WikiLeaks-Film "We Steal Secrets" Zwei traurige Helden
Braucht die Welt wirklich noch einen Film über WikiLeaks? Regisseur Alex Gibney wagt sich in "We Steal Secrets" an ein Doppelporträt von Julian Assange und dem mutmaßlichen Zuträger Bradley Manning. Das Resultat ist eine bemerkenswerte Doku - die Gibney den Zorn der Assange-Anhänger einbrachte.
Julian Assange mag den Film über sich und WikiLeaks nicht, das fängt schon beim Namen an. "We Steal Secrets" heißt die Dokumentation, die am Donnerstag nun auch in den deutschen Kinos startet. Schon bevor der Film in den USA angelaufen war, stand ein Script auf der WikiLeaks-Website, versehen mit giftigen Anmerkungen. "Der Titel ist falsch", steht dort. Das Zitat würde man mit WikiLeaks in Verbindung bringen. Dabei habe doch ein ehemaliger CIA- und NSA-Chef so über Geheimdienste gesprochen. "Das ist eine unverantwortliche Verleumdung."
So geht es weiter, Szene für Szene, 194 Seiten lang. Mal sollen Details nicht stimmen, dann sind Aussagen nicht nuanciert genug, und überhaupt habe niemand von WikiLeaks an dem Film mitgewirkt. Alex Gibney sagt, er habe es versucht - doch Assange soll von dem Filmemacher Geld für ein Interview verlangt haben, der Marktwert dafür liege bei einer Million Dollar, habe Assange ihn wissen lassen. Alternativ sollte Gibney angeblich seine anderen Gesprächspartner ausforschen und an Assange berichten.
Der Film muss nun ohne Interview mit dem WikiLeaks-Gründer auskommen. Gibney greift stattdessen auf existierende Aufnahmen zurück, die es ohnehin massenhaft gibt. Die Geschichte von WikiLeaks wurde schließlich bereits in mehreren Filmen ausgebreitet, in Büchern und unzähligen Artikeln. Was zu der Frage führt, wozu man sich nun eine weitere WikiLeaks-Doku ansehen sollte.
Manning ist der Held des Films
Der Grund heißt Gibney. Der Filmemacher, der bereits den Finanzjongleuren von Enron nachspürte und Kriegsverbrechen der USA beschrieb, kann komplexe Themen in packende Geschichten verwandeln. In "We Steal Secrets" lässt Gibney viel von dem weg, was ohnehin bekannt ist, und widmet sich den persönlichen Geschichten von Assange und Bradley Manning, dem mutmaßlichen Informanten, der WikiLeaks mit Hunderttausenden geheimen Dokumenten versorgt haben soll und nun vor einem Militärgericht steht.
Er habe die beiden Männer als Menschen und nicht als "politische Karikaturen" darstellen wollen, hat Gibney in einer Replik auf die vielstimmige Kritik an seinem Film geschrieben. Und die Menschlichkeit der beiden, mit ihren so unterschiedlich gelagerten Schwächen und Stärken, arbeitet er eindrücklich heraus. Doch dabei bezieht er Position und macht sich damit auch angreifbar.
Durch den Film ziehen sich die Chatlogs, in denen der Whistleblower sich dem Hacker Adrian Lamo anvertraut. Manning hadert mit seiner sexuellen Identität, er braucht jemanden zum Reden - und Lamo nutzt das aus. So erfährt er, dass der junge US-Soldat offenbar Dokumente an WikiLeaks gegeben hat, um Missstände aufzuzeigen. Die Chatlogs landen bei Behörden und der "Wired", der vermeintliche Freund verrät ihn. Als Manning verhaftet wird, sagt seine ehemalige Vorgesetzte, soll er gelächelt haben. Der an sich selbst zweifelnde Whistleblower - er ist hier der sympathische Held.
Auch Assange erscheint zunächst heroisch, er wird als Idealist gezeigt, der es mit der Welt aufnehmen will. Wie überhaupt WikiLeaks und die Anstrengungen der Aktivisten gewürdigt werden. Parallel dazu kritisiert Gibney den überbordenden Sicherheitsapparat der USA nach dem 11. September. Noch vor den Enthüllungen der NSA-Überwachung durch Edward Snowden gibt es hier Hinweise auf den Datenhunger der Spione.
Erst entschlossen, dann aufgeblasen
Aber Gibney hat keinen Film über WikiLeaks als Organisation, die Rolle der Medien oder die politische Hetzjagd gemacht, sondern über zwei Menschen. Und er bezieht Stellung, weshalb ihm Assange-Fans eine Schmierenkampagne vorwerfen, die der US-Regierung nützen soll. In der zweiten Hälfte des Films zeigt Gibney nämlich, wie dem störrischen WikiLeaks-Gründer der Ruhm zu Kopf steigt und seine kleine Truppe zunehmend überfordert ist.
In der inszenatorisch stärksten Szene tanzt Assange ausgelassen im Flackerlicht. Gibney unterlegt das mit dem Hit "Telephone" von Lady Gaga, in dem sie davon singt, dass sie lieber tanzen und nicht mit ihrem Freund telefonieren will. Da sitzt Manning bereits in Einzelhaft. Vorher sind Chatnachrichten zu sehen, seinem vermeintlichen Freund Lamo erzählt er, dass er die geheimen Dokumente auf einer wiederbeschreibbaren CD von seinem Arbeitsplatz auf der Militärbasis in der Nähe von Bagdad geschmuggelt hat - beschriftet mit "Lady Gaga".
Aber auch der tanzende Assange stürzt über sich selbst, so erzählt es zumindest Gibney. In Schweden werfen ihm zwei Frauen sexuelle Übergriffe vor. Eine der Frauen kommt in dem Film selbst zu Wort, sie erzählt, dass Assange sie zum Sex ohne Kondom gezwungen habe, gegen ihren Willen. Weil sie zur Polizei ging, berichtet sie, bedrohen sie WikiLeaks-Anhänger. Hier wirft Gibney mit Schmutz, er raunt sogar, der Australier habe in verschiedenen Ländern bereits vier Kinder mit vier Frauen.
Die schwedischen Behörden wollen Assange vernehmen und entscheiden, ob es zur Anklage kommt. Doch der entzieht sich dem Verfahren, flieht in die ecuadorianische Botschaft in London. Er fürchtet, an die von WikiLeaks bloßgestellten USA ausgeliefert zu werden. Am Ende sitzen sie beide fest, jeder für sich: Manning im Gefängnis, Assange im Botschaftsasyl. Gibney lässt keinen Zweifel daran, welcher der beiden ihm sympathischer ist.