Start der neuen "GNTM"-Staffel Mehr Bumms, mehr Keif, mehr Grunz
Endlich wird allein durchregiert: Heidi Klum hat sich für die 14. Staffel von "Germany's Next Topmodel" ihrer lästigen Jury entledigt. Und weiß leider immer noch nicht, was genau eigentlich "Diversity" bedeutet.
Wie immer, nur schlimmer. Gäbe es einen Claim für "Germany's Next Topmodel", den hartgesottene Requisiteure dringend als überdimensionalen Schriftzug aus billigen Pailletten und Plunderstrass, aufemulgierten Meedelstränen, Umstyling-Abfallhaar und leicht verkrusteten Spachtelmaskenresten aus dem Bestand der ja leider abgewrackten Maybelline Make-up-School zusammenschustern sollten, damit Heidi Klum ihn im Vorspann jeder neuen Staffel grienend umtanzen kann, es wäre unbedingt dieser. Es ist auf gruselige Art faszinierend, wie sich das Format nun seit Jahren verlässlich immer wieder selbst unterkellert, den Gesetzen der Showstatik trotzend, dass man jetzt doch eigentlich wirklich nicht mehr noch tiefer schürfen dürfe.
Für die 14. Staffel verspricht Heidi Klum "mehr Biss, mehr Personality, mehr Show, mehr Glamour, mehr Fashion", doch es vergehen gerade einmal zweieinhalb Minuten, bis eine scharf auf Krawallkante geschnittene Staffelvorschau inklusive F-Wort-Beleidigung klarstellt, was sie damit eigentlich meint: Mehr Bumms, mehr Keif, mehr Grunz.
Und, etwas überraschend, mehr Ehrlichkeit.
Tatsächlich macht sich der Zynismus des Formats nun nicht einmal mehr die Mühe, ein lustiges Hütchen aufzusetzen oder sich anderweitig zu tarnen. "Diversity ist mir sehr wichtig", sagt Heidi Klum und tut im nächsten Satz nicht einmal ansatzweise so, als habe das tiefere menschliche Beweggründe, als ginge es dabei um mehr als kalthändige Trendmelkerei: "Denn Vielfalt ist gerade DAS Thema in der Fashionwelt."
Klar, kennen wir doch noch von früher, aus der topinklusiven Vielfarben-Benetton-Werbung. Also treffen wir in Klums Top 50 natürlich kein Mädchen ohne traditionelle Modelmaße oder mit sonstwie fashionunkompatiblen Abweich-Merkmalen. Dafür aber
- eine indischstämmige Kandidatin (die sich schon vor dem ersten Laufstegschritt als geeignetes Problembärchen beim obligatorischen Nacktshooting anbietet),
- ein bisexuelles Mädchen, das man schon vor der ersten Kleideranprobe über mögliche Amouren am Set spekulieren lässt,
- eine Transgender-Kandidatin (die natürlich erst einmal aufsagen muss, wann ihre "letzte OP" war),
- eine Kandidatin mit Beinfehlstellungsrollstuhlschicksal,
- eine Schrilllette mit einem 28 Jahre älteren Freund.
Diversity eben - like, wer's kennt.
Zum Ensemble gehört in diesem Jahr auch ein echter Klassiker des Grobschablonismus, die böse Russin. Kandidatin Anastasiya operiert ganz in der Tradition von "Rocky"-Ostschurke Ivan Drago. Statt "Ich muss dich vernichten" sagt sie "Viele Mädels hier sind einfach zu breit", was hier natürlich aufs selbe rauskommt. Und ausgesprochen praktisch ist, weil Klum daraufhin aus dem Off moralisieren kann, also siiiiiiiie freue sich ja darüber, dass so viele verschiedene Mädchen hier seien.
