75. Filmfestspiele von Venedig
Zum Jubiläum viel Stress
Das älteste der großen Filmfestivals hat sich zum 75. Geburtstag ein Programm mit vielen Oscar-Anwärtern gegönnt. Vielen stinkt jedoch, wie sehr Venedig Netflix hofiert und die Filme von Frauen vernachlässigt.
Von Andreas Borcholte
Filmfestival Venedig: Das sind die Anwärter auf den Goldenen Löwen
Universal Pictures
Aufbruch zum Mond: "La La Land"-Regisseur Damien Chazelle präsentiert sein Astronautendrama "First Man" (mit Ryan Gosling) als Eröffnungsfilm der 75. Kino-Biennale.
BUENA VISTA INTERNATIONAL / Pergamon Film / Wiedemann & Berg Film
"Werk ohne Autor": Tom Schilling und Paula Beer spielen Hauptrollen in Florian Henckel von Donnersmarcks dreistündigem Künstler-Biopic, dem einzigen deutschen Beitrag im Wettbewerb.
Filmfest Venedig
Ein zweites Maler-Biopic schickt Julian Schnabel, seines Zeichens selber Maler, ins Rennen: In "At Eternity's Gate" inszeniert er Willem Dafoe als Vincent van Gogh.
Netflix
Netflix dreht auf: "The Ballad Of Buster Scruggs" von den Regie-Brüdern Joel und Ethan Coen sollte eigentlich eine Anthologie-Serie werden, jetzt ist die Western-Farce ein Film und läuft im Wettbewerb.
Netflix
Mexikos politische Unruhen in den Siebzigern: Oscarpreisträger Alfonso Cuarón ("Gravity") kehrt mit seinem Familiendrama "Roma" zurück zum spanischsprachigen Kino. Auch sein Film wurde von Netflix produziert.
Filmfest Venedig
Carlos Reygadas ist im Vergleich zu seinem Landsmann Cuarón weniger bekannt, doch seine Filme werden fast noch heißer geliebt und zahlreicher ausgezeichnet. Von ihm wird nun "Nuestro Tiempo" zu sehen sein.
Simon Mein/ Amazon/ Filmfest Venedig
Vom Netflix-Konkurrenten Amazon Studios wurde Mike Leighs historisches Drama über das Massaker von "Peterloo" mit Maxine Peak erworben und im Wettbewerb platziert.
Okta film/ Filmfest Venedig
Mit drei Beiträgen ist das italienische Kino gewohnt stark im Wettbewerb vertreten: Von Roberto Minervini läuft "What You Gonna Do When the World's on Fire?"
Mario Spada/ Filmfest Venedig
Mario Martone ruft die "Capri-Revolution" aus.
Amazon/ Capelight Pictures
Am meisten Interesse dürfte aber Luca Guadagnino auf sich ziehen. Er drehte eine neue Version des Horrorklassikers "Suspiria" von Dario Argento, diesmal mit Dakota Johnson in der Hauptrolle.
20th Century Fox
Schräges Historiendrama mit starken Frauen: In "The Favourite" von Yorgos Lanthimos liefern sich Emma Stone (Foto), Rachel Weisz und Olivia Colman ein intrigantes Spiel der Leidenschaften am englischen Königshof.
Transmission FIlms
"The Nightingale": Dem Drama von Regisseurin Jennnifer Kent um australische Ureinwohner wird viel Aufmerksamkeit zuteilwerden - als einzige Regisseurin schaffte es Kent in den Wettbewerb.
Filmfest Venedig
Mit seinem Debütfilm "Sauls Sohn" gewann László Nemes gleich den Auslandsoscar. Nun folgt das Historiendrama "Napszallta" ("Sunset").
Erik Aavatsmark/ Netflix/ Filmfest Venedig
Auf der Berlinale war der norwegische Film zu dem Massaker auf der Insel Utøya zu sehen. Venedig zeigt Paul Greengrass' Version der Ereignisse vom "22 July".
Getty Images
Brady Corbets Musikerinnenfilm "Vox Lux" hat nicht nur Natalie Portman (r.) in der Titelrolle zu bieten, sondern auch Sia und Scott Walker als Verantwortliche für den Soundtrack.
