Wissenschaftliche Mitarbeiter Nach zwölf Jahren kommt das Nichts
Erst Ausbeutung, dann Arbeitslosigkeit: Eric Linhart, 39, war zwölf Jahre lang befristet angestellt. Dann ging es für den Juniorprof plötzlich nicht mehr weiter. Wie Tausende ist er Opfer einer unsinnigen Politik geworden.
Vielleicht war Eric Linhart naiv. Vielleicht vertraute er zu sehr auf das, was er geleistet hatte: Politikstudium mit Bestnote abgeschlossen, nahtlos eine Doktorandenstelle bekommen, nach weiteren dreieinhalb Jahren promoviert. Als er dann auch noch auf Anhieb eine Stelle als Juniorprofessor an der Universität Kiel fand, schien es für ihn auf der Karriereleiter nur eine Richtung zu geben: aufwärts.
Siebeneinhalb Jahre später, ein Sommertag an der Universität Kiel. Studenten sonnen sich auf dem Campus, trinken Kaffee. Eric Linhart, 39, sitzt in kurzer Hose und T-Shirt in seinem Büro. An der Tür, Raum 105, steht "Dr. Eric Linhart, Juniorprofessur, Abt. Agrarpolitik", aber das Schild ist nicht mehr aktuell: Linhart ist seit einem halben Jahr arbeitslos. Er darf sein Büro nur deswegen weiter nutzen, weil er offene Projekte beenden soll.
Der Grund für Linharts Situation ist, dass er insgesamt schon zwölf Jahre lang befristet an Hochschulen angestellt war - erst als Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann als Juniorprofessor. Jetzt darf er nicht mehr verlängern, das verbietet das "Wissenschaftszeitvertragsgesetz". Linhart bleibt eigentlich nur noch eine Möglichkeit: eine dauerhafte Anstellung. Und das sind fast ausschließlich "richtige" Professuren, die extrem begehrt sind. Auf eine Ausschreibung kommen etwa 20 qualifizierte Bewerber. Wie viele Versuche er schon unternommen hat, eine der Stellen zu bekommen, möchte Linhart nicht sagen: Er fürchtet, es könnte seinem Ruf schaden.
- Verena Brandt/ UNI SPIEGEL
Ausgabe 4/2015
Der schwarze Blog
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Neun von zehn sind befristet angestellt, bei der Hälfte läuft der Vertrag nur ein Jahr oder kürzer. Eine planbare Karriere? Unmöglich. Der Berufsweg gleicht oft Wanderjahren; von Vertrag zu Vertrag, von Universität zu Universität, manchmal von Bundesland zu Bundesland. Und das alles fällt meist genau in eine Phase, in der viele Menschen über Heirat, Kinder und eine Eigentumswohnung nachdenken.
Auch Linhart hatte gehofft, angekommen zu sein. 2007 zog er für seine Juniorprofessur von Mannheim nach Kiel. Er baute sich einen neuen Freundeskreis auf, lernte neue Kollegen kennen. Er fühlte sich schnell wohl an der Ostsee und war von Anfang an erfolgreich. Hunderttausende Euro an Drittmitteln warb er während seiner Zeit als Juniorprofessor ein. Er veröffentlichte in internationalen Journals, gewann den Lehrpreis der Fakultät. "Früher sagte man, diese Mischung sei das Erfolgsrezept für eine Professorenstelle", sagt Linhart. Leider bewahrheitete sich das nicht.
Schon 1919 mahnte der Soziologe Max Weber, eine akademische Laufbahn sei voller Widrigkeiten, eine Irrfahrt ins Ungewisse, denn ein Nachwuchswissenschaftler "muss mindestens eine Anzahl Jahre aushalten können, ohne irgendwie zu wissen, ob er nachher die Chancen hat, einzurücken in eine Stellung, die für den Unterhalt ausreicht". Fast hundert Jahre sind diese Worte alt, doch sie sind so aktuell wie selten zuvor.
- DPA
Denkbar wäre laut Wanka zum Beispiel das sogenannte Tenure-Track-Modell, das in Amerika längst Alltag ist. Dabei vereinbaren Universität und Postdoktorand bestimmte Ziele. Sind die nach einem gewissen Zeitraum erreicht, wandelt sich die Stelle automatisch in eine Lebenszeit-Professur um.
Anfang nächsten Jahres sollen neue Regeln in Kraft treten, doch nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte ist zumindest Skepsis angebracht, ob das gelingt. Einstweilen hoffen viele Jungwissenschaftler darauf, dass die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), ein Verbund deutscher Hochschulen, einen Beschluss vom Mai umsetzt: Danach sollen sowohl Doktoranden als auch Postdoktoranden längere Verträge als bisher bekommen, mindestens über zwei Jahre. Außerdem wollen die HRK-Mitglieder mehr unbefristete Stellen für jene Mitarbeiter schaffen, die keine Professoren sind.
"Es strengt an, permanent neu anfangen zu müssen"
Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), ist froh, dass sich jetzt etwas für die Postdocs tun soll. "Es ist doch töricht, viel Geld in die Qualifikation von Fachkräften zu stecken, um sie auf dem Zenit ihres Schaffens gehen zu lassen. Kein Unternehmen würde so agieren", sagt Keller.
Weil sich so wenig änderte in den vergangenen Jahren, sind inzwischen Tausende talentierter Akademiker, die gern an der Hochschule geblieben wären, in die Wirtschaft gewechselt oder haben das Land verlassen in der Hoffnung, anderswo leichter Fuß zu fassen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und andere Organisationen versuchen zwar, die abtrünnigen Nachwuchswissenschaftler zurück in die Heimat zu locken. Doch solange viele Karrierelaufbahnen ins Ungewisse führen, zögern die Jungakademiker.
Eric Linhart hat zwar nach langem Suchen einen neuen Job gefunden, eine Postdoc-Stelle an der Universität Heidelberg. Weil diese über Drittmittel finanziert wird, also nicht aus dem Etat der Universität, kann er sie annehmen. Doch es schmerzt ihn, mit 39 Jahren Kiel wieder zu verlassen. "Es strengt an, permanent neu anfangen zu müssen", sagt er. Linhart wird sein Sportteam aufgeben und das Orchester, in dem er Saxofon spielt. Zwei Jahre wird sein Vertrag in Heidelberg laufen. Wohin es danach geht? Linhart weiß es nicht. Er weiß nur, dass er sich nicht viel länger von Vertrag zu Vertrag hangeln will. Notfalls wird er sich einen Job außerhalb der Wissenschaft suchen.
- DPA