Götz George als NS-Star Heinrich George Vater wollte doch nur spielen
War Heinrich George der größte deutsche Schauspieler? Oder doch nur NS-Grußonkel? In dem Doku-Drama "George" verkörpert Götz George seinen Vater. Ein filmisches Lehrstück über die Umwertung aller Werte - und eine Erlösung für den Jungen.
Was für eine Szene: Götz George spielt seinen Vater Heinrich George, wie der 1934 bei einer Freilichtaufführung in Heidelberg Goethes "Götz von Berlichingen" spielt. Es ist die Lieblingsrolle des alten George, der Name seines zweitgeborenen Sohnes Götz eine Verbeugung vor Goethe. Für Heinrich George stand das Stück für die Freiheit des Individuums, für die Nazis stand es für deutschen Kampfgeist, und für Götz George steht es für die Möglichkeit, die Urgewalt seines Vaters voll auszuspielen.
In der Szene impliziert sind also: die innigen Bande vom Schauspielersohn zum Schauspielervater, der Glaube an die Unkorrumpierbarkeit der Kunst, aber auch die Umwertung aller kulturellen Werte.
Ein Spielfilm würde an einem derart aufgeladenen Szenario wohl zerbrechen. Doch hierzulande gibt es ja das Genre des Doku-Dramas. Oft zu Unrecht verhöhnt für seine Sperrigkeit, bietet es die Möglichkeit, auch einander widersprechende Deutungen zu einer runden Erzählung zu bündeln. Die Macher von "George" tun das meisterhaft - der Film ist zugleich eine Hymne an den Vater, das Porträt eines gefallenen Großkünstlers sowie ein Lehrstück über die Brüchigkeit kultureller Deutungshoheit. Schmerzlich genau gespielt, präzise recherchiert, hintersinnig montiert. Ein guter Weg, um sich der zerrissenen Persönlichkeit Heinrich Georges zu nähern.
Ein linker Volksschauspieler wird umgedreht
In den zwanziger Jahren sympathisierte der Schauspieler mit der Kommunistischen Partei Deutschlands und sammelte Spenden für die Rote Hilfe, er arbeitete unter linken Theater-Erneuerern wie Erwin Piscator und Bertolt Brecht. Doch schon 1933, kurz nach der sogenannten Machtergreifung, erlag er dem Werben der Nationalsozialisten und ließ sich für den Propagandafilm "Hitlerjunge Quex" vor den Karren spannen. Die Nazis feierten die Umdrehung des proletarischen Volksschauspielers, schenkten ihm die Intendanz des Berliner Schiller Theaters und ließen ihn - spielen, spielen, spielen.
Gegenleistung: Heinrich George musste in dem antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß" mitwirken und einige Blut-und-Boden-Parolen in dem Durchhalte-Machwerk "Kolberg" aufsagen. Was er mit erschreckend gut gespielter Inbrunst tat. Man kann es nicht anders sagen: Eine von Georges überzeugendsten Rollen war Stimmungsmacher und Claqueur für Hitler und Goebbels.
Auch im Sportpalast 1943, als Goebbels den "totalen Krieg" ausrief, sieht man ihn in den dazugehörigen Wochenschau-Ausschnitten klatschen. Dabei wusste George selbst angeblich gar nicht, wie er überhaupt zu der Veranstaltung gekommen sei. Dem sowjetischen Oberstleutnant, der ihn nach Kriegsende in den Kellern des Gefängnisses Hohenschönhausen verhört, sagt er in einer Spielszene, Goebbels habe ihn für eine Besprechung im Auto abholen lassen, auf einmal stand er dann im Sportpalast - allerdings nicht stürmisch applaudierend auf einem Stuhl stehend, so wie das in der Wochenschau suggeriert worden sei. Wie hätte der bitte seine massige Statur aushalten sollen, fragt er mit seinem treuherzigsten Blick und steigt zu Demonstrationszwecken auf den Verhörstuhl - der unter der Last zusammenbricht.
