Kommentar zur Rettung von Johann Westhauser Die Kosten der Menschlichkeit
Der Höhlenforscher Johann Westhauser ist wieder an der Erdoberfläche - aber die Debatte geht weiter: Muss die Gemeinschaft für die horrenden Kosten der Rettung aufkommen? Und warum steigt einer überhaupt so tief in die Erde?
Ein Mensch liegt am Boden, er hat sich am Kopf verletzt, er kommt von allein nicht mehr hoch. Nicht auf die Beine, und schon gar nicht fast 20 Kilometer weit und tausend Meter hinauf durch eine enge Höhle. Zwei Begleiter hat er dabei, einer bleibt bei ihm, der zweite klettert zwölf Stunden ans Licht. Was wird er dem Verletzten zum Abschied gesagt haben?
Da gibt es nur einen Satz: "Wir holen dich hier raus."
Wir holen dich raus - nur das kann ein Mensch zu einem anderen Menschen in dieser Situation sagen. Doch wenn man jetzt manche Kommentare unter den Berichten über die Rettung liest, auch auf SPIEGEL ONLINE, dann könnte man glauben, da hätte es noch andere Sätze gegeben: "Das ist jetzt schlimm, aber da können wir nichts machen. Dich zu retten, das wäre zu kompliziert. Und zu teuer. Warum steigen wir überhaupt in eine so tiefe Höhle? Hier unten sind wir auf uns allein gestellt, und wenn etwas passiert, dann sind wir verloren. Jetzt hat es dich erwischt, zum Glück nicht mich. Ich gehe jetzt. Adieu."
Das ist absurd. Nein, die Kosten der Höhlenrettung, noch sind sie nicht genau zu beziffern, doch seien sie auch noch so hoch - sie spielen keine Rolle. Warum? Weil wir Menschen sind. Und Menschen müssen helfen, wenn einer Hilfe braucht. Aber gibt es nicht zahllose andere Menschen in Not, denen nicht geholfen wird - obwohl ihnen viel leichter zu helfen wäre, mit wesentlich geringeren Kosten und Medienrummel? Das ist ohne Zweifel so. Aber das ist kein Grund, dem einen nicht zu helfen. Das ist ein Grund, den vielen besser zu helfen.
Doch warum steigt einer überhaupt so tief hinab in ein finsteres, enges Loch? Muss man überhaupt so ein Risiko eingehen? Wäre es nicht von Anfang an sicherer gewesen, oben zu bleiben, am Licht? Klar wäre es das. Aber Johann Westhauser ist kein Tourist, keiner, der aus purem Leichtsinn in den Schacht gekraxelt ist und sich den Fuß verknackst hat, weil er dummerweise Turnschuhe trug. Nein, Westhauser ist Forscher - und verkörpert mit diesem Beruf eine weitere konstituierend menschliche Eigenschaft: die Neugierde. Als Westhauser in die Riesending-Schachthöhle stieg, war er im Auftrag der Menschheit unterwegs.
Denn was macht den Mensch zum Menschen? Dass er wissen will. Würde die Menschheit sich dazu entschließen, keine Höhlen mehr zu erforschen, nicht mehr in die Meere zu tauchen und den Weltraum Weltraum sein zu lassen, weil das alles zu gefährlich und zu teuer ist - sie hätte vielleicht ein bequemes, sicheres Leben in Wärme und Licht. Aber tatsächlich hätte sie sich damit in eine tiefe Höhle gelegt: zum Sterben.
Johann Westhauser ist aus der Riesending-Schachthöhle gerettet - unter massivem Einsatz von Personal und Material. Wer soll für die Kosten seiner Rettung aufkommen?

E-Mail: Stefan_Kuzmany@spiegel.de
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