Shanna Besson/ Filmfest Venedig
Auch Frankreichs Großregisseure sind gut vertreten. Cannes-Gewinner Jacques Audiard zudem mit seinem ersten englischsprachigen Film, dem Western "The Sisters Brothers" mit John C. Reilly.
Filmfest Venedig
Eigentlich greift bei Olivier Assayas' Filmen immer Cannes zu. Nun hat sich Venedig "Double Vies" mit Juliette Binoche geschnappt.
Filmfest Venedig
Zwei Stars des französischsprachigen Kinos treffen in "Frères ennemis" vom Belgier David Oelhoffen aufeinander: Reda Kateb (l.) und Matthias Schonaerts spielen zwei verstrittene Freunde, die ein Verbrechen dazu zwingt, sich zu versöhnen.
Lorenzo Hagerman/ Filmfest Venedig
US-Kino jenseits der Hollywoodstars hat Venedig auch in Maßen zu bieten - zum Beispiel "The Mountain" von Rick Alverson.
Filmfest Venedig
Als einziger Film aus Asien ist der japanische Beitrag "Zan" ("Killing") von Shinya Tsukamoto im Wettbewerb vertreten.
AP
Starpower mit Musik: Als Regisseur und Schauspieler bringt Hollywoodstar Bradley Cooper seine Neuverfilmung von "A Star Is Born" nach Venedig - allerdings außer Konkurrenz. Lady Gaga ist in der weiblichen Hauptrolle zu sehen.
AP
Festivalchef Alberto Barbera: Er verschaffte Venedig den Ruf einer inoffiziellen Oscar-Startrampe, steht aber in der Kritik, weil es zu wenig Filme von Frauen in den Wettbewerb schaffen.
Mittwoch, 29.08.2018
11:40 Uhr
So hatte sich das Alberto Barbera, künstlerischer Leiter der Biennale Cinema di Venezia, das wohl vorgestellt, als er Ende Juli das offizielle Programm der 75. Filmfestspiele am Lido vorstellte. Fast alles, was sich Kritikerinnen und Kritiker für die Jubiläumsausgabe erhofft hatten, konnte der 68-Jährige präsentieren: neue Filme von den Coen-Brüdern und Oscar-Gewinner Alfonso Cuarón ("Roma"), Frisches von Luca Guadagnino ("Suspiria"), Yorgos Lanthimos ("The Favourite") und László Nemes ("Sunset"). Das Mondlandungsdrama "First Man" von Damien Chazelle ("La La Land") eröffnet die Festspiele am Mittwoch.
Dazu kommen ein paar europäische Schwergewichte des Arthouse-Kinos: Die französischen Regiestars Olivier Assayas und Jacques Audiard sowie der Brite Mike Leigh geben dieses Jahr Venedig die Ehre. Und ein deutscher Film ist auch mal wieder im Wettbewerb: Florian Henckel von Donnersmarck, Oscar-Gewinner mit "Das Leben der Anderen", zeigt kommende Woche seine Künstlerbiografie "Werk ohne Autor" als Weltpremiere.
Das älteste der großen A-Filmfestivals schien also bestens gerüstet, um seinen Status als inoffizielle Startrampe für die US-amerikanische Oscar-Saison breitschultrig zu verteidigen. Kurz vor ihrem Start steht die Kino-Biennale jedoch eher als alter, gestriger Mann des Filmgewerbes da, denn die Entscheidung Barberas und seines Teams, wie schon 2017 nur einen einzigen Film von einer Regisseurin in den Wettbewerb zu heben ("The Nightingale" von Jennifer Kent), fliegt dem Festival um die Ohren.
Was macht eine profilierte Regisseurin wie Mary Harron ("American Psycho") mit einem Film über Charles Manson in einer Nebenreihe? Warum laufen die neuen Arbeiten von Claire Denis und Mia Hansen-Love in Toronto statt am Lido? Fragen wie diese verfolgen Venedig seitdem.
