Feminismus-Panorama von Meg Wolitzer Emanzipation von der Emanzipation
Gibt es einen falschen Feminismus? Meg Wolitzer erzählt in "Das weibliche Prinzip" von zwei Frauen-Generationen, die auf unterschiedliche Weise um Selbstbestimmung kämpfen.
Die Emanzipation der anderen kann eine ziemlich anstrengende Sache sein. Es gibt eine Stelle in ihrem Buch, da konfrontiert Meg Wolitzer ihre junge verzagte Heldin mit einer Reihe von schillernden Identifikationsangeboten: mit der Pop-Sängerin, die in ihren Hits überlebensgroß die weibliche Selbstermächtigung feiert. Mit dem Blog, der selbstgewiss erklärt, wie mit übergriffigen Kerlen zu verfahren sei. Mit dem Broadway-Hit, in dem sich junge Frauen auf der Bühne launig über ihre Menstruation austauschen. Cooler Kram, der schreit: Sei ein Teil davon!
Doch die Studentin Greer Kadetsky fühlt sich von der Bewusstseinsindustrie der Gegenwart, zwischen Beyoncé und Lena Dunham, eher erschlagen als ermuntert. Der Einstieg in die Selbstfindung erfolgt bei der 20-Jährigen ausgerechnet durch die gut dreimal so alte Faith Frank, die eines Abends einen Vortrag an Greers College hält und ihr erklärt, wie das alles funktioniert: die Schwesternschaft, der Protest, das Solidarprinzip.
Die Ältere ist für die Jüngere eine Epiphanie der Emanzipation. Eine Erleuchtung, nach der Greer ganz plötzlich den Campus-Dämmerzustand aus spaßfreien Gelagen und diffusem Aufbegehren beenden zu können glaubt.
Faith Frank - Kämpferinnenpose, Breitwandlächeln, Lederstiefel bis unter die Knie - verwaltet ihren Status als Ikone des Second-Wave-Feminismus. Sie hält Vorträge in abgeschlagenen Unis und sammelt Spenden für ihr in die Jahre gekommenes Magazin "Bloomer". Berühmt geworden ist sie Anfang der Siebzigerjahre durch das Manifest "Das weibliche Prinzip".
Tiefenentspannt und hochsensorisch
So lautet auch der Titel von Wolitzers neuem Buch - das natürlich mit seinen fast 500 Seiten das Gegenteil eines Manifests ist. Die Schriftstellerin, hierzulande mit dem Cliquenroman "Die Interessanten" bekannt geworden, sucht ja nie den kürzesten Weg zu irgendeiner Botschaft, sie schweift gerne aus und spürt in der Ausschweifung Details auf, die dann doch wieder zentral zum Verständnis ihrer Charaktere sind.
Wie wir dieses tiefentspannte, hochsensorische Erzählen lieben. In "Das weibliche Prinzip" berichtet Wolitzer nun über Umwege, mit Ambivalenzen und ohne offensichtliche politische Agenda von einem halben Jahrhundert Feminismus, das so unterschiedliche Frauentypen wie eben Faith und Greer hervorgebracht hat.

Übersetzung: Henning Ahrens
DuMont Buchverlag, 496 Seiten, 24,- Euro (gebunden)
Faith, die ihr feministisches Erweckungserlebnis Ende der Sechzigerjahre als Cocktailkellnerin in Las Vegas hat, als sie mitansehen muss, wie ihre Kollegin bei einer heimlichen Abtreibung fast verblutet. Die in den Siebzigern in Fernsehtalkshows Journalisten mit riesigen Koteletten und noch riesigeren Egos gegen die Wand redet. Die jede Party zum feministischen Fanal macht. Und jedes feministische Fanal zur Party.
Greer, die ihr feministisches Erweckungserlebnis auf dem Campus hat, als ein Kommilitone auf einer Party über sie herfällt, um dann mit einer folgenlosen Verwarnung von der Collegeführung davonzukommen. Die bis zum Morgengrauen Protest-T-Shirts druckt, die keiner tragen will. Die die Weiblichkeit feiernde Popsongs hört und doch nirgendwo eine Frau wahrnimmt, die für sie zu sprechen scheint. Die im Gewirr der äußeren Stimmen ihre innere sucht.
#fingersandwichfeminism
Faith und Greer, das sind zwei Generationen, aber auch zwei Typen von Feministinnen. Das Angenehme an Wolitzers Feminismuspanorama ist, dass sie die einen nicht gegen die anderen ausspielt. Klar, sie beschreibt, wie die jüngere Generation den auf Charity-Veranstaltungen vorangetriebenen Salonaktionismus von der älteren Faith auf Twitter als "#fingersandwichfeminism" brandmarkt - und damit auch nicht ganz unrecht hat.
Sie zeigt aber auch, wie viel die Second-Wave-Feministin, der sie Züge der berühmten inzwischen 84-jährigen Aktivistin und Journalistin Gloria Steinem verliehen hat, noch in einem Alter bewegt, in der andere nicht mal mehr ihre Memoiren verfasst kriegen. Wie Steinem trägt auch Faith ihre Persona bewundernswert beweglich durch die Jahrzehnte und lädt sie immer wieder mit zeitaktuellen Zuschreibungen auf.
Feminismus, so wie ihn Wolitzers Veteranin Faith betreibt, ist auch eine Art von Unternehmerinnentum. Wer gehört werden will, muss gesehen werden, das weiß Medienprofi Faith, im Kampf um die Aufmerksamkeitsökonomie geht es auch immer ums finanzielle Backing. Sie ist schon weit über 70, da eröffnet Faith noch mal mit der Unterstützung eines Milliardärs eine Agentur, die Kongresse und Frauenprojekte in Angriff nimmt. Eine feministische Kampfeinheit, kapitalistisch organisiert.
Wolitzer inszeniert dieses als Stiftung angelegte Unternehmen als Ort eines doppelten Verrats: Greer, die von Faith als rechte Hand engagiert wird, verhindert aktiv, dass ihre beste Freundin ebenfalls bei einer Stiftung anfangen kann. Sie will das Glück, Solidarität hin oder her, nicht teilen. Faith lässt sich auf einen krummen Deal ein, sie schaut zu, wie ein von ihr initiiertes prestigeträchtiges Hilfsprojekt für lateinamerikanische Prostituierte zur Farce gerät. Sie will die Publicity nicht verspielen.
Gibt es eigentlich einen falschen Feminismus? Es ist erstaunlich, wie Wolitzer von Verrat und Verletzungen erzählt, ohne dabei ihre Figuren zu desavouieren. Wie sie ihre junge Heldin im Rauschen der fremden weiblichen Stimmen schließlich doch die eigene finden lässt. "Das weibliche Prinzip" ist die Geschichte einer doppelten Emanzipation, die traurig, schön und wahr darüber berichtet, dass die Befreiten sich zuweilen von ihren Befreierinnen befreien müssen.