"Alles steht Kopf"-Regisseur Docter Pinke Prinzessinnen? Nicht mit Pixar!
Was geht im Kopf eines elfjährigen Mädchens vor? Pete Docter hat dazu das Animationsmeisterwerk "Alles steht Kopf" gedreht. Hier erklärt er, warum er pinke Prinzessinnen und andere Klischees meidet.
SPIEGEL ONLINE: In "Alles steht Kopf" verwandeln sich die Gefühle einer Elfjährigen in animierte Figuren. Wie kommt man auf sowas?
Docter: Ich wollte verstehen, was mit Menschen passiert, wenn sie aufwachsen. Meine Tochter war, bevor sie elf Jahre alt wurde, ein lebendiges, wildes Mädchen. Dann veränderte sie sich, zog sich zurück, wurde stiller, nachdenklicher. Das erinnerte mich an mich selbst, ich machte als Kind die gleiche Entwicklung durch. Und plötzlich hatte ich die Idee, dass daraus eine witzige Geschichte entstehen könnte - wenn die Gefühle sich in Figuren verwandeln.
SPIEGEL ONLINE: Eltern von Töchtern werden dankbar sein, dass die Hauptfigur von "Alles steht Kopf" Eishockey spielt und nie pinke Kleider trägt. Es kommen auch keine Prinzessin, keine Fee darin vor...
Docter: Oh, meine Tochter hatte natürlich auch ihre pinke Phase, aber ihre Kindheit besteht aus so viel mehr. Wir wollten in einer großen Bandbreite davon erzählen, wie Mädchen sind.
SPIEGEL ONLINE: Gehen Sie damit nicht auf Distanz zu der Welt, die Pixars Mutterkonzern Disney in seinen Filmen zeigt?
Docter: Klar, da gibt es Busladungen voller Prinzessinnen, bei uns eben nicht. Allerdings gibt es bei Disney auch andere Welten, die ich sehr schätze. Aber es stimmt, unser Film passt da nicht hinein.
SPIEGEL ONLINE: Was also macht den Unterschied zwischen Disney und Pixar aus?
Docter: Disney hat natürlich diese großartige, lange Tradition, Klassiker wie "Fantasia", "Peter Pan" und "Dumbo" werden bei Pixar oft als Vorbilder zitiert. Aber wir gehen zugleich auf Distanz zu dieser Tradition.
SPIEGEL ONLINE: Sie stießen 1990 zu Pixar. Was hat Sie an der Aussicht gereizt, für diese damals so kleine Firma zu arbeiten?
Docter: Was mich anzog, war nicht unbedingt die Aussicht, Computeranimationen zu machen. Auf den technischen Aspekt bin ich als Kind und Jugendlicher sehr abgefahren. Als ich älter wurde, interessierte mich aber immer stärker das eigentliche Erzählen. Und das war etwas, was ich schon in den frühen Pixar-Kurzfilmen bewunderte: Sie hatten eine exzellente Technik - und echte Figuren.
SPIEGEL ONLINE: "Alles steht Kopf" ist ein Film, der für Kinder und Erwachsene funktioniert. Stellt das nicht ein Problem für die Vermarktung des Films dar?
Docter: Damit habe ich mich noch nie beschäftigt. Ich weiß, dass ich eine Menge Glück habe, weil ich für ein Studio arbeite, das den Filmemachern diese Freiheit lässt. Obwohl es natürlich auch bei Pixar Hürden gibt. Die größte ist John Lasseter, der künstlerische Leiter. Wenn ich ihm eine Idee vorstelle und er lehnt sich nach vorn und zeigt Interesse, dann ist ein Projekt auf einem guten Weg.
SPIEGEL ONLINE: "Alles steht Kopf" wirkt so, als hätten Sie sich hier alle Freiheiten genommen. Der Film steckt voller Witze und Anspielungen, zum Beispiel auf die Kunstgeschichte.
Docter: Unser Ansatz war: Lasst uns einen Animationsfilm machen, der cool und anders ist. Ich will ja nicht das echte Leben zeigen. Wollte ich das, würde ich mir eine Kamera schnappen und damit rausgehen. Hier aber können wir mit den Mitteln des Animationsfilms eine Fantasiewelt kreieren, sogar visuelle Äquivalente für abstrakte Gedanken finden. Wir hatten wirklich die Möglichkeit, die Grenze zu verschieben. Das war nicht so einfach - manchmal ist das, was man auf der Leinwand sieht, der 47. Versuch einer Szene.
SPIEGEL ONLINE: Als Animationsfilmer sind Sie frei von den physikalischen Gesetzen der echten Welt. Entsteht dadurch aber nicht auch der Zwang, besonders diszipliniert zu arbeiten, damit Sie sich nicht verzetteln? Wie kanalisieren Sie die Fantasie?
Docter: Wenn in einem Film Häuser aus Wackelpudding herumstehen, Menschen schmelzen und alles explodiert, dann geht das Publikum irgendwann nicht mehr mit. Unsere Vorbereitung ist extrem penibel. Bevor wir mit der eigentlichen Produktion beginnen, haben wir nicht nur die größten Probleme im Drehbuch gelöst und eine Vorstellung davon, wie die Figuren und ihre Welt aussehen sollen. Wir haben auch jede einzelne Szene gezeichnet.
SPIEGEL ONLINE: Gezeichnet? Und das in Zeiten der Computeranimation?
Docter: Wir arbeiten intensiv mit Storyboards. Die helfen uns auch, wenn wir mit dem Drehbuch nicht weiterkommen. Wie Hitchcock und Spielberg. Aber bei uns macht es die Essenz der Arbeit aus. Erst wenn wir die Geschichte gezeichnet haben, sehen wir, ob sie auch funktioniert. Es ist fast so, als würden wir den Film schneiden, bevor wir überhaupt mit dem Dreh beginnen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben schon als Kind Ihre ersten Filme gedreht. Was hat Sie so daran fasziniert?
Docter: Eindeutig Eskapismus. Ich wollte mit der Welt nichts zu tun haben, ich war ein schüchternes Kind und hatte nicht viele Freunde. Also habe ich viel Zeit mit Malen oder dem Kreieren anderer Welten verbracht. Mein Vater besaß eine 8mm-Kamera, und ich fand heraus, wie ich damit Stop-Motion-Filme machen konnte. Das war meine Methode, für mich selbst eine sichere Welt zu inszenieren. Es gab dort keine Angst, keine fremden Menschen, mit denen ich sprechen musste. Ich glaube, ein Teil dieser Gefühlswelt treibt mich bis heute an.
SPIEGEL ONLINE: Ist es das, was Kunst für Sie überhaupt ausmacht?
Docter: Ja. Kunst kann sich vollkommen von der Welt entfernen. Aber egal, wie fantastisch oder bizarr sie ist - immer lässt sie unser reales Leben in einem anderen, neuen Licht erscheinen.
SPIEGEL ONLINE: Sie zeigen in "Alles steht Kopf" ja auch komplexes menschliches Verhalten, besonders was das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern angeht.
Docter: Kann es ein komplexeres Verhältnis geben als das zwischen Eltern und Kindern? Als unser erstes Kind geboren war, sagte jemand zu meiner Frau und mir: "Von heute an bereitet ihr dieses Kind darauf vor, euch zu verlassen." Als Eltern hat man natürlich genau den entgegengesetzten Instinkt. Man will die Welt perfekt für sein Kind machen: "Ich mache deine Hausaufgaben, ich wasche deine Sachen, ich räume alle Gegenstände mit scharfen Kanten weg." Wir müssen sie aber loslassen, damit sie ihre eigenen Fehler machen können.