Gaddafi-Reportage auf RTL "Er war dreckig, er war gewalttätig"
Ein kleines Zeichen genügte, und junge Frauen wurden ihm zum Missbrauch zugeführt: In "Das geheime Doppelleben des Diktators" versucht RTL-Frau Antonia Rados, Libyens Ex-Herrscher Gaddafi systematische Vergewaltigung nachzuweisen - und verfällt dabei in gefährlichen Voyeurismus.
Am Anfang war ein Taxifahrer in Tripolis, der Antonia Rados 2011 von Gerüchten über Muammar al-Gaddafi erzählte. Demnach könne der "Revolutionsführer" seine dunklen Begierden kaum mehr unterdrücken, er sei als systematischer Vergewaltiger bekannt. Rados reiste daraufhin noch dreimal nach Libyen, um den schmutzigen Schauergeschichten auf den Grund zu gehen. Das Ergebnis ihrer Recherchen breitet die Journalistin nun in einer 45-minütigen "Extra Spezial"-Reportage aus, bei der nicht nur der Inhalt verstört - sondern auch die boulevardeske Machart.
Was schon beim arg gespreizten Titel beginnt: "Das Doppelleben des Diktators - Antonia Rados auf den Spuren des Vergewaltigers Muammar al-Gaddafi". Was für ein Doppelleben: Tagsüber blutrünstiger Diktator, nachts lüsterner Mädchenschänder, ist es denn die Möglichkeit!
Gaddafi, ein Triebtäter? War er vielleicht sogar ein bisschen größenwahnsinnig, am Ende gar korrupt? Mal ganz im Ernst: Wer sollte sich darüber wundern? Wohl nur jemand, der Gaddafis berühmte Garde aus "Amazonen" tatsächlich für militärisch ausgebildete Leibwächterinnen gehalten und ihm seine Inszenierung als Förderer der Emanzipation bereitwillig abgekauft hat. Und so rennt Journalistin Rados in ihrem Film mit großer Geste offene Türen ein. Rados drängt nicht nur namentlich in den Titel, sondern auch häufiger ins Bild als ihr Objekt Gaddafi.
Erst Tanzkurs, dann Vergewaltigung
Dabei ist das System, mit dem sich Gaddafi nahm, was er wollte, schnell erklärt. Pulkweise wurden ihm Waisenkinder, Schulmädchen oder Studentinnen zugeführt, die er dann in aller Öffentlichkeit berührte - oder eben nicht. Unscheinbare Berührungen als geheimes Zeichen an seine Handlanger, dass er sich mit dem betreffenden Mädchen später gerne eingehender beschäftigen würde. Eine unheimliche Archivaufnahme zeigt, wie er in gelöster Atmosphäre einer jungen Frau sogar so etwas wie einen zärtlichen Faustschlag auf die Stirn verpasst, als stempele er sie damit ab.
Rados besucht eine Farm am Rande von Tripolis, wo die Mädchen, bevor sie dem Lüstling zugeführt wurden, zu orientalischen Tänzerinnen ausgebildet worden sein sollen. Als Beleg für diese These dienen ihr eine rosafarbene Haarspange im Sand zwischen den Zelten und verwackelte Amateuraufnahmen (Quelle: Youtube), "die angeblich von diesen Festen stammen". Wir sehen Uniformierte und leichtbekleidete Mädchen zum Gedudel eines Alleinunterhalters tanzen.
Freimütig erzählt die Leiterin eines schäbigen Waisenhauses von den regelmäßigen Besuchen des Despoten und seiner Praxis, sich dort Mädchen auszusuchen. Als "Schlampen" seien die dann zurückgekehrt. Eine dieser Frauen befragt Rados mit versteckter Kamera an einer belebten Straße. Die junge Frau sagt: "Er war dreckig. Er war gewalttätig. Ich weiß, wovon ich spreche."
Was nicht passt, wird passend gemacht
Auch Rados weiß, wovon sie spricht. Es gibt keinen Grund, an ihren Recherchen zu zweifeln - aber viele Gründe, sich über ihre Methoden zu wundern. Ebenso wahllos wie Gaddafis Schergen auf offener Straße ihre Opfer entführten, filmt Rados auf offener Straße die Gesichter völlig unbeteiligter junger Mädchen ab. Die könnte ein Opfer gewesen sein - und die auch! Darunter liegt dann wahlweise melodramatisches Klaviergeklimper oder bedrohliche Musik wie aus einem Horrorfilm.
Und worin wohl liegt der publizistische Sinn, Entführungen und Begegnungen der Mädchen mit Gaddafi in "nachgestellten Szenen" Revue passieren zu lassen? Was sollen ringende Mädchenhände in Großaufnahme und eine behaarte Männerhand mit dicken Ringen, die nach einer Türklinke greift? In solchen Sequenzen ist die Dokumentation nur noch wenige Schnitte davon entfernt, in blanken Voyeurismus abzurutschen.
In einer besonders beklemmenden Szene steht Rados am Bett einer krebskranken Leibwächterin und fragt, ob sie von den Umtrieben ihres ehemaligen Chefs wisse: "Ich habe davon gehört", sagt die, "aber ich glaube es nicht. Das hat er sicher nicht getan. Er konnte es nicht tun. Das ist nicht möglich." Daraufhin die Reporterin aus dem Off: "Und für Aisha ist es wohl unmöglich, darüber zu reden." Was nicht passt, wird passend gemacht.
Gemächer auf dem Unigelände
Was umso ärgerlicher ist, weil es genug Aussagen und Indizien gibt, die tatsächlich ins Bild passen - etwa die Praxis ausländischer Geschäftsleute, sich den Diktator mit Hostessen gewogen zu machen. Oder die praktische Wohnung auf dem Unigelände, in die Gaddafi sich Studentinnen bringen ließ. Mit einem Raum für repräsentative Empfänge, einem gemütlichen Schlafzimmer - und, direkt daneben, einem professionell eingerichteten OP-Zimmer für Abtreibungen, die von ukrainischen Krankenschwestern vorgenommen wurden.
Eine dieser Krankenschwestern besucht Rados in der Ukraine, wo sie sich von ihrem Lohn zwei Häuser gekauft hat und maskenhaft aufsagt, sie wisse von nichts, sie habe nur ihre Arbeit gemacht. Unseren Teil können wir uns durchaus denken, aber dann zeigt Rados auch noch ein Foto, auf dem Gaddafi angeblich ganz "privat" mit den drei Krankenschwestern posiert. Das Bild soll zeigen, "wie nahe" sie sich standen, die Ukrainerinnen und "Väterchen Gaddafi". Bald darauf sehen wir das Bild kurz noch einmal in einem anderen Zusammenhang, und, siehe da, neben dem "privaten" Gaddafi stehen noch ganz viele andere Leute. Dieser unnötig manipulative Umgang mit ihrem Material bringt die rasende Reporterin um die Früchte ihrer Arbeit und erweist - was wesentlich schwerer wiegt - den traumatisierten Opfern einen Bärendienst.
Sexuelle Gewalt gegen Frauen und die daraus resultierende Ohnmacht - auch der betroffenen Ehemänner, Brüder und Väter - ist eine besonders perfide, aber besonders effektive Erniedrigungsstrategie in Krieg und Frieden. Es genügt, das zu wissen, es nicht zu vergessen - und uns nicht so dumm zu stellen, wie RTL und Rados uns gerne hätten.
"Das Doppelleben des Diktators - Antonia Rados auf den Spuren des Vergewaltigers Muammar al-Gaddafi", Montag, 22.15 Uhr, RTL