Schauspieler Zehrfeld und Maticevic "Dieser tote Reality-Doku-Soap-Brei"
Ronald Zehrfeld und Misel Maticevic gehören zu den besten deutschen Schauspielern. Im neuen Kinothriller "Wir waren Könige" spielen sie toughe SEK-Beamte, und auch bei uns teilen sie hart aus. Zum Beispiel gegen das deutsche TV.
SPIEGEL ONLINE: Herr Zehrfeld, Herr Maticevic, Ihr neuer Film "Wir waren Könige" zeigt das Innenleben einer SEK-Einheit. Zur Vorbereitung haben Sie mit Spezialkräften der Polizei trainiert, Freunden von Regisseur Philipp Leinemann. Wie war das?
Zehrfeld: Wir haben uns vor Angst fast in die Hosen gemacht. Es gab da eine schöne Situation: In einer stillgelegten Kaserne stehen wir mit echten SEKies im Kreis, die uns von einer Erstürmung berichten. Plötzlich zieht einer den Sicherungsstift einer Blendgranate, die bei solchen Einsätzen geworfen wird, und schmeißt sie in die Runde. Es gibt eine Detonation, einen Riesenknall und eine Druckwelle. Wir Schauspieler waren völlig von der Rolle, die SEKies haben gelacht.
SPIEGEL ONLINE: Was genau haben Sie mit den Polizisten trainiert?
Zehrfeld: Die Jungs haben für uns die Erstürmung einer Wohnung simuliert. Das läuft hochprofessionell ab, alle verstehen sich blind, ohne miteinander zu reden, handeln mit einer totalen Konzentration. Dann haben wir Schauspieler es nachgemacht, zum Schluss folgte die Video-Auswertung. Die Polizisten haben nur gesagt: "Du hättest deinem Kollegen hier ins Knie geschossen, hier in den Rücken. Du da hättest gar nichts gesehen, du wärst Kanonenfutter gewesen."
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SPIEGEL ONLINE: Welchen Eindruck hatten Sie von den Männern?
Maticevic: Das sind Adler. Dagegen sind wir Spätzchen. Die strahlen eine unglaubliche Ruhe aus. Ich möchte gar nicht so viel darüber sagen, weil ich jedes Mal das Gefühl habe, ich verrate zu viel von ihnen.
Zehrfeld: Wenn man mit denen in einer Kneipe sitzt und redet, merkt man, was sie für eine Raumwahrnehmung haben. Erst mal sitzen sie grundsätzlich mit dem Rücken zur Wand. Und dann checken sie ganz nebenbei alle Leute ab, die zur Tür reinkommen. Es ist total beeindruckend, was für ein Gespür für mögliche Gefahrensituationen die haben, wie wach sie sind. Dass bestimmte Manierismen schon in deren Körperlichkeit übergegangen sind. Aber genauso spannend war es zu sehen, wie sie privat unter sich sind: verspielte Männer, die auch auf den Putz hauen und "Kacke" sagen. Das hat uns wieder ein bisschen runtergeholt.
SPIEGEL ONLINE: War es schwierig, das Vertrauen der Polizisten zu gewinnen?
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SPIEGEL ONLINE: Im Film besteht eine der beiden rivalisierenden Banden aus auffallend bürgerlichen jungen Männern - zur Abwechslung mal nicht aus den üblichen "Problem-Migranten".
Maticevic: Klischees zu vermeiden, ist eine Qualität des Regisseurs. Wobei ich auch erlebt habe, dass genau das am Film bemängelt wurde. Nach dem Motto: "Wie kann es sein, dass die Hochdeutsch sprechen?" Aber mein Gott, sollen wirklich alle immer übelsten Ghetto-Slang reden? Muss man diese Schubladen wieder aufmachen? Das ist so eindimensional gedacht.
Zehrfeld: Die Mischung der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten findet ja auch im Alltag statt. Wichtig finde ich deshalb die Figur des Thorsten, der auf Bewährung ist, der mit einer Frau zusammenziehen will. Der was aus den schlechten Erfahrungen seiner Jugend begriffen hat, noch unterscheiden kann zwischen Gut und Böse und der versucht, positiv Einfluss zu nehmen. Aber es gibt auch andere Schichten der Gesellschaft, die nicht die Chance dazu haben. Weil sie ein Umfeld haben, das es nicht zulässt zu reflektieren. Wo schon ein 13-jähriger Junge durchgreift und sagt: "Die können mir nichts, ich bin minderjährig." Es ist eine Qualität des Films, dass er diese Geschichten ineinanderfließen lässt.
