Abschluss von "Die Tribute von Panem" Auf Wiedersehen, Rebellin
Mit "Mockingjay Teil 2" müssen die Zuschauer Abschied nehmen von Widerstandskämpferin Katniss Everdeen - und damit von einer wahrhaft hintersinnigen und aufrichtigen Blockbuster-Serie. Folgerichtig gibt es hier nur Überlebende, keine Helden.
Sie wollte nur ihre Schwester retten. Aber wie Millionen Leser und Kinobesucher wissen, kommt Katniss Everdeen in der "Hunger Games"-Erzählung eine andere Rolle zu: Ihr Überlebenskampf in perfiden Zirkusspielen hat das "Girl on Fire" zur zweifelnden Gallionsfigur einer Rebellion gegen das totalitäre Regime im postapokalyptischen Staat Panem gemacht.
Mit "Mockingjay Teil 2" schließt nun die Verfilmung von Suzanne Collins' dystopischer Romanreihe, und somit heißt es Abschied nehmen: Von einem Blockbuster-Phänomen, das einen entscheidenden Tick hintersinniger, aufrichtiger und schlicht sympathischer war, als es für den kommerziellen Erfolg hätte sein müssen. Und von einer Heldin - eindringlich verkörpert von Jennifer Lawrence - deren widerständiges Werden nicht nur die Herzen des jungen Zielpublikums entflammte.
Davor steht die letzte Etappe eines Feldzugs, in dem Kameras ebenso wichtig sind wie Kanonen, wenn nicht gar bedeutender. Unter Führung von Alma Coin (Julianne Moore) rückt die aus den Distrikten des Landes rekrutierte Rebellenarmee auf das Kapitol vor, das Machtzentrum Panems und Sitz des verhassten Präsidenten Snow (Donald Sutherland).
In Coins Strategie soll Katniss als telegenes Gesicht der Revolution mit Videobotschaften die Massen gewinnen. Für Dreharbeiten wird ein Stoßtrupp gebildet, zu dem neben Katniss' Jugendfreund Gale (Liam Hemsworth) auch Peeta (Josh Hutcherson) gehört, ihr nach Folter und Indoktrination durch die Gegenseite traumatisiert zurückgekehrter Partner aus den Hunger Games. Allein, der Star des Propagandaprojekts hat andere Pläne: Katniss will nicht abseits der Front in schwelenden Ruinen posieren, sondern eigenhändig Snows Herrschaft beenden.
Zwischen TV-Kampagne und Tyrannenmord
Die tödlichen Inszenierungen der "Hunger Games" aus den vorherigen Filmen haben nunmehr die abgezirkelten Arenen des Regimes gesprengt und sind im Finale überall in der grauen Waschbetonwelt Panems angelangt. In "Mockingjay" verwischen die Grenzen zwischen manipulativer Medienschlacht und blutigem Bürgerkrieg, zwischen TV-Kampagne und Tyrannenmord, weshalb sich die Figuren stetig fragen müssen, was "real" oder "not real" in diesem erbitterten Konflikt und ihrer eigenen Wahrnehmung ist.
Im Video: Stars und Regisseur über die Dreharbeiten
So war Katniss' Rebellion, die sich unter der schnörkellosen Regie von Francis Lawrence ihrem Höhe- und Endpunkt nähert, auch immer ein ästhetischer Aufstand: ein Ringen um Deutungshoheit im Krieg der Zeichen und Bilder. Aus der ebenso findigen wie mitfühlenden Survival-Spezialistin mit Pfeil und Bogen erwuchs so zunächst eine folkloristische Heldin, die intuitiv an vergessene Formen des Widerstands erinnerte, und schließlich eine überhöhte Lichtgestalt des Lumpenproletariats.
Daraus folgern Schicksalsfragen für Katniss wie für ganz Panem, die "Mockingjay" mit beeindruckender Konsequenz erörtert. Denn kann aus dem überlebensgroßen Mythos überhaupt wieder ein selbstständig handelndes Subjekt werden? Und lässt Symbolpolitik wirklichen Wandel zu, oder gibt sie alten, autoritären Strukturen lediglich einen neuen Lackanstrich?
Bomben liefern nicht die Antworten, und sie sind es auch nicht, die diesen Krieg entscheiden. Auch darum haben die Actionszenen in "Mockingjay" kein kathartisches Moment. Die martialische Gewalteruption im Kapitol - ein schroffes, futuristisches Crossover aus Pjöngjang und Metropolis, in dem nicht wenige der Berliner Drehorte zu entdecken sind - ist roh, schmerzhaft und bar eines Triumphgefühls. In der spröden Schilderung des Kämpfens und zahlreichen Sterbens glänzt dagegen einmal mehr eine hervorragende Besetzung, die das "Hunger Games"-Franchise vom ersten Film an über den Genredurchschnitt hob.
Eine Geschichte gegen die Ohnmacht
Neben der omnipräsenten Lawrence kehren illustre Darsteller wie Woody Harrelson, Elizabeth Banks, Jena Malone, Jeffrey Wright, Julianne Moore und Donald Sutherland mit großer Ernsthaftigkeit zu ihren Figuren zurück. Ebenso gibt es ein posthumes Wiedersehen mit dem schmerzlich vermissten Philip Seymour Hoffman, und während Liam Hemsworth seine oft undankbare Rolle glaubhaft ausfüllt, ist es an Josh Hutcherson, im letzten Teil eine besondere Leistung zu zeigen: Sein Peeta Mellark ist eine geschundene Seele im Schatten, da wo die flammende Rhetorik der Rebellion nichts erwärmen kann. Diesen gezeichneten und kriegsmüden Bäckerssohn behutsam das moralische Zentrum einnehmen zu lassen, ist wiederum eine weitere Qualität dieses elegischen Abschlusses.
Der kennt keine glorreichen Sieger, nur Überlebende, Versehrte und Opfer. Ihnen widmet der Film weit mehr Aufmerksamkeit, Leidenschaft und Zuneigung als seinem funktionalen Spektakel. Es ist die Stärke der "Hunger Games"-Reihe und wird das bleibende Vermächtnis von Katniss Everdeen bleiben: keine Allmachtfantasien zu bedienen, sondern eine Geschichte gegen die Ohnmacht und die Albträume zu erzählen.
Das ist, im besten Sinne, Hollywood, ist Fiktion, ist not real. Aber reell. Und richtig.
Im Video: Der Trailer zu "Die Tribute von Panem 4 - Mockingjay Teil 2"
- Offizielle Webseite zum Film
USA 2015
Originaltitel: The Hunger Games - Mockingjay: Part 2
Regie: Francis Lawrence
Drehbuch: Danny Strong, Peter Craig, (basierend auf) Suzanne Collins
Darsteller: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth
Verleih: StudioCanal Deutschland
Länge: 137 Minuten
FSK: ab 12 freigegeben
Start: 19. November 2015