Indie-Film "Meek's Cutoff" Der wildeste Westen
In "Meek's Cutoff" schickt Regisseurin Kelly Reichardt drei Familien mit Planwagen durch die USA. Ohne Wasser und ohne Orientierung. Was für eine Strapaze! Vor allem für die Zuschauer.
Das Film-Genre Western hat schon einmal Wegweisendes in Sachen Langeweile geleistet, als es das archetypische Bild für diesen Zustand erfunden hat: Stroh, das durch die Pampa weht. Nun läuft der Western "Meek's Cutoff" in den deutschen Kinos an, der unter amerikanischen Kritikern eine Debatte ausgelöst hat - über Langeweile im Film. Denn dieser ist atemberaubend langweilig. "Meek's Cutoff" - und damit geht es schon los - gehört zu jenen Filmen, deren Handlung sich tatsächlich komplett in einem einzigen Satz wiedergeben lässt: Drei Ehepaare verirren sich im Jahr 1845 mit Planwagen, Kindern und angeblich ortskundigem Führer irgendwo auf dem Weg in den Westen der USA.
Was für eine Strapaze! In erster Linie aber für den Zuschauer. Denn dieser Film ist auch deshalb so bemerkenswert, weil die Regisseurin Kelly Reichardt den Zuschauer nachempfinden lässt, wie es sich wirklich angefühlt haben könnte: die deprimierende Weite der Landschaft, die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, die sich immer weiter dehnende Zeit. Die Pioniere sind wortkarg. Durstig und stumm stolpern sie die meiste Zeit des Films durch das Geröll.
Falls es irgendetwas hilft: Das Geröll sieht super aus. Der Film ist eine ästhetische Meisterleistung - die Farben der Wüste und die Landschaftsaufnahmen sind im Wortsinn bildschön . In weichen Schnitten schieben sich die Bilder übereinander. Die Schauspieler sind ausnahmslos beeindruckend - allen voran Michelle Williams, die eine der drei Ehefrauen spielt. Als Frau wird sie in die Entscheidungen der Männer nicht mit einbezogen, doch während die andere von Minute zu Minute schwächer werden, wird sie immer stärker. Das Verzagen, das Zweifeln und das Verzweifeln - je weniger um die Figuren herum passiert, desto mehr passiert in ihnen. Die passenden Adjektive, um diesen Film zu loben, wären meditativ oder subtil.
Das Gemüse unter den Filmen
Reichardts Western ist handlungsärmer als womöglich jeder Western vor ihm und ihr Westen ist wilder: Es gibt keine Spuren von Zivilisation, außer dem nach und nach verloren gehenden Planwagen-Gepäck. Und keine Menschenseele außer einem einzigen Indianer. Andere Western spielen gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als es bereits die Eisenbahn gab oder wenigstens einen Saloon. In der Welt von "Meek's Cutoff" gibt es nichts. Und es stellt sich heraus, dass das Nichts ziemlich quälend sein kann.
Deshalb hat der Film den amerikanischen Kritiker Dan Kois zu einer Beichte inspiriert: Er habe sich gelangweilt, schrieb Kois. Filme wie "Meek's Cutoff" seien für ihn das Gemüse unter den Filmen. Man weiß, dass es einem gut tut, mag anderes aber eigentlich viel lieber. Liebhaber langweiliger Kunstfilme schauten diese Filme nicht, um sie wirklich zu sehen, sondern um sie gesehen zu haben. Die Erinnerung, das Wissen, das Reden darüber seien die besten Momente an diesen Filmen.
Andere Kritiker widersprachen Kois entsetzt. Wenn Meek's Cutoff Gemüse sei, seien schnell geschnittene Blockbuster das Fastfood unter den Filmen. Sie schrieben, dass sie "Hangover" langweiliger fanden, eben weil er nur bewährte Muster variiere. Sie schwärmten von Filmszenen, in denen Hausfrauen in Echtzeit Braten zubereiten. Und zitierten Andy Warhol. Denn Andy Warhol hat in seinen Tagebüchern geschrieben, dass er wohl eine andere Auffassung von Langeweile habe, als die meisten Leute, da er es nicht aushalten könne, die Sendungen und Filme zu sehen, die die meisten Leute mögen.
Und Andy Warhol - das muss man dazu sagen - hat einen achtstündigen Film gedreht, in dem acht Stunden lang das Empire State Building zu sehen ist. Wer sich über seine Auffassung zur Langeweile klar werden möchte, dem sei "Meek's Cutoff" hiermit ausdrücklich empfohlen - mehr Zeit und Ruhe zum Nachdenken kann man gerade nirgends sonst finden.
Meek's Cutoff. Start: 10.11. Regie: Kelly Reichardt. Mit Michelle Williams, Bruce Greenwood.