Deutscher Filmpreis 2010 Heute Lola, morgen Arbeitsamt
Bernd Eichinger war gerührt, Sibel Kekilli fragte nach Arbeit - und Michael Haneke triumphierte: Zehn Lolas gewann sein Schwarzweiß-Drama "Das weiße Band" bei der 60. Verleihung des Deutschen Filmpreises. Doch auch das deutsche Gegenwartskino zeigte sich in Hochform.
Hängt da oben an der Decke des Berliner Friedrichstadtpalast neuerdings eine Disco-Kugel? Nein, es war nur die kugelrunde Barbara Schöneberger im funkelnden Paillettenkleid, die man gestern in luftiger Höhe aufgeknüpft hatte, damit sie zu Beginn der Gala auf einem Halbmond auf die Bühne herabschweben konnte.
Als sie gelandet war, holte sie dann zum Rundumschlag gegen die versammelte Film- und Politprominenz (Angela Merkel inklusive) aus. Eine Frau in anderen Umständen darf ja sowieso alles: Komische Sachen in sich hineinstopfen genauso wie Leute vor den Kopf stoßen. Und Schöneberger setzte ihren Bauchbonus bei der Vergabe des Deutschen Filmpreises wirklich gekonnt ein: "Schwangere Moderatorinnen im Fernsehen", sagte sie, "sind ja so selten wie Til Schweiger mit einer Lola in der Hand."
Damit war denn auch die obligatorische Häme gegen Til Schweiger ausgeschüttet, der mal wieder beleidigt war, weil sein Kassenhit "Zweiohrküken" nicht für den Preis nominiert und er deshalb der Veranstaltung ferngeblieben war.
Einer aber, der sonst auch gerne in Sachen Deutscher Filmpreis grollt und schmollt, war gestern gekommen, um zu weinen: Bernd Eichinger. Deutschlands mächtigster Produzent ("Der Untergang", "Der Baader Meinhof Komplex", "Zeiten ändern Dich") nahm sichtlich gerührt eine Ehren-Lola entgegen. Man muss die Filme Eichingers, die ja fast immer am ambitionierten Thema vorbei auf Effekt inszeniert sind, nicht mögen, um den Preis für ihn richtig zu finden. Ein ähnlicher Machertyp, der gegen alle Widerstände sein Ding durchzieht, lässt sich im deutschen Filmgeschäft wohl kein zweites Mal finden. Für die, die unter ihm arbeiten, ist seine Durchsetzungskraft aber eben oft ein Fluch: Viele Regisseure hat er groß gemacht, einige sind an ihm verzweifelt.
Tränen, Verzweiflung, Glück
Das große Können der beiden ehemaligen Präsidenten der Filmakademie, Senta Berger und Günter Rohrbach, zeigte sich darin, dass sie Eichinger in ihrer Laudatio in seiner ganzen schillernden Pracht darzustellen vermochten - als Regisseurfresser und Set-Diktator ebenso wie als Visionär und Wirtschaftskraft. Der Geehrte nahm den Preis trotzdem freudig an, vibrierte förmlich vor Emotion. Und selbst diejenigen im Saal, die sonst vor ihm zu zittern haben (also so gut wie alle), schienen gerührt zu nicken.
Tränen, Verzweiflung, Glück - all das wirkte in dieser relativ straff durchinszenierten Veranstaltung zur 60. Vergabe des Deutschen Filmpreises überhaupt nicht aufgesetzt. Wohl auch deshalb, weil die aus der Krise resultierende Erkenntnis, dass Karrieren von heute auf morgen beendet sein können, inzwischen auch im Filmgeschäft seine Spuren hinterlassen hat.
Umso rührender der Auftritt der deutsch-türkischen Schauspielerin Sibel Kekilli, die vor sechs Jahren zwar mit dafür gesorgt hat, dass "Gegen die Wand" auf der Berlinale den Goldenen Bären erhielt - die danach aber in fast keinem guten Film mehr mitspielen durfte, ja die von hiesigen Regisseuren geradezu vor der Kamera verheizt wurde.
Dafür erhielt sie nun für ihren klugen, punktgenauen und aufwühlenden Auftritt in dem Drama "Die Fremde", der Chronik eines sich ankündigenden Ehrenmordes, die Lola als beste Darstellerin. Barfuß stürmte Kekilli auf die Bühne und gestaltete ihre atemlose Rede spontan als Bewerbungsschreiben: "Ich, Spielalter: 23 bis 30, bin an Rollen interessiert. Ich will arbeiten! Ich will drehen!" Heute Lola, morgen Arbeitsamt, da müssen eben neue Strategien her.
Weniger hochtourig sammelte der Regisseur Michael Haneke seine Preise ein. Das würde ja auch irgendwie nicht zu dem spröden österreichischen Protestanten passen, der mit "Das weiße Band" eine Art düsteres deutsches Filmwunder vorgelegt hat und in der Entgegennahme von Trophäen ja ohnehin schon eine gewisse Routine aufweist. Den Auslands-Oscar gab es zwar nicht, dafür räumte sein Film fast alle wichtigen europäischen Preise ab.
Vielseitiger Filmjahrgang
In Berlin bekamen Haneke und sein Team nun insgesamt zehn Lolas, jede davon verdient. Aber natürlich ist es ein bisschen schade, dass dadurch der Blick auf das deutsche Kino ein wenig verengt wurde - zumal wir es mit einem phantastischen und vielseitigen Filmjahrgang zu tun hatten.
Man muss sich ja nur mal die Bewerber in der Hauptkategorie "Bester Film" anschauen: Großes global vernetztes Politkino (Hans-Christian Schmids "Sturm", erhielt immerhin die Silber-Lola) war da ebenso präsent wie kleine multiethnisch aufgeladene Kiezkomödien (Fatih Akins "Soul Kitchen"). Meisterhafte Beziehungsminiaturen (Maren Ades "Alle anderen") hatten ebenso ihren Platz wie detailgenaue Migrantenmelodramen (Feo Aladags "Die Fremde", erhielt die Bronze-Lola). Der deutsche Film könnte in seinen ästhetischen und politischen Strategien also kaum vielschichtiger sein. Er ist nah dran an den Themen der Zeit, er hat was zu erzählen, er atmet Gegenwart.
Und trotzdem: Wie Haneke für "Das weiße Band" an den Vorabend des Ersten Weltkriegs zurückgeht, um tief in die verschüttete deutsche Psyche hinabzusteigen und von den aufziehenden Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts zu erzählen, das hat es im deutschen Kino so noch nie gegeben.
Besonders erfreulich, dass in der Kategorie beste Nebendarstellerin die junge Maria-Victoria Dragus ausgezeichnet wurde. In "Das weiße Band" spielt sie eine Pastorentochter, die mit kalter und sadistischer Visage Angst verbreitet. Auf der Bühne war nun eine lustige, aufgeregte, sympathische 15-Jährige zu sehen. Irgendwie beruhigend, dass dieser abgrundtief böse Ausnahmefilm offensichtlich doch von ganz normalen Menschen gemacht wurde.