Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche
Warum Goldfrapps neues Album das beste seit ihrem epochalen Debüt "Felt Mountain" ist? Warum The Roots so gut sind, dass selbst Elvis Costello nichts dagegen ausrichten kann? Lesen Sie hier. Außerdem: Neues von Reise-Spezialist Lawrence und den isländischen Elektro-Forschern Múm.
Goldfrapp - "Tales Of Us"
(Mute/Goodtogo, seit 6. September)
"Tales Of Us" folgt auf die von den meisten Kritikern eher skeptisch rezipierte Achtziger-Pop-Alptraum "Head First", einem scheußlich-faszinierenden Magenverderber aus überzuckerten Synthie-Hooks. Das neue Album von Goldfrapp und ihrem musikalischen Partner Will Gregory ist so etwas wie das Gegengift, denn noch nicht mal sie selbst war zufrieden mit "Head First": "It's not my favorite", sagt sie, mit britischem Understatement, über die Platte, die viel zu hastig und in einer Zeit der privaten und geschäftlichen Unruhe entstanden sei. Ganz anders nun "Tales Of Us", ein konzeptionell streng geschlossener Song-Zyklus, der tatsächlich extrem reduziert und konzentriert wirkt. Alpträume finden sich auch darauf, aber sie sind nicht musikalischer Natur, sondern spielen sich in den tragischen oder verruchten, auf jeden Fall verstörenden Noir-Geschichten ab, die, bis auf eine Ausnahme, die Namen ihrer Protagonisten tragen: "Annabel" zum Beispiel, basierend auf Kathleen Winters gleichnamiger Novelle über den emotionalen Stress eines Hermaphroditen, dem als Kind das weibliche Geschlechtsorgan zugenäht wurde.
Als Inspiration für diese Storys aus dem "hinterland of my mind", wie sie das nennt, dienten ihr Krimis, vor allem die Bücher von Patricia Highsmith, die sie in den vergangenen Jahren mit wachsender Begeisterung verschlang. Dazu kommt das Kinematische, das in Goldfrapps Musik immer schon mitschwang, die Bond-Soundtracks, die Morricone-Sehnsucht, der Zigarettenqualm von Nouvelle-Vague-Filmen. Goldfrapps ewiger Favorit Nick Drake spielt hier musikalisch wieder eine größere Rolle, besonders in "Drew", das zu Beginn fast wie eine Coverversion von "One Of These Things First" wirkt, allerdings gesungen von Françoise Hardy oder einer anderen Sixties-Chanteuse, die Alison verehrt. Daraus destilliert sich einmal mehr ein betörender, nokturner Sound aus blumenumrankten Zauberfolk und kühler Urbanität, der, nach kühnen Experimenten mit Elektro und Glam-Rock, wieder bis zum Goldfrapp-Debüt "Felt Mountain" zurückreicht.
Dennoch sind 13 Jahre nicht spurlos vorübergegangen. Nachdem sich bei Alison auch privat die Wogen geglättet haben (sie lebt seit 2010 mit ihrer Freundin Lisa Gunning zusammen, die auch eine Reihe von Kurzfilmen zum neuen Album drehte), spürt man eine größere Gelassenheit, eine gefestigte Souveränität in den neuen Songs, die teilweise, wie in den in reichhaltige Streicher-Arrangements getauchten "Thea" und "Stranger", in klassisches American-Songbook-Terrain vordringen wollen und den opulenten Pop von Burt Bacharach oder den Carpenters beschwören.
"Größtmögliche Simplizität und Intimität, aber ohne die ganzen Klang-Schichten, mit denen wir zuvor vieles zugedeckt haben", wollte Alison Goldfrapp erreichen, sagt sie. Und das ist auf recht unauffällig beeindruckende Weise gelungen, auch wenn britische und amerikanische Kritiker die Radikalität früherer Alben vermissen. Dabei ist doch gerade die Minimalisierung der radikalste Schritt, weil er den größten Mut erfordert. Um so unwirklich schöne Songs wie die zehn auf "Tales Of Us" zu schaffen, muss man sehr genau wissen, was man tut und was man kann. Beim nächsten Album, wer weiß das schon bei einem so unberechenbaren Duo, darf's dann wieder mehr knistern und krachen. (8.0) Andreas Borcholte
Elvis Costello & The Roots - "Wise Up Ghost"
(Blue Note/Universal, seit 13. September)
Allein wenn "Captain" Kirk Douglas und Questlove bei Fallon als "Black Simon and Garfunkel" auftreten und Daft Punks "Get Lucky" kongenial mit "The Boxer" kreuzen oder wenn die gesamte Mannschaft mit bimmelndem, rasselnden und klöppelndem Groove Robin Thicke zu "Blurred Lines" begleitet, dann weiß man, dass im Zusammenspiel mit diesen Meistern selbst mit dem übellaunigsten, didaktischsten aller Costellos nichts passieren kann.
Tatsächlich also ist "Wise Up Ghost" ein Wunderwerk. Aber es war knapp. Denn Costello, in einem Anfall von Altersarroganz, schrieb keine wirklich neuen Songs für die Kollaboration, sondern sampelte (weil: HipHop, duh) einige Verse seiner alten Hits. Welche und wo, das kann sich der geneigte Costelloianer selbst raussuchen, mir reichte schon "Cinco Minutos Con Vos", was den ollen Falkland-Krieg-Gassenhauer "Shipbuilding" aus argentinischer Perspektive spiegelt. Zu akademisch für ein Pop-Album? Ganz genau. Und gleichzeitig der schwächste Song auf dem Album.
Aber sonst? So zartschmelzend wie im Southern-Soul von "Sugar Won't Work" klang Elvis seit seinen Duetten mit Burt Bacharach nicht mehr. In "Refused To Be Saved" legt er seine Stimme gekonnt tiefer - und über einen rollenden Funk, der Isaac Hayes aus der Grube holt. Noch deeper wird es in "Wake Me Up", während "Stick Out Your Tongue" mit zackigen Bläser- und Orgel-Licks direkt in die Stax-Zentrale nach Memphis führt, um dort für die nächsten Songs zu verharren. "(She Might Be A) Grenade", "Viceroy's Row" und "My New Haunt" sind weitere Höhepunkte, in denen das, was prinzipiell nicht zusammenpasst, Soulfood und Porridge, zum Zaubergebräu wird. Bei über einer Stunde Spielzeit ist nicht alles gleichermaßen meisterlich, dennoch verführt jedes der 15 Stücke zum genauen Hinhören - ob wegen der vordergründig simplen, in Wahrheit aber hochkomplexen, verspielten Arrangements ("Tripwire") oder einfach weil man Elvis Costello seit den frühen Attractions-Platten nicht mehr so inspiriert erlebt hat. Und jetzt soll Justin Timberlake bitte endlich dem alten Langweiler Timbaland einen Tritt geben und die nächste Platte mit den Roots aufnehmen. (7.9) Andreas Borcholte
Múm - "Smilewound"
(Morr Music/Indigo, seit 6. September)
Lawrence - "Films & Windows"
(Dial/Rough Trade, seit 13. September)