"Die Brüder Boateng" Die Deutsche Internationalelf
Jérôme spielt für Jogi Löw. Kevin-Prince gilt als der Brutalo, der Ballack umgeholzt hat. Und George? Kennt kaum jemand. Das Buch "Die Brüder Boateng" porträtiert die drei Kicker - und ist ein Plädoyer für eine deutsche Multikulti-Mannschaft. Nummer zwei der elf besten Bücher zur Fußball-EM.
Darum geht's: Kevin-Prince Boateng wurde auch dem nur beiläufig an Fußball Interessierten zum Begriff, als er im englischen Pokalfinale 2010 Michael Ballack so foulte, dass der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft die WM in Südafrika verpasste. Bei der traf er mit der Nationalmannschaft Ghanas, dem Land seines Vaters, auf seinen Halbbruder Jérôme Boateng, der für Deutschland in die Startelf gerutscht war. Beide sind in Berlin geboren, haben denselben Vater, aber unterschiedliche Mütter; Kevin wuchs im sozial schwachen Wedding auf, Jérôme im bürgerlichen Wilmersdorf. Der "FAZ"-Sportredakteur Michael Horeni erzählt die Geschichte zweier verwandter Fußballstars, die sehr verschiedene Karrierewege eingeschlagen haben - vom gemeinsamen Bolzen im Berliner Fußballkäfig aus. Damals war noch der dritte Boateng-Bruder dabei, George (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Spieler von Nottingham Forrest). Auch er war hochtalentiert, geriet aber auf die schiefe Bahn und schaffte es nie zum Profi.
Das lernt man: Gut kicken können viele, zum Star werden wenige. "Die Brüder Boateng" ist ein Lehrstück darüber, wie die Umstände die Karriere bestimmen. Ihre herausragenden Fähigkeiten erarbeiteten sich die drei Brüder in dem Fußballkäfig an der Panke. Alle landen beim führenden Verein am Ort, Hertha BSC. Doch der überlässt die Talente weitgehend sich selbst; von koordinierter Jugendarbeit, die auch die schulische Entwicklung und die Fähigkeit zur Kommunikation mit der Öffentlichkeit betrifft, keine Spur. Horeni stellt als Gegenentwurf den VfB Stuttgart vor, der bei seinen Jugendspielern auf Benimm achtet und sogar auffällige Tätowierungen untersagt. Trotzdem schlagen die wilden Hertha-Jungs, die sich als Ghetto-Kids inszenieren, den VfB im Kampf um die Deutsche Jugendmeisterschaft vernichtend. Als später der VfB den Profi Kevin-Prince Boateng verpflichten will, läuft die Stuttgarter Jugendabteilung Sturm: Es wäre ein Verrat an ihren Prinzipien.
Der Satz, der alles sagt: "Am Käfig im Wedding hängt auch die Frage, ob man in einem bürgerlichen Viertel aufgewachsen sein muss, um den immer rigider normierten Weg in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zu finden, oder ob man es wenigstens im Fußball schaffen kann, wenn man aus dem Wedding kommt und nichts anderes kennt als den Wedding."
Das taugt's: Michael Horeni hält ein Plädoyer für die deutsche "Internationalmannschaft", in der in den letzten Jahren Spieler wie Mesut Özil, Sami Khedira oder eben auch Jérôme Boateng Platz gefunden haben und mitgeholfen haben, den Spielstil so zu verändern, dass die deutsche Elf im Ausland nicht mehr nur gefürchtet, sondern sogar bejubelt wird. Im eigenen Land scheint ihm, mit Blick zum Beispiel auf die Sarrazin-Debatte, die Unterstützung für dieses Modell fragiler zu sein. Horeni ruft dazu auf, die von der Norm abweichenden Biografien mancher Spieler zu akzeptieren - und scheint zwischen den Zeilen sehr zu bedauern, dass es Kevin nicht ins deutsche Team schaffte und sich trotzig für Ghana entschied. Die individuellen Gründe dafür, warum Kevin zum Bad Boy und Jérôme zum Bilderbuch-Integrierten wurde, forscht er mit Ernst, Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen nach - auch wenn vielleicht das ein oder andere mal zu oft die psychologische Erklärung vom abwesenden Vater bemüht wird.
Und wer wird Europameister? Sven Bender gestrichen, Ilkay Gündogan dabei: Das Konzept der Internationalmannschaft hat bei Jogi Löw weiter Konjunktur. Jetzt braucht nur noch Jérôme Boateng einen Platz in der Startelf zu finden, dann steht dem deutschen Titelgewinn nichts im Weg.
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