SPIEGEL ONLINE: Nach der TV-Serie "Im Angesicht des Verbrechens" geht es für Sie beide erneut um eine Polizeitruppe und Bandenkriminalität. Warum zurück zu einem ähnlichen Thema?
Zehrfeld: Zum einen reizt uns der Dreck unter den Fingernägeln. Mich interessiert das Thema, weil es so pur ist, weil es einen direkten Bezug zur Realität hat und nicht so weichgespült ist. Zum anderen war da der Wunsch, mal gemeinsam zu spielen, weil wir beide uns sehr schätzen. Bei "Im Angesicht des Verbrechens" gab es nur einen einzigen Drehtag, an dem wir kurz aneinander vorbeigelaufen sind.
Maticevic: Im Prinzip haben wir das Drehbuch gar nicht gewählt, sondern es hat uns gewählt. Das war eine großartige Vorlage, ein kleines Juwel. Das kriegt man nicht jedes Jahr. Ich zumindest nicht.
SPIEGEL ONLINE: Was macht Drehbuch und Film so besonders?
Maticevic: Dass es nicht nur ein Krimi ist, sondern ein Genrefilm. Ein Thriller, der wesentlich härter erzählt werden darf. Die Flut an Krimis in diesem Land langweilt mich zu Tode, und ich glaube, das geht nicht nur mir so. Es war reizvoll zu zeigen, dass man in Deutschland auch etwas anderes drehen kann - und drehen muss. Und sich nicht ausruhen darf auf ein paar Richtungen, die immer funktionieren. Andere Länder bringen Filme in die Kinos, die mit den Genres spielen, bei denen du denkst: Mann, das ist ja Wahnsinn - warum nicht hier? Dabei gibt es so viele Autoren, die Drehbücher schreiben können, die es in sich haben. Sie dürfen nur nicht.
SPIEGEL ONLINE: "Im Angesicht des Verbrechens" von Regisseur Dominik Graf wurde von der Kritik gefeiert, von der ARD aber auf einen späten Sendeplatz degradiert.
Maticevic: Genau diese Uncouragiertheit der Entscheidungsträger meine ich. Kaum ist die Quote mal nicht so gut, heißt es: Oh mein Gott, was machen wir jetzt? Ja, Leute: No guts, no glory. Wer nicht auf die Fresse fällt und sich wehtut, der kann auch nicht gewinnen. Immer auf Nummer sicher gehen, ist so langweilig. Dominik Graf hat andere Möglichkeiten, durch seinen Namen, seine Begabung, durch den Ruf als einer der besten Regisseure in diesem Land. Das macht es für ihn natürlich leichter. Aber das kann nicht alles sein, da gibt es noch viele mehr.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie noch ans deutsche Fernsehen?
Zehrfeld: Das müssen wir, sonst sind wir im falschen Land. Das TV-Programm hat ja seine Gründe. Da sind die Sehgewohnheiten, da ist der demografische Wandel. Die ältere Bevölkerung guckt nun mal Helene Fischer und Florian Silbereisen. Unsere Generation nutzt eher die Mediatheken. Der Apparat ist zu träge, weil jeder Angst um seinen Stuhl hat.
Maticevic: Ich würde keinen Unterschied machen zwischen Kino und Fernsehen. Beides ist Film, beides ist Fiktion. Und bei beidem muss es in eine andere Richtung gehen. Eine, die mehr Mut verlangt. Wie gesagt: Wenn es wehtut, weil man mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen ist und es nicht ankommt, okay. Dann darf man aber nicht gleich wieder die Flinte ins Korn werfen, sondern man muss weitermachen. Ansonsten bleibt es weiterhin bei der Dauerberieselung durch Silbereisen und Frau Fischer. Dieser ganze durchberechnete und damit tote Reality-Doku-Soap-Brei. Wirklich, da kriege ich einen Hals. So ein bisschen davon ist ja okay, aber diese Überschwemmung, die gerade im Fernsehen stattfindet, ist zum Weggucken oder gleich Abschalten. Und im Kino dieses Auf-Nummer-sicher-Gehen: überall lustige Filme - ob sie nun tatsächlich lustig sind oder nicht. Alles hat seine Berechtigung, auch die Sonntagabend-20:15-Schnulzen. Aber die Inflation, die hier stattfindet, die ist komplett ungesund.