TV-Star Ulrike Kriener "Männer werden schreiend aus dem Zimmer laufen"
In Doris Dörries satirischer Fernsehserie "Klimawechsel" spielt Ulrike Kriener eine Lehrerin, die sich nicht mit den Wechseljahren abfinden mag. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview spricht die Schauspielerin über Schönheitswahn, Kritik an Frauen - und das Komödienpotential von Hormonschwankungen.
SPIEGEL ONLINE: Frau Kriener, in Doris Dörries ZDF-Serie "Klimawechsel" über vier Frauen in der Menopause wird Ihrer Figur mit Abstand am meisten zugemutet: Sie reißt sich schon im Vorspann ein graues Schamhaar aus. Beim Seitensprung erklärt der jüngere Liebhaber, sie sei untenherum etwas "flatterig", bei der anschließenden Vaginalverengung passiert ein größeres Unglück. Was haben Sie sich gedacht, als Sie das Drehbuch lasen?
Kriener: Ich habe schon geschluckt und mein erster Gedanke war: "Wie soll das denn von den Öffentlich-Rechtlichen produziert werden?" Ich fand Doris' Bücher sehr radikal, frech und wirklich weit davon entfernt, was sich das Fernsehen normalerweise traut.
SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie sich, dass das ZDF die Serie dennoch in Auftrag gegeben hat?
Kriener: Doris ist eine außergewöhnlich erfolgreiche, vielseitige Künstlerin. Da kann man sich beim Fernsehen glücklich schätzen, dass sie auch mal hier arbeiten wollte. Zum anderen ist sie durch ihre vielen Projekte sehr gut vernetzt. So konnte sie dem Sender schon gleich ein außergewöhnlich gutes Team und eine sehr gute Besetzung anbieten.
SPIEGEL ONLINE: Was fanden Sie an "Klimawechsel" besonders gewagt?
Kriener: Die Schlüpfrigkeit ist schon bemerkenswert. Aber auch die Freiheit, unangenehme Eigenschaften von Frauen in aller Deutlichkeit zu zeigen, hat mir gefallen. Frauenthemen werden im Fernsehen ja oft idealisiert - unsere Serie hingegen kritisiert Frauen auch.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?
Kriener: Meine Figur Beate Busch wird durch die unbändige Angst getrieben, äußerlich nicht mehr zu genügen. Beate entblödet sich nicht, wirklich alles für ihr Aussehen und ihre Bestätigung zu tun.
SPIEGEL ONLINE: Sie spielen in der Serie mit vielen hochkarätigen Kolleginnen wie Andrea Sawatzki oder Juliane Köhler zusammen. Gab es da einen freundschaftlichen Wettbewerb, wer die schrägere Szene oder den größeren Lacher hinbekommt?
Kriener: Nein, Doris achtet schon darauf, dass auch die schrillste Szene einen Kern von Wahrhaftigkeit behält.
SPIEGEL ONLINE: Was ist der wahrhafte Kern Ihrer Figur?
Kriener: Die große Angst vor dem Alter - und die Furcht, unsichtbar zu werden. Beate hat sich immer über ihr Äußeres definiert. Mit dem Alter wächst bei ihr das Gefühl, diesen Halt nicht mehr zu haben. Das verunsichert sie. Und dann sieht sie auch noch jeden Tag ihre Tochter, die sich zu einer jungen, schönen Frau entwickelt.
SPIEGEL ONLINE: Stichwort Unsichtbarkeit: Woran liegt es, dass das Thema Wechseljahre kaum im Fernsehen vorkommt? Sind es die männlichen Programmverantwortlichen, die es nicht interessiert - oder auch Frauen, die mit diesem Thema nicht konfrontiert werden wollen?
Kriener: Es liegt wahrscheinlich an beiden Gruppen. Dabei sind die Wechseljahre ein wirklich guter TV-Stoff - das war mir vorher auch nicht so bewusst. In Teenie-Komödien sind hormonelle Verwirrungen das zentrale Thema. Auch die Midlife-Crisis von Männern, die sich einen Porsche oder Cowboy-Stiefel kaufen, weil sie mit dem Altern nicht zurechtkommen, wird in zahllosen Filmen behandelt. Bei Frauen in den Wechseljahren trifft beides gleichermaßen zu: Sie müssen sich mit ihrem Alter arrangieren - und haben auch noch mit hormonellen Schwankungen, Schlafstörungen und Hitzeschüben zu tun. Eigentlich eine super Grundlage für Komödien!
SPIEGEL ONLINE: Wie, glauben Sie, werden Männer auf die Serie reagieren?
Kriener: Sie werden schreiend aus dem Zimmer rennen. (lacht)
SPIEGEL ONLINE: Wären Sie denn damit zufrieden? Die müssten doch eigentlich erst recht hingucken - um zu sehen, was mit den Frauen los ist.
Kriener: Nein, zufrieden wäre ich mit der Reaktion natürlich nicht. Aber ich könnte sie verstehen - schließlich spielen wir Hysterie und die Gefühlsausbrüche kräftig aus. Außerdem kommen Männer in der Serie nicht besser weg als wir Frauen.
