Cowboy-Storys von Sam Shepard Darauf einen Whisky
Sam Shepard gilt als der coole Hund der US-Kulturszene. In einem Band mit Kurztexten lernen wir nun, was ihm nach Drehtagen durch die Rübe rauscht: Gedanken aus einem Land, das seine Unschuld verloren hat.
Er hat einen Schnurrbart und schwarzgelocktes Haar, vorstehende Schneidezähne und aufgedunsene Haut. Was ihm fehlt? Sein Körper. Sauber abgetrennt, liegt der Kopf im Straßengraben, irgendwo an einem Highway in Arkansas, und quatscht einen Passanten an: Er möge ihn aufheben und an einen ruhigeren, einen schattigeren, einen angenehmeren Ort tragen.
Der Kopf taucht in fünf rätselhaften Texten auf, lose verteilt über das neue Buch von Sam Shepard, einer Legende der US-Literatur: Er hat Dutzende Theaterstücke verfasst, darunter "Vergrabenes Kind", für das er 1979 den Pulitzerpreis bekam. Er hat Drehbücher zu Erfolgsfilmen geschrieben, darunter jenes zu Michelangelo Antonionis "Zabriskie Point" und jenes zu "Paris, Texas" von Wim Wenders, der mit dem Film 1984 in Cannes die Goldene Palme gewann. Er hat auch selbst in Erfolgsfilmen mitgespielt, darunter als melancholischer Farmer in Terrence Malicks "In der Glut des Südens", als unbeugsamer Testpilot in "Der Stoff, aus dem die Helden sind" und als Einzelgänger in Volker Schlöndorffs "Homo Faber". Liiert war er mit der Rocksängerin Patti Smith, verheiratet mit der Schauspielerin Jessica Lange.
Shepard, soeben 70 geworden, gilt als der coole Hund der US-Kulturszene, als der Cowboy unter den Künstlern, aufgewachsen auf einer Avocado-Farm in Kalifornien. Das Umschlagfoto des neuen Buches bedient dieses Bild: Es zeigt ihn als Knirps, den Cowboyhut lüftend, auf dem Rücken eines Pferdes. Quer über dieses Foto ist der Titel des Buches gedruckt: "Drehtage".
Irgendwo im Nirgendwo
Einerseits führt das in die Irre, denn um das Filmgeschäft geht es nicht in diesem Buch, andererseits passt es perfekt, denn das Filmgeschäft hat die Situationen geschaffen, in denen dieses Buch entstanden ist. Es liest sich wie eine Schmierkladde, in die Shepard notiert hat, was ihm nach Drehtagen, irgendwo in einem Trailer im Nirgendwo, durch die Rübe gerauscht ist: Miniaturen ohne Pointe. Texte, die nicht mit einem Punkt enden, sondern mit drei Punkten. Als sei der Erzähler, ähnlich wie der Kopf ohne Körper, im Straßengraben gelandet und beobachte von dort die Welt. Seine Perspektive ist eingeschränkt, sein Horizont reicht nicht weit, und so sieht er immer nur Bildschnipsel, nie das ganze Bild.
"Stories" nennt der Verlag diese Texte, aber klassische Short Storys sind es kaum, eher Bruchstücke von Short Storys, die meisten nur eine halbe oder eine oder eineinhalb Seiten lang, ergänzt um Gedichte und Gespräche. Viele der Texte spielen an schmuddeligen Straßen und in schäbigen Hotels, manche sind schlicht nach ihrem Schauplatz betitelt, inklusive der Nummer des Highways, an denen dieser Schauplatz liegt. Ihr Ton ist so staubtrocken, dass sie sich am besten mit einem Whiskey runterspülen lassen.
Es sind Unterwegs-Geschichten, aber viel Bewegung ist nicht in ihnen. Im Gegenteil: Es sind Zustandsbeschreibungen tief aus dem Westen eines Landes, das seine Unschuld verloren hat. Stillstandsbeschreibungen. Hintereinander weggelesen, wirken sie nicht wie ein gedrucktes Roadmovie, sondern wie ein gedruckter Diaabend. Ein Abend mit sehr gedrückter Stimmung.
Sam Shepard: Drehtage: Stories. Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main; 320 Seiten; 19,99 Euro.