"Toxische Maskulinität"
Anfang August schickte ein Zusammenschluss von Branchenorganisationen einen offenen Brief an Barbera. Die Forderung: Die Situation von Frauen in der Filmwirtschaft zu verbessern, sich ähnlich wie zuvor bereits Cannes und Locarno dazu zu verpflichten, Diversität in der Filmauswahl anzustreben, die Anzahl und Geschlechteraufteilung der eingereichten Filme transparent zu machen und langfristig eine 50/50-Quote weiblicher und männlicher Regisseure zu erreichen. Außerdem solle das Auswahlpersonal des Festivals für "unterbewusste Vorbehalte" gegen Filme von Frauen sensibilisiert werden.
Noch weiter ging am Wochenende das US-Branchenblatt "Hollywood Reporter", das Venedigs Männerlastigkeit in einen Zusammenhang mit Italiens Kultur "toxischer Maskulinität" stellt - und einige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit nennt, wie unbeholfen, wenn nicht obstruktiv das Festival mit Sensibilitäten der #MeToo-Debatte umgehe.
Vor einigen Wochen, als erste Kritik an den fehlenden Frauen im Wettbewerb aufkam, hob Barbera entschuldigend die Hände und stellte fest, dass er und sein Festival nicht verantwortlich seien für die strukturellen Gegebenheiten der Branche; nur 21 Prozent der für diesen Jahrgang eingereichten Filme seien von Frauen gedreht worden. Zu wenige seien gut genug für den Wettbewerb gewesen: "Dagegen kann Venedig nichts machen, es ist nicht unsere Sache, diese Situation zu ändern", sagte Barbera - und lehnte sich zusätzlich aus dem Fenster, indem er hinzufügte, er würde seinen Job als Festivalchef eher an den Nagel hängen, als eine Quotierung zuzulassen.
Das Netflix-Dilemma
Je mehr sich Venedig zum Oscar-Showcase der US-amerikanischen Studios macht und in direkte Konkurrenz oder Reihung mit den Herbstfestivals in Telluride und Toronto tritt, desto mehr wird es sich jedoch auch mit dem beginnenden Wandel in der US-Filmbranche befassen müssen, wo sich im Zuge von Diskussionen um #MeToo oder #TimesUp vor allem Jüngere gegen die jahrzehntelange Dominanz von Männerwirtschaft und Misogynie stemmen und Veränderung anstreben. Mit defensiver Ignoranz wird Barbera diesem Trend künftig nicht mehr begegnen können.
Trotz eines unbestritten interessanten Programms wächst also abseits der Leinwände der Druck auf Venedig, sich zu diversifizieren und zu modernisieren. Wie kompliziert das sein kann, zeigt ein anderes Ungemach, mit dem sich das Festival konfrontiert sieht. Anders als Cannes hat Venedig die Filmangebote von Streamingdiensten von Beginn an umarmt. US-Anbieter Netflix schlägt am Lido zum wiederholten Male ein großes Lager auf und bringt gleich sechs prestigeträchtige Filme mit, darunter die Wettbewerbsbeiträge von Cuarón, den Coens und dem britischen Regisseur Paul Greengrass, der sein Utøya-Drama "22 July" zeigt.
Netflix präsentiert am Lido außerdem die aufwändig restaurierte und ergänzte Fassung von Orson Welles' letztem, unvollendeten Film "The Other Side of the Wind" und die italienische Produktion "Sulla mia pelle" in der Nebensektion "Orrizonti".
Vor allem die massive Wettbewerbspräsenz von Netflix, dessen Filme ja normalerweise keinen regulären Kinostart haben, provozierte jetzt Protest von einigen mächtigen Kinobetreiber- und Filmemacherverbänden Italiens. Diese fordern Barbera in einem gemeinsamen Statement auf, diese "kontroverse und unangebrachte" Politik ab dem nächsten Jahr zu überdenken - auch im Hinblick auf die umfangreiche öffentliche Förderung des Festivals. Eine unverhohlene Drohung in Richtung des Festivalleiters, dessen Vertrag 2018 neu verhandelt werden muss. Vor der morbid-märchenhaften Strandkulisse von Viscontis "Tod in Venedig" muss der Festivalklassiker also beweisen, wie viel Flexibilität noch in ihm steckt.
