, dass aufgrund der Berichterstattung ihre Kinder nun gehänselt werden könnten.
"Seelische Behinderungen wie der sogenannte Asperger-Autismus werden in dieser Gesellschaft weitgehend ignoriert", äußert sich ein weiterer Leser in einer E-Mail. Menschen mit Asperger-Syndrom und deren Angehörige würden in der Gesellschaft nicht verstanden. Seelische Behinderungen nehme man anders als geistige oder körperliche Behinderungen äußerlich nicht wahr. Die Konsequenz sei eine Gängelung der Betroffenen im Alltag.
Inzwischen haben sich auch mehrere Verbände und Organisationen zu Wort gemeldet: "Wir verurteilen auf das Schärfste, dass durch die Berichterstattung einzelner Medien über den furchtbaren Amoklauf von Newtown der Eindruck eines kausalen Zusammenhanges entstanden ist", heißt es in einer Stellungnahme von autismus Deutschland e.V., dem Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus. Alle Menschen mit Autismus in Deutschland und deren Angehörige und Freunde fühlten sich durch eine derartige Berichterstattung diskreditiert.
Auch in den USA haben verschiedene Verbände Pressemitteilungen zur Medienberichterstattung veröffentlicht. Die Tat in Newtown sei die eines Einzeltäters gewesen, schreibt das Autistic Self Advocacy Network und fordert Politik und Medien dazu auf, die autistische Gemeinde nicht mit Kriminalität in einen Zusammenhang zu stellen. Ein solcher würde den 1,5 Millionen Autisten in den USA schaden, heißt es seitens der amerikanischen Autism Society. Weltweit ist etwa ein Prozent der Bevölkerung von einer Störung aus dem sogenannten Autismus-Spektrum betroffen.
Ein Leserbriefschreiber fasst es gegenüber SPIEGEL ONLINE so zusammen: "Menschen mit Asperger-Syndrom können besonders warmherzig sein und haben einen anderen Platz in der Gesellschaft verdient, als im Katastrophenfall ein Kästchen für nötige Erklärungen zu liefern."
In den kommenden Wochen plant SPIEGEL ONLINE, das Thema Autismus noch intensiver und hintergründiger zu beleuchten, um klarzumachen, dass eine Stigmatisierung der Betroffenen falsch ist. Dabei sollen ausdrücklich auch Betroffene zu Wort kommen.
cib