Ein Sternekoch steigt aus Tausche Luxushotel gegen Jugendherberge
Früher kochte er für Bon Jovi und die Fußballnationalmannschaft, heute für Schüler: Statt im Hotel Adlon steht Sternekoch Enrico Netto jetzt in der Jugendherberge Sigmaringen am Herd - und sehnt sich nur selten zurück.
Mit kräftigen Handbewegungen knetet Enrico Netto eine Masse aus Spinat, Schafskäse und Karotten. Hackfleisch-Feta-Spinat-Strudel steht heute auf dem Speiseplan der Hohenzollern-Jugendherberge in Sigmaringen. Der 35-Jährige ist nicht nur Herbergsvater, sondern auch Küchenchef.
Die Rolle am Herd ist ihm vertraut: Nach seiner Lehre im Fünf-Sterne-Hotel Europäischer Hof in Heidelberg war Netto jahrelang Koch in renommierten Restaurants und Hotels wie dem Adlon in Berlin, dem Quatres Saisons in Basel, dem Suvretta in St. Moritz, dem Hotel Bauer in Venedig, zuletzt arbeitete er als Sternekoch im Grissini in Mannheim.
Von der Haute Cuisine in die Jugendherberge? Netto hat sich vor drei Jahren für diesen Schritt entschieden, um endlich Familie und Job vereinbaren zu können. Früher stand er von 8 bis 23 Uhr in den Restaurantküchen und bekam von seinen zwei Kindern kaum etwas mit. Die persönliche Anerkennung und die Chance, auf so einem hohen Niveau kochen zu können, waren damals sein Ansporn. Ums Geld ging es ihm nicht - er verdient heute sogar mehr als bei seinen früheren Jobs.
"Der Ruhm wirkt wie eine Droge", sagt Netto. Damals schaute er in der Küche nur fürs Essen auf die Uhr. Denn draußen warteten Bon Jovi, Ralf Schumacher oder die deutsche Fußballnationalmannschaft. Nun sitzen im Speisesaal schon mal 110 Kinder, für sie gibt es selbstgemachte Pizza.
Auf Anerkennung muss Netto aber auch in der Jugendherberge nicht verzichten. Die Gäste schmecken, dass hier ein Meister den Kochlöffel in der Hand hält, auch wenn er hier kein Rinderfilet oder Jakobsmuscheln kredenzen kann - das gibt die Kalkulation nicht her. "Wir kochen hier eine bodenständige, einfache Küche, aber die kann ich genauso kreativ abschmecken wie Gerichte mit teureren Zutaten," sagt Netto. Und wenn es kein Lammbraten sein kann, dann eben schwäbische Käsespätzle mit Salat, hausgemacht und mit würzigem Bergkäse.
"In der Hochsaison ist es hier genauso stressig wie in anderen Küchenjobs", sagt Netto. "Aber es gibt andere Stressfaktoren." Dazu gehört etwa die Mehrfachbelastung durch das Management von Zimmern und Küche. Denn trotz hartnäckiger Vorurteile ist eine Jugendherberge heute längst kein Bettenlager mehr, sondern ein Übernachtungsbetrieb mit hohen Standards. "Da muss man genauso auf zack sein", sagt Netto.
Gemeinsam mit seiner Frau Katja arbeitet und wohnt er im Gebäude der Jugendherberge. Die Wege sind kurz: Arbeit und Familienzeit haben fließende Übergänge. Die Kinder können fast jederzeit die Eltern sehen und umgekehrt. Das hat nicht nur Vorteile.
Gelegentlich auf Abstand gehen
"Unsere größte Herausforderung ist es, zu bestimmten Zeiten sowohl zur Arbeit als auch zu einander Abstand zu finden," sagt Katja Netto. Die Sozialpädagogin ergänzt mit ihren sozialen Fähigkeiten das Können ihres Mannes. Die beiden sind fast rund um die Uhr zusammen.
"Wir müssen unsere Aufgabenbereiche klar trennen, sonst gehen wir uns auf die Nerven," sagt Katja Netto. Die Kinder halten die beiden, so gut es geht, aus dem quirligen Herbergsleben fern. "Wir haben unseren eigenen Bereich und schützen unsere Kinder vor einer Reizüberflutung durch die vielen Gäste", sagt Katja Netto.
Enrico Netto scheint nichts zu vermissen. "Ich habe mehr gewonnen als ich aufgegeben habe", sagt er mit Blick auf seinen Karriereumstieg. Nur ganz, ganz selten wird er mal wehmütig. Und wenn es ihm mal wieder in den Fingern kribbelt nach dem, was ihn zum Sternekoch gemacht hat, dann hilft ein Viergänge-Menü: Maisblini mit Rinderfilet und Basilikumbohnen-Püree, glacierter Brokkoli, gebratene Riesengarnelen auf Zuckerschotensalat, Wachteln mit Trüffelspinat und als Nachtisch Mangopanacotta mit Schokoladenmousse und Blutorangenkompott.
Privater Speiseplan, versteht sich.