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Manche Fragen machen auch einen erfahrenen Karriereberater beinahe ratlos. Zum Beispiel, wenn eine Germanistin kurz vor Studienschluss nicht den blassesten Schimmer hat, in welchem Bereich sie nach einem Job suchen könnte. Gerhard Winkler will dennoch helfen.
"Ich habe Germanistik studiert und bin in der Endphase. Eigentlich wollte ich nie Lehrerin werden und hab nicht mal so richtig eine Ahnung, was ich machen soll. Habe bereits zwei Praktika im Bereich Kulturmanagement und eines im Veranstaltungsbereich.
Eigentlich macht mir das Spaß, doch kann ich mir nicht richtig vorstellen, was ich da machen soll. Wenn ich über meine Vorlieben nachdenke, liebe ich Bücher und Texte... da ist aber auch wieder die Frage: Was kann ich damit machen?
Ich kann mich nicht wirklich entscheiden, wohin ich gehen soll... Was hilft bei so einer Entscheidung?" (D. J.)
Sie steuern das Happy End eines Germanistikstudiums an. Als Sie es aufnahmen, war Ihnen die Welt noch neu, eines aber schon klar: Auf keinen Fall darf das in den Lehrerberuf münden. Solange Sie nicht gerade Deutsch auf Lehramt studiert haben, ist ja auch alles in Ordnung.
Nun haben Sie im Kultur- und Veranstaltungsmanagement bereits zweimal praktische Arbeit geleistet. Das hatte gewiss auch etwas Gutes: Auch die schlechteste Gesellschaft lässt einen fühlen, dass man ein Mensch mit Menschen ist! Sie hatten eigentlich Spaß, doch Sie haben auch in Ihren Praktika die Sinnfrage gestellt, vergeblich.
Ihr akademische Welt werden Sie bald verlassen. Sie wissen: Jedem Abschluss wohnt ein Anfang inne. Sie denken dennoch zunehmend irritiert an den drohenden beruflichen Einstieg. Was ist Ihnen bestimmt? Wer nimmt Sie auf? Und wohin mag die Reise gehen?
Lieber auf dem Weg zur Arbeit lesen
Bei der beruflichen Reiseplanung will Ihnen kein Ziel einfallen. Als Vorlieben nennen Sie spontan Bücher und Texte.
Mit Bücher meinen Sie sicher deren Lektüre. Lesen als Berufung wirkt bei einer Zehnjährigen allerliebst, bei 15-jährigen hoch dekorativ. Mit 25 werden Ihre Unterhaltszahler langsam nervös. Dann konfrontiert man die Leserin mit dem Vorschlag, sie könne doch auf dem Weg zur Arbeit lesen.
- Corbis
- Raus aus dem Studium, rein in den Job: Was bei der Bewerbung wirklich zählt
Schreiben ist außerdem wie Golfen: Manchmal zischt das richtig ab. Unter dem Strich steht das Ergebnis aber in keinem Verhältnis zum Aufwand. Auch die besten Golfer können von ihrem Talent kaum leben. Sie unterrichten dann als Golf-Pro oder verkaufen Trolleys oder schreiben im Fachblatt über den Hüftkick. Die Chance, dass Schreiben einen auf Dauer anständig ernährt, ist so hoch wie die Aussicht eines Golfamateurs auf eine Tour-Karte.
Liebe zur Literatur, Liebe zur Zahnprophylaxe
Die Liebe zur Literatur steht auch nicht höher als etwa die Liebe zur Zahnprophylaxe. Beide, Literatur und Zähne, bedürfen schließlich der Pflege. Haben Sie genug Biss, um einen Job in der literarischen Vor- oder Nachsorge anzugehen?
Wilhelm Meister hat zum Thema Jobfindung niemals gesagt: "Wer die Literatur liebt, den holt die Wirklichkeit ein." Er war aber der Ansicht: "Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun." In die Gänge zu kommen, tätig zu sein, ist des Menschen erste Bestimmung. Ihr Weg sollte und wird Sie aus der Alma Mater heraus in die Jobwirklichkeit führen.
Dort hat man auf kritische Geister, die über die Uneigentlichkeit des beruflichen Tuns sinnieren, nicht gewartet. Es macht Ihre Lage jedenfalls nicht besser, dass Sie, wie einst Jakob von Gunten, sich selbst ein Rätsel sind. Arbeitgeber sind keinesfalls interessiert, dieses Rätsel für Sie zu lösen. Die wollen bloß, dass man ihnen ein konkretes Leistungsangebot macht und winken ab, wenn Sie sich als Generalistin empfehlen.
