"Stern"-Relaunch Warst du beim Friseur, Schatz?
Tetsche, Jörges und die Wundertüte: Der "Stern" erscheint in neuem Gewand, die Ressorts wurden neu organisiert - und doch hat sich das Heft nur behutsam verändert. Im neuen "Stern" steckt viel Vertrautes.
Ist das wirklich der neue "Stern"? Noch mal genauer hinschauen.
Doch, doch, da ist eindeutig etwas anders: Der weiße Stern auf rotem Grund ist jetzt ein wenig abgerückt vom Heftrand, und der Titelschriftzug kommt eindeutig ein bisschen bauchiger daher als früher. Und sonst? Legt man den aktuellen, generalüberholten "Stern" neben die Ausgabe der vorigen Woche, springen eher Gemeinsamkeiten ins Auge als Unterschiede.
Zur Abwechslung mal Genuss statt Alarm
Beide Hefte ziert auf der Titelseite das Foto eines nichtprominenten Mannes mit einer persönlichen Geschichte, letzte Woche war es Bernd Tränhardt und seine überwundene Alkoholsucht, diesmal ist es der katholische Ex-Priester Anton Aschenbrenner, der Gott liebt und auch eine Frau. Zwei weitere Texte aus dem Heft werden auf dem Titel in kurzen Blöcken angekündigt, davon handelt einer von einer Frau, die sich auf eine ungewöhnliche Reise begibt (letzte Woche: ein Flüchtlingsmädchen aus Kabul wird Model, diesmal: eine Journalistin gewinnt viel Geld und macht eine Weltreise). Ein viertes Thema ist die Sicherheit unseres Essens: letzte Woche waren die "Lebensmittelprüfer überfordert", wie eine rote Banderole unter der Zeile "Außer Kontrolle" warnte. Im neuen "Stern" finden die nun wieder zu beruhigenden Leser "Lebensmittel, denen Sie trauen können", angekündigt in einem sympathischen gelben Knubbel unter der Überschrift "Genuss" (Anmerkung der Redaktion: SPIEGEL ONLINE lag ein Vorab-Exemplar der neuen "Stern"-Ausgabe vor. Die in den Handel kommende Covergestaltung unterscheidet sich davon leicht, siehe Bild).
"Über Monate hinweg haben wir, die Redakteure und Grafiker, die Zeitschrift gründlich erneuert", schreibt Dominik Wichmann in seinem Editorial. Er muss das schreiben. Seit Juli 2011 ist der ehemalige Chef des "SZ-Magazins" in der "Stern"-Chefredaktion, ab Mai 2013 soll er das Flaggschiff des Verlags Gruner +Jahr alleine leiten, da ist eine gründliche Erneuerung Pflicht, da müssen Zeichen gesetzt werden - zumal, wie Wichmann an selber Stelle zitiert, der "Stern"-Gründer Henri Nannen bereits vor mehr als 40 Jahren die beständige Veränderung des Heftes als Voraussetzung für dessen dauerhaftes Wohlergehen angemahnt hatte.
Keine Revolution, eher eine behutsame Neuordnung
Und dieses Wohlergehen ist in Gefahr: So wie fast alle großen Publikumszeitschriften (der SPIEGEL eingeschlossen) plagt auch den "Stern" der schleichende Auflagenschwund. Die Verbreitung des Heftes sinkt seit 2004, immer weiter entfernt sie sich von der früher mühelos übertroffenen Millionenmarke. Im vierten Quartal 2012 lag die durchschnittliche Auflage des "Stern" laut IVW bei knapp unter 800.000 Exemplaren.
Es ist eine Gratwanderung, in diesen unsicheren Zeiten auf dem Markt für Gedrucktes ein bewährtes Produkt zu verändern: Einerseits muss es mit der Zeit gehen, sich wandeln, um noch als aktuell empfunden zu werden. Andererseits könnte eine blattmacherische Revolution die Stammleser vertreiben. Das ist beim jetzigen Relaunch des "Stern" allerdings kaum zu erwarten.
Wer den "Stern" so kennt und schätzt, wie er schon immer war, wird alles wiederfinden, was ihm ans Herz gewachsen ist: Die lustig betexteten Sprechblasen in Politikerfotos, den bissigen Haderer-Cartoon und die Tetsche-Seite mit dem Rebus unten dran, Til Mette hat etwas Freches gezeichnet, ganz hinten fragt man bewährt "Was macht eigentlich?", und es liest, jetzt weit nach vorne gerückt, Hans-Ulrich Jörges mit seinem "Zwischenruf" den Politikern ordentlich aus dem Stammbuch vor, Verzeihung: schreibt ihnen kräftig die Leviten.
Die Änderungen sind eher unauffällig. Die Ressorts wurden neu organisiert, im Impressum sind jetzt nur noch vier ("Deutschland", "Welt", "Wissen", "Leben"), wo früher sieben zu finden waren. Dieser recht radikale interne Redaktionsumbau schlägt sich im Ergebnis allerdings nur gedämpft nieder, eher wie eine behutsame Neuordnung. Und diese ist durchaus liebevoll gestaltet: Die Rubrikentitel stehen nun zentriert über den Seiten, die Schriftarten wurden verändert, nach Leserbriefen und Bildern der Woche folgt ein erweiterter aktueller Teil namens "Diese Woche" mit neuen Rubriken wie "Die Welt verstehen - Kurze Antworten auf drängende Fragen" oder "Auf dem Weg zur Arbeit", ein kurzes Porträt.
Neue Schriften, neue Rubriken - und der "Harlem Shake"
Vor allem diesem Teil des Heftes ist die Münchner Schule anzumerken, aus der Wichmann kommt: "Sehen und gesehen werden", eine kleine satirische Bildstrecke, könnte so ähnlich auch im "SZ-Magazin" zu finden sein, die grafische Aufbereitung der Kennzahlen des VW-Konzerns auf einer Doppelseite wirkt wie einer Erwachsenenversion des ebenfalls an der Isar entstehenden G+J-Jugendproduktes "Neon" entnommen - durchaus folgerichtig, sollen dessen Leser doch die künftigen "Stern"-Käufer sein.
Je tiefer man dann in den neuen "Stern" vordringt, desto mehr zeigt er sich als das, was er schon immer war: eine mal mehr, mal weniger interessant gefüllte Wundertüte. Der verliebte Gottesmann wird mit großer Bildstrecke präsentiert. Michail Gorbatschow erinnert sich an sein Leben. Man tanzt, wie derzeit offenbar überall auf der Welt, den sogenannten "Harlem Shake".
Kurz nachgefragt bei einem "Stern"-Kollegen: Sag mal, so richtig viel verändert habt ihr ja nicht, oder? Na super, antwortet der. Das sei wahrscheinlich so, als wenn sich ein Mann komplett neu stylt, jedenfalls seiner Meinung nach, seine Frau dann erwartungsvoll anschaut und sie antwortet: Ist was, Schatz? Irgendwas mit deinen Haaren, oder?
Doch, doch, irgendetwas ist anders.