Komponist Erik Satie So ein Komiker
Erik Satie gilt als Vorreiter des Klingeltons. Kein Pianist von Rang will die Werke des Exzentrikers spielen - bis auf Alexandre Tharaud. Der Franzose entdeckt das Klavierwerk des Komponisten neu - mit einem Lächeln auf den Lippen.
Gebildete Kino-Geher haben schon vor Jahren die strikte Losung ausgegeben: "Nie mehr Satie!" Zu oft hatte in mittelprächtigen Filmen, in denen lässige Melancholie angedeutet werden sollte, Saties "Gymnopédie No. 1", ein von philosophischer Langeweile herrlich durchtränkter Dreiminüter, als aparte Klangtapete herhalten müssen. Überhaupt Satie!
Der Wahl-Pariser gilt bei uns als eine Art Vorreiter des musikalischen Klingeltons. Der heilige Adorno trotzte sich einst folgendes, galliges Lob über den Sonderling ab: "In den schnöden und albernen Klavierstücken Saties blitzen Erfahrungen auf, von denen die Schönbergschule nichts sich träumen lässt."
Armer Satie.
Tatsächlich war er es, der als erster in Frankreich gegen Richard Wagner rebellierte (und Debussy dazu anstiftete, zur Abwechslung mal eigene Wege zu gehen). Satie ist der Stammvater des Minimalismus und des Kubismus in der Musik. Seine Verstocktheit und sein Sarkasmus sorgten allerdings dafür, dass man seine genialen Einfälle - etwa die sechs "Gnossiennes" - im Grunde für Zufall hielt. 1925 starb Satie im Müllhaufen seines Hauses; er ist einer der berühmten "Messies" der Kulturgeschichte, neben Francis Bacon und Friederike Mayröcker.
Große Pianisten lassen von Saties Klavierwerken tunlichst die Finger. Ausnahme: Alexandre Tharaud. Der französische Klavier-Star findet in Saties Miniaturen Momente plauderhafter Entspanntheit, in seinen Melodienfetzen authentischen Großstadtlärm und in den vertrackten Lyrismen konzentrierte Liebeserklärungen.
Saties Credo lautete: Einfachheit! Den komplizierten Orchesterexzessen seiner Zeit wollte er schlichte Formen entgegensetzen: Schlüssigkeit von der Länge eines Witzes. Ein hohes Ziel.
Tharaud liefert einen Überblick über das Gesamtwerk des Komponisten und begegnet dessen Eigensinnigkeit im Kollektiv. Neben den wichtigen Solo-Werken für Klavier krächzt die genialische Casino-Sängerin Juliette einige Chansons und "Valses chantées". Die Berliner Geigerin Isabelle Faust kontert mit neckischem Tiefsinn. David Guerrier brilliert mit dem kürzesten Trompeten-Solo der Musikgeschichte ("La Statue retrouvée").
Kurz: eine Sammlung zum Lachen. Das zuweilen mit Pappe oder Plastik präparierte Klavier stubbelt und stottert am Rande der Zurechnungsfähigkeit. Im Hintergrund, vom Hof des Aufnahmestudios, hört man hin und wieder ein Vögelchen piepen.
Seltsam nur, dass der inzwischen 40-jährige Alexandre Tharaud in Deutschland noch immer nicht wirklich bekannt ist. Das hängt wohl am ehesten mit Agenten, Tourdaten und Labels zusammen. Tharaud lässt sich einfach zu selten blicken.
Insidern jedoch gilt der Schüler von Leon Fleisher, der im Alter von fünf Jahren debütierte, schon lange als einer der Interessantesten. Mit Chopin, Couperin und Poulenc (und mit CDs an der Seite des großartigen Cellisten Jean-Guihen Queyraz) etablierte er sich als einer der Nachfolger einer eigenständigen französischen Klavierschule (um die großen Pianistinnen Marguerite Long und Marcelle Meyer).
Mit Erik Satie schließt Tharaud jetzt einen musikalischen Weltraum neu auf, dessen sardonisches Kichern durch den Orbit hallt. Aber endlich mal nicht verhallt.
CD Erik Satie: "Avant-dernières pensées". Alexandre Tharaud, Klavier, u.a. (Harmonia Mundi France, HMC 902017.18)