"Der Pate"-Prequel als Roman Corleones Lehrjahre
Was? Papa ist ein Mafia-Boss? Ed Falcos neu erschienener Gangsterroman "Die Corleones" ist eine schwelgerische, auf Mario Puzos Entwürfen beruhende Vorgeschichte des "Pate"-Epos. Ein Angebot, das Fans von Mafiaschmökern kaum ablehnen können
Er sei kein Ganove, nein, erst recht kein Gangster. Und Mafia? Was denn bitte für eine Mafia? Das gebe es nicht, jedenfalls nicht in Amerika, nicht jetzt, Anfang der Dreißiger. Ihm gehe es immer nur um das Beste für die Familie, sagt Vito Corleone, Oberhaupt eines New Yorker Clans. Ein Geschäftsmann, der mit Olivenöl handelt.
Das Publikum kennt ihn anders. Doch 40 Jahre nachdem dieser Corleone durch Francis Ford Coppolas Filmadaption von Mario Puzos "Der Pate" weltberühmt geworden ist, erscheint ein neuer Roman über Vito und seine Familie: "Die Corleones" erzählt die Vorgeschichte von Puzos Trilogie. Autor Edward Falco hat sich dabei auf ein unveröffentlichtes Drehbuch von Puzo gestützt. In Filmbegriffen gesprochen ist es ein "Prequel". Im Netz wird sogar ein passender Buch-Trailer gezeigt.
"Die Corleones" spielt Mitte der dreißiger Jahre: In den USA geht die Prohibitionsära dem Ende entgegen, Vito ist Anfang 40 und dabei, sein Reich auszudehnen, seine beiden ältesten Söhne sind 17 und 18 Jahre alt; der eine, Sonny, ist ein fauler, vorlauter Hund, der sich eigentlich in der Automobilbranche hocharbeiten soll, der andere, Tom, einst als Pflegekind aufgenommen, geht aufs College, um Jurist zu werden.
Unbewegtes Nuschelgesicht
Natürlich sind die "Pate"-Filme längst eine eigene Popkultur-Marke. Wer sieht nicht Marlon Brandos unbewegtes Nuschelgesicht vor sich, sobald der Name Corleone fällt? Wer denkt nicht an die Dunkelheit, die ihn umgibt, die finsteren Gestalten mit ihrem italienischen Akzent und den Fedoras? Aber der Roman funktioniert auch einwandfrei ohne "Pate"-Insiderwissen. Und oh ja, man ist mitten drin im Manhattan der dreißiger, die Szenen sind von filmischer Eindringlichkeit - und spielen motivgetreu meist nachts.
Diese Geschichte hat etwas von den "Wahlverwandtschaften", nicht nur wegen Tom: Wer zu Vitos Familie gehört und wer nicht, hat weniger mit Abstammung zu tun. Es sind Blutsbande, geknüpft im strategischen Ränkespiel gegen die verfeindeten Banden: Wer macht sich mit gezielten Schüssen unersetzlich? Wer ist gewillt, des eigenen Überlebens willen inoffiziell die Seite zu wechseln?
Teilweise fällt es schwer, den Überblick zu behalten: Über das ganze Personal des Corleone-Clans, die Jungs von Mariposa, die Bande von Luca Brasi. Alles verschwimmt einem vor den Augen, so dass man sich, wie bei "Krieg und Frieden", Stammbäume wünschte, von den Iren, mit denen Sonny klammheimlich eine eigene Gangstercombo gründet, und von den Kollegen in Chicago um Al Capone ganz zu schweigen. Doch das verstärkt das Gefühl der Ohnmacht nur: Keiner weiß, wer auf welcher Seite steht, die Grenzen sind fließend.
Baby im Ofen
Und selbstverständlich geht es gruselig brutal zu in jenen Zeiten: Da stecken Tranchiermesser in Schulterblättern, alte Clanchefs werden splitterfasernackt aus dem Fenster geschmissen, ungewollte Babys, frisch geboren, landen im Ofen, Sodom und Gomorra eben - kein Wunder, dass alle Polizisten und Politiker auf den Gehaltslisten der Gangsterbanden stehen.
Interessant ist, zu verfolgen, wie ernsthaft die Entwicklung der ungleichen Charaktere der Corleone-Familie erzählt wird. Wie gerade die Jungs zwischen dem väterlichen Begehr, selbst Unternehmer zu werden, und der Leidenschaft, etwas anderes zu tun, hin- und herkrachen, wie die Ahnung über die wahre Arbeit des Vaters den Kindern langsam dämmert und wie sie sich dazu verhalten, welche Erlebnisse ihr Ehrgefühl und ihren Ethos prägen - das sind gleich mehrere Gangster-Initiationsgeschichten, mit leichter Hand ineinander gewoben.
Die verfilmte "Pate"-Trilogie beginnt mit einer Corleone-Hochzeit, und sobald Orangen auftauchen, wissen alle: Jetzt stirbt gleich jemand. Edward Falcos Roman mit der Vorgeschichte endet mit einer Corleone-Hochzeit. Und auf einmal stehen bei der Feier Kisten voller Orangen.
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