Apropos sie: Tatsächlich regiert Klum diese Staffel ganz allein, unterstützt von wechselnden Gastjuroren, vom GNTM-typischen Dreigestirn hat man sich verabschiedet: Es gibt keine Kabbel-Jury mehr, keine künstlich herbeigebrennesselte Black-und-White-Teamrivalitäten. Sofort fällt man ohne Thomas Hayo in einen schlimmen Anglizismen-Phantomschmerzkrampf, den zum Glück der neue Staffelsponsor, ein rätselhaftes Getränk mit dem selten dummen, vor jeder Werbeunterbrechung aufgesagten Slogan "Dein It-Piece für jede Challenge" lindern kann.
Als billigen Knutschversuch mit der YouTube-Jugend tritt dann noch Simon Desue auf, bekannt als blondierter Tiefstniveau-Haubentaucher, der in seinen Videos gern mal Straftaten vortäuscht, mit grotesk schlecht gefakten Videos wie "Ich kaufte den Laptop eines Mörders" Kinder betuppt und für seine vier Millionen Fans auch schon in 40 Kilo Nutella badete - rein zufällig ist seine Freundin eine der Kandidatinnen, Sachen gibt's.
"Guckt mal, die eine isst was"
Das klassische Casting ist ebenfalls gestrichen, die qua Onlinebewerbung ermittelten Top 50 werden zur weiteren Begutachtung an einer reich gedeckten Tafel platziert, die Szenerie erinnert einen abwechselnd an ein leicht überbuchtes letztes Abendmahl und eine später stark redigierte Szene aus Alice im Wunderland, die bedrückte Teegesellschaft. Während man noch nachdenkt, ob die erst mal noch abwesende Heidi Klum einen eher an den moralflexiblen Judas oder den überstrengen Märzhasen erinnert, fällt dann auch schon der Satz, für den sich der ganze Schmalzaufbau gelohnt hat.
"Guckt mal, die eine isst was", raunt eine Kandidatin, während eine andere nonchalant an einem Miniburger nibbelt, und da kann man sich dann zuhause krachend auf die Schenkel schlagen, weil das natürlich ein Spitzenwitz ist, weil Models essen in Wahrheit ja nix, haha. Dass die Bedenken der Snackmahnerinnen eher dahin gehen, dass man als Eingeladener anstandshalber doch generell nicht herzhaft zugreifen sollte, bevor auch der Gastgeber am Tisch sitzt - egal.
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Dann kommt Klum, gedankenverloren streicht sie durch die fast meterlangen Prachthaare einer Kandidatin und scheint die Einführung eines überraschungsmäßigen Blitzumstylings zu erwägen. Dann wird abgeräumt, der Esstisch ist jetzt der Laufsteg, und ein paar erratische Rauswürfe weiter steht die nächste Selektionsrunde an: Eine Modenschau für Ex-Juror Michael Michalsky in einer stillgelegten U-Bahn-Station, es fielen einem eine ganze Reihe wohlfeiler Blitzkalauer für diese Konstellation ein.
Ganz kurz denkt man für einen glücklich verwirrten Moment, Michel Houellebecq hätte als Laufsteg-Choreograf bei GNTM angeheuert, leider war er es dann aber doch nicht, was sehr schade ist, weil er möglicherweise interessantere Tipps für die Modelanwärterinnen gehabt hätte, als die vorhandenen Fachkräfte. "Du musst auf jeden Fall die Füße voreinander machen beim Laufen", sagt Heidi Klum. "Beim Posen am besten immer so ein bisschen presenting-mäßig", sagt Gastjurorin und GNTM-Erststaffelgewinnerin Lena Gercke.
Dann präsentieren die Kandidatinnen Michalskys weiße Flughörnchen-Kostüme, und mitunter recht willkürlich stutzt Klum die Kandidatinnenschar auf 30 Mädchen. Die Kandidatin mit den extralangen Haaren schickte sie übrigens überraschend schon nach der Tafelrunde - und vor der Umstylingfolge - nach Hause, ungestutzt, ungefärbt, ungebrochen. Vielleicht wird Heidi Klum wirklich langsam alt.