Dokusoap "Die Özdags" Unterwegs mit den Teutonen-Türken
Streit um Pinkelpausen und schlimme Schlager: Die Özdags sind zurück. In Staffel zwei der WDR-Dokusoap bricht die türkisch-kölnische Familie auf in den Heimaturlaub - ein lustiger Road Trip mit gefühlvollen Einblicken in die Lebenswelt der zweiten Migrantengeneration.
Als zum fünfzigsten Mal "Die rote Sonne von Barbados" aus den Auto-Boxen tönt, hat Hülya genug. "Ich kann das nicht mehr hören", motzt sie ihren Bruder Nebil an. Ohne Erfolg - "Hallo, ich bin der Fahrer, schlafen und Schnauze halten", kontert Nebil, der Schlagerliebhaber, ziemlich ungerührt.
Sie sind also wieder da: die Özdags, jene drei Generationen umspannende türkisch-kölnische Feinbäcker-Familie, deren Schicksal die Genre erprobte Regisseurin Ute Diehl ("Die Fussbroichs") im vergangenen Jahr für eine "wahre Familienserie" zu begleiten begann.
In den sieben neuen Episoden, die ab heute im WDR zu sehen sind, macht sich ein Großteil des Familienclans auf unterschiedlichen Wegen zu einem mehrwöchigen Heimatbesuch in die Türkei auf; die besagte Autoreise wird in Folge drei unter dem Titel "Orient-Express" geschildert.
Mit dem Kleinbus in die Türkei
Während Mutter Aliye und Sohn Uzay schon in Folge eins mit dem Flugzeug aufbrechen, fahren sieben Personen, inklusive des 63-jährigen Familienoberhaupts Hasan und der vierjährigen Enkelin Soraya, im Mercedes-Kleinbus via Italien und Griechenland in die Türkei. Fahrer Nebil stellt seine Entertainer-Qualitäten nicht nur beim Schlagersingen unter Beweis; er betätigt sich auch als leidenschaftlicher Antreiber und Kritiker allzu häufiger Pinkelpausen und Essensstopps.
Hier und da wirft das Geschehen Fragen auf, die schon die erste Staffel provozierte (und die im Grunde für das Genre Real-Life-Soap im Allgemeinen gelten): Sind die telegenen, redseligen Özdags, die alle eine Ausbildung und ein Auskommen haben, womöglich ein wenig zu bilderbuchmäßig gecastet quasi als öffentlich-rechtliche Multikulti-Propagandisten? Inwieweit lässt sich angesichts der Präsenz einer Kamera überhaupt von authentischen Alltagserlebnissen sprechen? Und hat das Ganze nicht etwas von einem "Big Brother"-artigen Menschenexperiment?
Doch wer länger zuschaut, wird zwangsläufig entwaffnet: Mit ihrem unwiderstehlichen Temperament und nicht kleinzukriegenden Humor setzen sich die Özdags über derlei skeptische Erwägungen einfach hinweg. Ihr Handwerk mag die Zuckerbäckerei sein Süßholzraspler sind sie nicht. Widrigkeiten und kulturelle Konflikte werden nicht geleugnet, sondern mit Verve ausgetragen. Und Regisseurin Diehl gelingt die Gratwanderung, ihre Protagonisten (manchmal nervend) echt sein zu lassen, ohne sie vorzuführen. Unprätentiös und frisch kommen die Dialoge daher, und wenns zwischendurch mal grundsätzlich wird, wirkt es nicht pädagogisch oder aufgesetzt.
Die Serie bietet eher leise Höhepunkte, wie die Szene, in der die Özdags an einem Imbiss in Griechenland halten, um Grillhähnchen zu bestellen. Tochter Zülya bemüht sich zunächst vorbildlich, ihr Begehr auf Griechisch zu formulieren ("wir müssen die Sprache des Landes lernen"). Dann spricht sie ihr Gegenüber aber letztlich doch ganz unverkrampft mit "Chef, Señor, hallo?" an.
Oder die Szene am Grenzübergang: Buchstäblich im Vorübergehen wird dort erörtert, wer einen deutschen und wer einen türkischen Pass hat und welche Vor- und Nachteile das bringt.
Selda bescheinigt ihrem Bruder, nachdem der mit persiflierend-überschwänglichem Pathos den türkischen Boden geküsst hat, sie finde trotzdem, dass der Name "Hansi Müller besser zu dir passt als Nebil Özdag". Außerdem müsse der Disziplinfanatiker und Bewahrer zweifelhaften teutonischen Liedguts eigentlich das Bundesverdienstkreuz bekommen, weil "du die deutsche Tugend so pflegst". Sicherheitshalber legt sie zwischendurch ein wenig türkische Folklore ein, um Nebil an seinen "orientalischen Hintergrund" zu erinnern.
Unerfüllten Erwartungen der älteren Generation
Doch die Qualitäten des Formats sind keineswegs nur humoristischer Natur.
Bei einer vermeintlich kleinen Uneinigkeit zwischen Uzay und Selda, wie man seine Kinder zu erziehen hat, scheinen Geschlechterrollen-Konflikte durch: Uzay sieht angesichts der Widerworte seiner abgeklärt-emanzipierten Schwester auf einmal erregt seine männliche Autorität in Gefahr.
Und wenn Vater Hasan auf der Fähre die Kabine von Nebil (35) und Servet ("fast 30") inspiziert und dabei mit melancholischem Grinsen feststellt, sie seien ja beide noch unverheiratet und kinderlos, treten die unerfüllten Erwartungen der älteren Generation an die jüngere zutage.
Gleichzeitig bewundern die Söhne den Patriarchen, der nie eine Schule besucht hat, in den siebziger Jahren nur mit einem Koffer in der Hand nach Deutschland kam und dennoch erfolgreich den Familienbetrieb aufbaute. Als der Alte einmal an einem traditionellen Webstuhl Platz nimmt und das Gerät gekonnt bedient, bestaunen sie ehrfürchtig seine Virtuosität.
So speist sich die Lust, am Schicksal der Özdags teilzunehmen, nicht aus Voyeurismus, sondern aus Sympathie. Zudem erweist es sich als kluger Schachzug der Autorin, eine Reise in die Heimat zum dominierenden Thema der zweiten Staffel gemacht zu haben - Spuren- und Wurzelsuche inklusive. Dieser dramaturgische Kniff schafft glaubhaft den Kontext für Auseinandersetzung auch mit grundsätzlichen Themen, sorgt für ungekünstelte Dynamik und bietet den Rahmen für viele Begegnungen und Porträt-Miniaturen.
Wenn Ute Diehl ihren Stoff weiter so geschickt verfolgt und aufbereitet, dann werden die Özdags wohl noch zu echten Stars im Genre Langzeit-Doku.
"Die Özdags", dienstags 22.00 Uhr, WDR