SPIEGEL ONLINE: Die Serie ist auch optisch ein Wagnis: Sie wurde mit digitaler Handkamera gedreht, oft ist das Bild grobkörnig und verwackelt. In Zeiten, da Schauspielerinnen auf bestimmte Ausleuchtungswinkel und Schminktechniken bestehen, um möglichst gut auszusehen, muss das eine Überwindung gewesen sein.
Kriener: Ich finde nicht, dass wir schlechter als gewöhnlich aussehen. In meiner Serie "Kommissarin Lucas" komme ich durch das kalte, harte Krimi-Licht, das viel mit Schatten arbeitet, manchmal schlechter weg. Die Optik von "Klimawechsel" ist im Vergleich dazu fast dokumentarisch - und dagegen habe ich überhaupt nichts.
SPIEGEL ONLINE: Wie waren die Dreharbeiten zu "Klimawechsel"? Viele Szenen wirken intuitiv gespielt, ohne viele Proben.
Kriener: Dieser Effekt war so gewollt. Und dazu passte auch diese Kameratechnik. Sie wollte Szenen festhalten, bevor wir als Schauspielerinnen zu sicher werden. Normalerweise entwickelt man beim Proben ja eine Szene, in der man durch die Wiederholung immer sicherer wird. Durch die Unmittelbarkeit und Schnelligkeit des Drehens mit Digitalkamera - da braucht es ja kaum Zeit, um das Licht aufzubauen - veränderte sich die Arbeitsweise. Gerade wenn ich dachte, jetzt wüsste ich, wie ich die Szene spielen werde, hatte Doris die Szene schon im "Kasten". Das hat mich am Anfang ein bisschen verrückt gemacht. Ich dachte: "Ich habe doch noch gar nichts gespielt! Das war doch noch alles geprobt!"
SPIEGEL ONLINE: Mittlerweile sind Sie aber von der Digitalkamera überzeugt?
Kriener: Ja, das war für mich eine tolle Erfahrung. Es hat mich an die Zeit in der Schauspielschule erinnert, wo ich noch unsicher war. Jetzt, als erfahrene Fernsehschauspielerin, weiß ich mittlerweile mit einem Blick auf die Kamera, wie eine Szene aufgelöst werden wird. Das gibt mir Sicherheit, aber ich füge mich auch bewusst in eine Form. Zusammen mit meinen Kolleginnen von "Klimawechsel" habe ich festgestellt, dass wir uns bei der Arbeit mit Digitaltechnik wieder handwerklich weiterentwickeln konnten. Das geschieht nicht oft. Aber natürlich ist diese Technik nicht für jede Art von Filmen einsetzbar.
SPIEGEL ONLINE: Doris Dörrie hat gesagt, ihr sei der Impuls für die Serie gekommen, nachdem sie jede Menge schlechtes Fernsehen geschaut habe. Wie geht es Ihnen mit dem deutschen TV-Angebot?
Kriener: Ich kann Doris verstehen, wenn sie kritisiert, wie Frauen im TV superpatent durchs Leben marschieren und in Südafrika eine Farm aufbauen. Wenn sie sagt, dass sie in diesem Frauenbild weder sich selbst noch die Frauen um sich herum wiedererkennen könne, weil die viel witziger, aggressiver und lebendiger seien. Natürlich gibt es tolle Rollen für Frauen und auch sehr gute Schauspielerinnen, aber die spielen meistens Kommissarinnen. Deshalb bin ich auch für meine "Kommissarin Lucas" sehr dankbar.
SPIEGEL ONLINE: Bleibt ambitionierten Schauspielerinnen wirklich nur die Kommissarin übrig?
Kriener: Das ist schon ein Sahnehäubchen, das man als Schauspielerin ergattern kann. Schließlich haben wir kaum mehr das thematische Fernsehspiel. Stattdessen werden fast alle gesellschaftlichen Themen in Krimis untergebracht. Für jüngere Kolleginnen bleiben da oft nur die Liebesfilme in Schweden oder England. Dann gibt es noch die großen Eventfilme, in denen heroische Frauen zwischen zwei Männern nach diversen Schicksalsschlägen der Zukunft tapfer ins Auge blicken.
SPIEGEL ONLINE: Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass man sich beim ZDF einmal ein Risikoprojekt wie "Klimawechsel" leistet - und dann auf lange Zeit wieder die Finger davon lässt?
Kriener: Ich wünsche mir, dass das ZDF den Mut, den es bei uns bewiesen hat, regelmäßig aufbringt. Dass man zum Beispiel einen Sendeplatz wie den Donnerstag um 21 Uhr, auf dem wir nun laufen, prinzipiell für Experimente offen hält - und dort vielleicht zweimal im Jahr andere Regisseure, Schauspieler und Formate ausprobiert. Dann muss man auch bereit sein, mal eine niedrigere Quote in Kauf zu nehmen. Aber wenn ich Volksmusik im Fernsehen ertrage - dann müssen es die Volksmusikfans im Gegenzug auch mal aushalten, wenn wir ausgeflippte Frauen in den Wechseljahren zeigen.
Das Interview führte Hannah Pilarczyk
"Klimawechsel", Doppelfolge am Mittwoch, 7.4, 20.15 Uhr, nächste Folge Donnerstag, 8.4., 21.00 Uhr, jeweils ZDF