Schon wieder "interkulturell" und "interdisziplinär"
Jobanbieter werden sich immer auf Sie freuen, wenn Sie zum Betrieb und Erfolg einer Organisation konkret beitragen können. Versteifen Sie sich bei Ihrer Stärkenbestimmung aber nicht darauf, welche Empathie, welche emotionale Intelligenz und was für soziale Kompetenzen Sie auszeichnen. Außerhalb von akademischen Bewerbungstrainings interessiert sich keine Seele dafür.
Argumentieren Sie in einer Bewerbung auch nicht damit, dass Sie interkulturell und interdisziplinär denken, dass Sie sich engagiert auf neue Aufgabenfelder einstellen, dass Sie spinnenflink Netzwerke knüpfen. Diese schönen Mitbringsel sind nur die Bedingungen, ohne die es für Akademikerinnen im Beruf nicht geht. Sie teilen dies mit allen anderen Bewerberinnen. Und was sich von selbst versteht, ist beim Bewerben nicht der Rede wert.
Trumpfen Sie nicht damit auf, dass Sie über ausgezeichnete Schulkenntnisse in Englisch verfügen. Während Sie "The Man Who Knew Too Much" im O.m.U. ansahen, waren die Typen von den ungeistigen Fakultäten mal kurz zum Studium in Delaware.
Ihr mitlesender Seelenfreund (8. Semester Wirtschaftsrecht) bemerkt an dieser Stelle: "Studierende der Germanistik haben doch sowieso null berufliches Selbstvertrauen, warum nimmt der Winkler dir noch den restlichen Glauben?" Er hat absolut recht. Katharsis-Time!
Sie wissen in Ihrem Inneren: Andere Fächer studiert man, um damit in einen Job zu kommen. Germanistik studiert man, damit ein Job einem zufliegt. Falls Sie in Ihrem Fach ein eigenes Thema besetzen und von dessen Relevanz dermaßen überzeugt sind, dass irgendwer Ihre Beschäftigung damit finanzieren muss, dann gehen Sie los und beschaffen Sie sich den Auftrag und die Mittel. Oder dienen Sie sich einer wissenschaftlichen Projektgruppe als Mitarbeiterin an.
Überwintern im Kulturmanagement
Unsere Gesellschaft hat keinen Mechanismus entwickelt, der die vom Job-Spirit noch Ungeküssten daran hindert, ewig auf ihre Berufung zu warten. Überwintert wird im nächsten Café oder im Kulturmanagement. Nur im seltensten Fall entdeckt einen dort ein Talentscout.
Es bringt nichts, zur Jobfindung tief in das eigene Herz zu schauen. Da gibt es nichts, und falls doch, dann will es der Jobanbieter nicht sehen. Schauen Sie dafür auf Ihre Hände! Was haben die alles schon angepackt? Was haben Sie seit Ihrem 15. Lebensjahr unternommen, durchgeführt, ausgeführt, umgesetzt, produziert, geleistet?
Wofür haben Sie sich abgerackert?
Wohin haben Sie sich durchgeboxt?
Womit haben Sie Geld verdient?
Womit haben Sie sich Anerkennung erworben?
Notieren Sie alle Ihre bisherigen Lern- und Arbeitsleistungen. Es geht nicht darum, ob sie relevant oder großartig waren. Es geht um das Machen, um die Leistung an sich. Das, was Sie selber so gering schätzen - Ihre praktische Erfahrung - ist die beste Grundlage, um sich als Leistungsanbieterin anzubieten. Finden Sie jetzt einen Erwachsenenjob.
Konstituieren Sie Ihre berufliche Identität nicht aus Ihren Neigungen und Abneigungen. Bauen Sie Ihr Profil aus Ihren bisherigen Erfahrungen auf. Ihr Ziel ist die Tätigkeit, mit der Sie leben und von der Sie gut leben können. Und falls Sie bisher ein unbeschriebenes Blatt sind, dann beschreiben Sie es nicht mit kritischer Prosa oder empfindsamer Lyrik. Sammeln Sie zuerst praktische Erfahrung und nutzen Sie die dann für eine Leistungsbilanz.
