Literatur-Nobelpreisträgerin Doris Lessing ist tot
Mit "Das goldene Notizbuch" schrieb sie eine "feministische Bibel". Ihre Werke behandeln Rassismus, Frauenrechte und andere dringende gesellschaftliche Themen. 2007 erhielt sie den Literaturnobelpreis. Jetzt ist Doris Lessing im Alter von 94 Jahren gestorben.
Gleich mit ihrem ersten Roman fasste Doris Lessing 1950 ein heißes Eisen an: In "The Grass is Singing", auf Deutsch unter dem Titel "Eine afrikanische Tragödie" erschienen, beschrieb sie Rassismus und Ausbeutung im kolonialen Afrika - und wurde dafür gefeiert und geschmäht. Lessing schildert in dem Buch die Liebesbeziehung zwischen der weißen Frau eines Farmers und ihrem schwarzen Diener. In der Zeit der Veröffentlichung ein Skandal.
Ihrem Hang zu brisanten Themen blieb die Schriftstellerin während ihrer gesamten Karriere treu: In dem Roman "Das goldene Notizbuch" aus dem Jahr 1962, den viele für ihr bestes Werk halten, griff sie das Thema weibliche Selbstbestimmung auf - und schuf damit eines der zentralen literarischen Werke der Frauenbewegung. Die Geschichte zweier unabhängiger, politisch engagierter Frauen trägt zum Teil autobiographische Züge. Das Buch wurde als "feministische Bibel" gefeiert. Lessing aber lehnte die Bezeichnung Feministin für sich selbst immer strikt ab.
Die als Doris May Tayler im heutigen Iran geborene Offizierstochter wuchs in der britische Kolonie Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, auf einer Farm auf. Nach Kloster- und Mädchenschule brach die 14-Jährige ihre Schullaufbahn ab und arbeitete in Salisbury, dem heutigen Harare, als Kindermädchen, später als Telefonistin, Sekretärin und Journalistin. 1945 heiratete sie in zweiter Ehe den deutschen Kommunisten Gottfried Lessing, wodurch sie die Schwägerin von Klaus Gysi, dem späteren Minister für Kultur und Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, wurde und die Tante von dessen Sohn Gregor Gysi, dem heutigen Fraktionschef der Partei Die Linke im Bundestag.
Gegen Atomwaffen, Kolonialismus und Rassismus
Seit Ende der vierziger Jahre lebte Lessing in England. Sie engagierte sich in den unterschiedlichsten sozialen und politischen Bereichen, unter anderem gegen Atomwaffen, Kolonialismus, Rassismus und gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Großbritanniens kündigte sie nach der Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1956 und den Enthüllungen über die Verbrechen des Stalinismus auf.
Ihre Bücher waren stets betont politisch. Auch wenn es um Inneneinsichten meist weiblicher Protagonistinnen geht. In "Martha Quest" (1952) beschrieb Lessing den Lebensweg einer jungen Frau und auf welche Weise das Bewusstsein eines Individuums durch die Gesellschaft geprägt wird. Später bewegte sie sich auch in den Bereichen Science-Fiction und Surrealismus. In den "Memoiren einer Überlebenden" (1974) geht es um die Vision einer von Chaos und Anarchie regierten Welt. Mit "Canopus im Argos: Archive" begann 1979 ein fünfteiliger Bücherzyklus und Lessings endgültiger Ausflug ins Mythische: Die Autorin selbst nannte diesen Stil "inner space fiction", wollte den menschlichen "Weltinnenraum" darstellen. Für sie selbst war der Zyklus eine ihrer wichtigsten Arbeiten.
Mit "Das Tagebuch der Jane Somers", Auftakt zu einer Reihe, die Lessing ab 1983 unter dem Pseudonym Jane Somers veröffentlichte, kehrte sie schließlich zu ihrem alten realistischen Stil zurück. Das Buch erzählt die Geschichte einer Karrierefrau, die durch die Bekanntschaft mit einer älteren Dame einen neuen Blick auf ihr eigenes Leben bekommt. Insgesamt schrieb Lessing über 50 Romane, ihr vielfältiges Werk umfasst neben Prosa auch Lyrik und autobiografische Schriften.
2007, im Alter von 88 Jahren, erhielt sie den Literaturnobelpreis. Sie war die elfte Frau, der diese Ehre zuteil wurde. Die Auszeichnung kam überraschend; in dem betreffenden Jahr wurde eigentlich der US-Autor Philip Roth als Favorit gehandelt. Weil sie zur Zeit der Verleihung krank war, konnte sie an der offiziellen Zeremonie in Stockholm nicht teilnehmen.
Noch im hohen Alter schrieb Lessing gewagte, oft sehr freigeistige Bücher. Etwa 2004 ihre Erzählung "The Grandmothers", in der es um zwei Freundinnen geht, von der jede eine Liebesbeziehung zu dem Sohn der anderen hat. Unter dem Titel "Tage am Strand" kommt Ende November eine australisch-französische Adaption der Geschichte mit Naomi Watts und Robin Wright in die Kinos.
Wie ihr Agent bestätigte, starb Doris Lessing am Sonntagmorgen in ihrer Londoner Wohnung im Alter von 94 Jahren.
cbu/AFP