Ausbildung zum Käsesommelier Keine Angst vor Stinkern
Schmierig, muffig oder erdig - wenn es um Käse geht, darf sogar das als Kompliment verstanden werden. Was einen ordentlichen Stinker ausmacht, lernen angehende Käsesommeliers in Hannover. Zwei Wochen lang schnuppern und schmatzen sie, dann müssen sie ihr Können in der Diplomprüfung beweisen.
Mit geschlossenen Augen inhaliert Christina Nussbaumer den Käseduft. Wasser- und Fettgehalt, Aussehen, Herstellung - die Daten der "Ziegenkäserolle im Wildkräutermantel" betet sie herunter wie ein Pilot die Checkliste vor dem Start. Nussbaumer ist Österreichs Käse-Sommelière des Jahres - und gibt im European Cheese Center in Hannover ihr Wissen an knapp zwei Dutzend angehende Genussprofis weiter.
Einer von ihnen ist der Hannoveraner Käsehändler Harald Müller. Zusammen mit seinen Mitschülern grübelt über die Konsistenz eines Käsestücks. Sie schnuppern, begutachten, runzeln die Stirn, murmeln leise. "Cremig ist er auf jeden Fall", lautet das erste Urteil. "Schnittfest auch", kommt es vom Nachbarn. "Und ein bisschen krümelig."
Rund 1600 Euro lassen sie sich die zweiwöchige Ausbildung kosten, die nach bestandener Abschlussprüfung mit einem Diplom der Wirtschaftskammer Niederösterreich endet. Der Titel Käsesommelier ist eine Zusatzqualifikation, er soll aus einem Käseverkäufer einen Genuss-Experten machen. Etwa 440 Europäer dürfen sich schon so nennen.
Männer und Frauen sind etwa gleich verteilt in der Runde, die meisten sind zwischen 30 und 50 Jahre alt. "Sie haben schon enorme Fortschritte gemacht", sagt Nussbaumer, während sie einen Zettel mit dem Geschmacksvokabular für die vielfältigen Aromen herumreicht. Von sandig, nussig und weinig ist da die Rede, von erdig und gläsig im Teig, von Bruchlochung und Rotkulturreifung - aber auch von schmierig und muffig. Bis zur Abschlussprüfung muss das Vokabular sitzen. Nicht nur Spezialwissen rund um das Naturprodukt Käse stehen auf dem Programm, sondern auch Schneidetechniken, Hygiene, gekonntes Arrangieren oder die Frage nach guten Kombinationen.
"Käse steht ja nicht alleine. Die Bandbreite reicht von Wein und Bier über Honig, Feigen, Nüsse, Obst oder Senfsoßen", sagt die zierliche Sommelière. Sie stellt hohe Anforderungen: "Die Ausbildung geht in die Tiefe, da wird es ohne Vorkenntnisse schnell schwierig." Obwohl mittlerweile auch das Milch- und Käseland Bayern ähnliche Kurse anbietet, rühmt sich das europäische Käsezentrum in Hannover, in Deutschland Trendsetter bei der Ausbildung gewesen zu sein.
"Einem hat es bereits bei der Karriere geholfen"
"Wir bekommen sehr positive Rückmeldungen - einem Absolventen hat es bereits bei seiner Karriere geholfen", sagt Geschäftsführerin Karin Zuck. Das Käsezentrum, eine Mischung aus Museum, Erlebnisgastronomie, Tagungs- und Ausbildungsstätte, hat sich aus dem Geschäft ihres Vaters entwickelt. Der hatte einen mittelständischen Familienbetrieb zu einem renommierten Käse-Großhandel mit 70 Beschäftigten ausgebaut. Zur Weltausstellung in Hannover eröffneten sie im Juni 2000 auf ihrem Betriebsgelände das Käsezentrum - das aber kein Anhängsel des eigenen Großhandels sei, wie Zuck betont: "Als Großhandel legen wir keinen Wert auf einen hohen Bekanntheitsgrad." Grundgedanke sei vielmehr die Erziehung des Verbrauchers. An edle Stinker etwa müsse man die Besucher behutsam heranführen.
Mehr als 4000 Besucher pilgerten vergangenes Jahr in das Käse-Mekka, das sich im Industriegebiet von Hannovers Vorort Anderten versteckt. Zu 80 Prozent sind es private Käse-Fans, die kommen. Der Einzugsbereich reicht bis nach Hamburg. "Der Andrang ist enorm - wir sind bis Dezember bereits gut gebucht", sagt Zuck. Für maximal 50 Leute reicht die Infrastruktur, bei mehr wird's eng. Herzstück ist ein Käse-Dorf, das sich um eine Art Marktplatz gruppiert. Auf einem Bauernschrank stapeln sich Laibe von Pustertaler Berg-, Safran- und Dolomitenkäse, Gruyère, Luzerner Rahmkäse, Amadeus oder Mondseer. Der typische Geruch einer Käserei fehlt aber - die ausgestellten Laibe sind Attrappen.
Bei der Ausbildung zum Käsesommelier sind alle Käse echt. "Genuss braucht Erfahrung", sagt Nussbaumer. "Ob Käse oder Wein, das muss man sich erarbeiten." Sie selbst habe damit Beruf und Hobby vereint. Ob sie auch einen Lieblingskäse hat? Diese Frage kann sie kaum noch hören: "Sie wird mir andauernd gestellt." Das sei stimmungsabhängig. "Aber gut gereifter, cremiger Weichkäse, der auf der Zunge zergeht - ja, dafür kann ich mich schon begeistern."
Ralf E. Krüger/dpa/vet