Filmfestival Venedig: Das sind die Anwärter auf den Goldenen Löwen
Universal Pictures
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Filmfest Venedig
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Mexikos politische Unruhen in den Siebzigern: Oscarpreisträger Alfonso Cuarón ("Gravity") kehrt mit seinem Familiendrama "Roma" zurück zum spanischsprachigen Kino. Auch sein Film wurde von Netflix produziert.
Filmfest Venedig
Carlos Reygadas ist im Vergleich zu seinem Landsmann Cuarón weniger bekannt, doch seine Filme werden fast noch heißer geliebt und zahlreicher ausgezeichnet. Von ihm wird nun "Nuestro Tiempo" zu sehen sein.
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Vom Netflix-Konkurrenten Amazon Studios wurde Mike Leighs historisches Drama über das Massaker von "Peterloo" mit Maxine Peak erworben und im Wettbewerb platziert.
Okta film/ Filmfest Venedig
Mit drei Beiträgen ist das italienische Kino gewohnt stark im Wettbewerb vertreten: Von Roberto Minervini läuft "What You Gonna Do When the World's on Fire?"
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Mario Martone ruft die "Capri-Revolution" aus.
Amazon/ Capelight Pictures
Am meisten Interesse dürfte aber Luca Guadagnino auf sich ziehen. Er drehte eine neue Version des Horrorklassikers "Suspiria" von Dario Argento, diesmal mit Dakota Johnson in der Hauptrolle.
20th Century Fox
Schräges Historiendrama mit starken Frauen: In "The Favourite" von Yorgos Lanthimos liefern sich Emma Stone (Foto), Rachel Weisz und Olivia Colman ein intrigantes Spiel der Leidenschaften am englischen Königshof.
Transmission FIlms
"The Nightingale": Dem Drama von Regisseurin Jennnifer Kent um australische Ureinwohner wird viel Aufmerksamkeit zuteilwerden - als einzige Regisseurin schaffte es Kent in den Wettbewerb.
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Mit seinem Debütfilm "Sauls Sohn" gewann László Nemes gleich den Auslandsoscar. Nun folgt das Historiendrama "Napszallta" ("Sunset").
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Shanna Besson/ Filmfest Venedig
Auch Frankreichs Großregisseure sind gut vertreten. Cannes-Gewinner Jacques Audiard zudem mit seinem ersten englischsprachigen Film, dem Western "The Sisters Brothers" mit John C. Reilly.
Filmfest Venedig
Eigentlich greift bei Olivier Assayas' Filmen immer Cannes zu. Nun hat sich Venedig "Double Vies" mit Juliette Binoche geschnappt.
Filmfest Venedig
Zwei Stars des französischsprachigen Kinos treffen in "Frères ennemis" vom Belgier David Oelhoffen aufeinander: Reda Kateb (l.) und Matthias Schonaerts spielen zwei verstrittene Freunde, die ein Verbrechen dazu zwingt, sich zu versöhnen.
Lorenzo Hagerman/ Filmfest Venedig
US-Kino jenseits der Hollywoodstars hat Venedig auch in Maßen zu bieten - zum Beispiel "The Mountain" von Rick Alverson.
Filmfest Venedig
Als einziger Film aus Asien ist der japanische Beitrag "Zan" ("Killing") von Shinya Tsukamoto im Wettbewerb vertreten.
AP
Starpower mit Musik: Als Regisseur und Schauspieler bringt Hollywoodstar Bradley Cooper seine Neuverfilmung von "A Star Is Born" nach Venedig - allerdings außer Konkurrenz. Lady Gaga ist in der weiblichen Hauptrolle zu sehen.
AP
Festivalchef Alberto Barbera: Er verschaffte Venedig den Ruf einer inoffiziellen Oscar-Startrampe, steht aber in der Kritik, weil es zu wenig Filme von Frauen in den Wettbewerb schaffen.
Über die Höhepunkte des Festivals werden wir ab Mittwoch regelmäßig berichten.