Studie zum Weihnachtsmann Der Gott der Gabe
Die Legende des Weihnachtsmanns kennen Sie schon? Dachten Sie! In einem neuen Sachbuch nimmt der Ethnologe Thomas Hauschild den Leser mit auf einen Ritt in fremde Welten. Die Reise ist kaum weniger abenteuerlich als die Legende selbst.
Die einen verehren, die anderen verteufeln ihn: den Weihnachtsmann. Die einen, das sind vor allem Kinder. Die anderen, das sind meist konservativ christlich denkende Erwachsene. Ihnen gilt der Weihnachtsmann als Erfindung des Coca-Cola-Konzerns, als Werbefigur für Weihnachts-Kommerz, als Botschafter eines unchristlichen Konsumwahns. Der Ethnologe Thomas Hauschild, Professor in Halle, hat nun ein Sachbuch vorgelegt, in dem er mit den Vorurteilen ordentlich Schlitten fährt.
Natürlich hat der Kult um den Weihnachtsmann eine ökonomische Bedeutung für viele Branchen, das bestreitet Hauschild nicht, aber der Kult setzt auch eine ökonomische Logik außer Kraft. Es ist die ökonomische Logik des Schenkens, wie der Soziologe und Ethnologe Marcel Mauss sie 1923 in seinem "Essai sur le don" beschrieben hat: Wer schenkt, stellt den Beschenkten in seine Schuld; er signalisiert ihm, dass er überlegen ist, dass er höher steht. Erst mit der Gegengabe wird diese Schuld abgelöst - das Schenken als zeitlich verzögerter Warentausch. Der Kult um den Weihnachtsmann hingegen verschleiert den Urheber des Geschenks: Nicht die Eltern, Großeltern, Tanten oder Onkel geben dem Kind etwas. Es ist der Weihnachtsmann. Noch dazu sind die Gaben verpackt, so dass die Beschenkten unter dem Tannenbaum nicht direkt erkennen können, wie kostbar sie sind. Es geht mehr um das Schenken, weniger um das Geschenk.
Dennoch: Den christlichen Kirchen gefällt es nicht, dass der Kult um den Weihnachtsmann vielen Kindern heute besser bekannt ist als der Kult um die Figur, um die es an Weihnachten doch eigentlich geht - der neugeborene Jesus. Auch der Kult um den Weihnachtsmann hat freilich vieles von einer Religion: Gläubige (die Kinder) und Abtrünnige (die Jugendlichen), heilige Legenden und Zeremonien, rituelle Vorschriften und Verkleidungen.
Der Weihnachtsmann als Werbepromi
Von wo aber ist der Kult um den Weihnachtsmann hereingeschneit in unsere Gegenwart? Hauschild geht dieser Frage mit dem distanziert-neugierigen Blick eines Ethnologen nach, der die fremdartigen Riten von Eingeborenen erforscht. Bei dieser Detektivarbeit stößt er recht bald auf die Coca-Cola-Reklame, die 1931 unser heute noch gültiges Weihnachtsmann-Bild prägte. Aber erfand sie den Weihnachtsmann auch? Natürlich nicht. Sie nutzte ihn eher so wie Fernsehspots für Kochgeräte prominente Profiköche nutzen: als Werbegesicht. Die Logik: Der Weltspezialist für Konsumwaren trinkt Coca-Cola.
Der Kult um den Weihnachtsmann ist viel älter als Coca-Cola. Eines seiner Vorbilder, da ist sich Hauschild sicher, ist Sankt Nikolaus. Der soll im 4. Jahrhundert Bischof der byzantinischen Hafenstadt Myra gewesen sein; heute liegt dort der türkische Badeort Demre. Historisch belegte Fakten gibt es zu ihm fast keine, aber jede Menge Legenden. So soll Nikolaus einem armen Nachbarn, der seine Töchter zu Prostituierten machen wollte, weil er ihnen keine Mitgift für eine Hochzeit finanzieren konnte, eines Nachts heimlich drei goldene Kugeln in den Garten geworfen haben. Die geheimgehaltene Gabe schweißte also eine Familie zusammen, so wie die geheimgehaltenen Gaben heute an Weihnachten die Familien zusammenschweißen.
Auf Bildern wird Nikolaus oft mit drei goldenen Kugeln abgebildet oder auch mit drei Äpfeln: den Gaben, die Kinder in ärmeren Zeiten zum Nikolaustag am 6. Dezember oder auch zu Weihnachten bekamen. Abgebildet ist er zudem meist als alter Mann mit weißem Bart, jedoch mit jugendlich strahlenden Augen und dicken roten Backen. Die Proportionen seines Gesichts, schreibt Hauschild, erfüllten das Kindchenschema. Das verbindet die Bilder des Nikolaus mit jenen des Weihnachtsmanns. Und mit jenen von Shou Xing, dem chinesischen Gott des langen Lebens. Auch er hat einen langen Bart, eine hohe Stirn, ein kindlich-rosiges Gesicht.
Es sind nicht die einzigen Verbindungen des Kults nach Fernost: Shou Xing wird immer mit Stab abgebildet; er trägt ein farbiges, oft rotes Gewand, er fliegt durch die Luft; er lebt als sexuell abstinenter Eremit; er beschenkt die Kinder. Nicht mit Äpfeln zwar, aber mit Paradiesfrüchten, den Pfirsichen des langen Lebens.
Der Ethnologe Hauschild, 57, lässt sich von seinem Forschungsgegenstand mit kindlicher Freude durch die Jahrhunderte und über die Kontinente treiben. Sein Buch, von der "FAZ" etwas forsch als "schönstes Sachbuch des Jahres gefeiert", ist hier und da etwas geschwätzig, es leidet hier und da auch unter Wiederholungen, weil Hauschild in Gedankenschleifen gerät. Aber doch reißt es den Leser mit hinein in einen Assoziationsrausch. Der führt bis zu sibirischen Schamanen, die mit Fliegenpilz-Substanzen experimentierten und Rentier-Urin tranken, um sich im Drogenrausch auf einen Ritt in fremde Welten zu begeben. Hauschilds Buch ist ein Ritt in solch fremde Welten, kaum weniger abenteuerlich als die Legenden selbst.
Sein Ziel: den Streit um den Weihnachtsmann und seine Herkunft zu beenden. Denn ein Brauch wie dieser, erklärt er, entstehe nie aus einer Erfindung alleine, ob sie nun von den Coca-Cola-Werbern stamme oder von den Malern der Romantik oder von den Christen. Ein Brauch entstehe "aus einer Fülle von menschlichen Nöten und Sehnsüchten". Mit anderen Worten: Er braucht einen Boden, auf dem er gedeiht. Und dieser Boden ist nicht an ein Land gebunden, höchstens an eine Klimazone.
In diesem Sinne geht es dem Weihnachtsmann um die Versorgung der Bevölkerung, um den Schutz der Schwachen im schwierigen Winter. Ganz genau wie Shou Xing, seinem Verwandten aus Asien. Die beiden bärtigen Herren sind internationale Götter der Gabe.