Die Überlegenheit der Kunst? Ein Irrglaube!
Wie abhängig also war Heinrich George, das Superschwergewicht des Theaters und Kinos im "Dritten Reich"? Welchen Handlungsspielraum hatte er? Das ARD-Doku-Drama unter der Regie von Joachim Lang ist um die sowjetischen Verhörprotokolle herum gebaut, immer wieder werden zentrale Punkte daraus im Rückblick gezeigt: George, wie er auf einer Party kurz nach der "Machtergreifung" jüdischen Schauspielern und Malern, deren Kunst unter den Nazis als "entartet" galt, versichert, der Hitler-Spuk sei bald vorbei. George, wie er Goebbels bei den Verhandlungen über die Intendanz des Schiller-Theaters die Zusage entlockt, Juden und linke Künstler ins Ensemble aufnehmen zu können. George, wie er einem jüdischen Freund im ausverkauften Haus furchtlos einen Stuhl vor die erste Reihe stellt.
Georges Handeln war von der Überzeugung geprägt: Die Kunst braucht die Nazis nicht, die Nazis aber brauchen die Kunst. Also konnte man Forderungen stellen. Ein Irrglaube. Und das ARD-Doku-Drama zeigt sämtliche schuldhafte Verstrickungen auf, die dieser Irrglaube zeitigte: wie Heinrich George Leute aus seinem Ensemble dann doch den Nazis ausliefern musste, wie er sich mit seinem NS-kritischen Schauspieler-Mentor Paul Wegener ("Der Golem") überwarf, wie er durch Radioansprachen und denunziatorische Hörspiele immer mehr zur Wohnzimmerstimme des "Dritten Reichs" wurde.
Größter deutscher Schauspieler aller Zeiten? Oder doch nur NS-Grußonkel? Der Film bejaht im gewissen Sinne beide Fragen. Am Rande streifte auch schon Oskar Roehlers NS-Künstlerdrama "Jud Süß - Film ohne Gewissen" die Biografie von Heinrich George; da gab ihn Armin Rohde als naiven, beschwippsten Geck. "George" zeigt ihn nun, wenn auch fast immer mit Schampusflasche in Griffweite, als tragische Figur.
Getrieben vom Alten
Man kann sich vorstellen, welche Kraftanstrengung die Darstellung des Übervaters für Götz George bedeutete. Sein Vater - er war bei dessen Tod in sowjetischer Haft 1946 acht Jahre alt - war für ihn immer als Ansporn und Angstmacher zugleich. Wer ist denn so verrückt und ergreift bei so einem Alten den Beruf des Schauspielers? Sein Erbe machte Götz George früh einsam. Während die jungen Wilden des Neuen Deutschen Films mit der Elterngeneration abrechneten, verteidigte er in Interviews stets inbrünstig den geliebten Vater. Später dann, als sei er vom Fluch getrieben, dem alten George gerecht zu werden, ging er schauspielerisch immer wieder über Schmerzgrenzen.
Am Ende von "George" liegt der Sohn in der Rolle des Vaters auf dem Sterbebett, als letzter Seufzer erklingt aus seinem Mund: "Götz!" In der anschließenden Interviewpassage blinzelt Götz George dann peinlich berührt, haspelt in der ihm eigenen Art, dass er seinen Vater nie erreichen werde. Und schickt ihm einen letzten Gruß: "Du warst immer besessener."
"George" läuft am Montag, dem 22. Juli bei Arte und zwei Tage später in der ARD, dazwischen wird Götz George 75 Jahre alt. Mit diesem aufwühlenden Film über den alten George, entstanden aus Schuld, Liebe und Spielwut, könnte bei dem jüngeren George endlich Frieden einkehren.
"George": Montag, 22. Juli, 20.15 Uhr, Arte. Sowie Mittwoch, 24. Juli, 21.45 Uhr, ARD