Einstufung als geistig Behinderter Ehemaliger Förderschüler verklagt NRW auf 38.000 Euro
Seine Schulzeit verbrachte ein 20-Jähriger auf Schulen für geistig Behinderte, obwohl er gar keinen Förderbedarf habe, wie er sagt. Jetzt kämpft der junge Mann vor Gericht.
Bis zu seinem 18. Lebensjahr musste ein junger Mann Förderschulen besuchen, weil er als geistig behindert eingestuft worden war - zu Unrecht, wie er findet. Jetzt verklagt der heute 20-Jährige deshalb das Land Nordrhein-Westfalen. Er fordert rund 38.000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz, weil ihm Bildungschancen und ein normaler Schulabschluss vorenthalten worden seien.
An diesem Dienstag hat sich eine Zivilkammer des Kölner Landgerichts erstmalig mit dem Fall befasst. Die Klage sei sehr ungewöhnlich, hatte eine Gerichtssprecherin bereits im Vorfeld mitgeteilt. Eine Entscheidung fiel zunächst nicht. Der Kläger solle noch weitere Unterlagen einreichen, darunter Zeugnisse und Förderpläne ab dem Jahr 2008, teilte das Gericht mit.
"Die Kammer hat außerdem Bedenken geäußert, ob es dem Kläger gelingt nachzuweisen, dass er in jedem Fall, wenn er in einer passenden Schule gefördert worden wäre, zum 16. Lebensjahr einen Realschulabschluss erworben hätte", so das Landgericht. Es stelle sich zudem die Frage, ob die rechtliche Grundlage überhaupt einen Verdienstausfallschaden rechtfertigen könne.
Wurde der Schüler nicht regelmäßig getestet?
Der Kläger war in Bayern eingeschult worden. Er war damals als minder intelligent getestet und deshalb auf eine Sonderschule verwiesen worden. Als die Familie einige Zeit später nach Nordrhein-Westfalen umzog, kam er auch dort auf eine Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung. Dort blieb er bis zu seinem 18. Lebensjahr, obwohl er seine Lehrer immer wieder um einen Schulwechsel gebeten habe.
Erst mit Hilfe des Vereins "Mittendrin", der sich für Inklusion einsetzt, gelang ihm schließlich ein Wechsel auf ein Berufskolleg. Dort bereitet er sich nach Angaben des Vereins zurzeit auf seinen Realschulabschluss vor.
Nach Auffassung des Klägers hat es die Förderschule in NRW versäumt, den sonderpädagogischen Bedarf in Hinblick auf seine geistige Entwicklung regelmäßig zu überprüfen, teilte eine Gerichtssprecherin mit. Die Bezirksregierung Köln als zuständige Behörde argumentiere dagegen, es seien keine Fehler gemacht worden.
Die "Verordnung über die sonderpädagogische Förderung" sieht vor, dass der festgestellte Förderbedarf eines Schülers mindestens einmal jährlich überprüft wird. Zu dem konkreten Fall wollte das NRW-Schulministerium auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben. Der Rechtsanspruch für Eltern, ihr behindertes Kind auf eine Regelschule schicken zu können, besteht in NRW erst seit 2014.
Elternvereinen zufolge ist die Geschichte des 20-Jährigen keine Ausnahme. Ihm seien eine Reihe von Fällen bekannt, in denen Förderschülern der Wechsel auf eine allgemeine Schule verwehrt worden sei, sagte Bernd Kochanek, NRW-Vorsitzender von "Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen". Die vorgeschriebene jährliche Überprüfung des Förderbedarfs werde oft nur nach Aktenlage erledigt: "Das ist gängige Praxis."
(Az.: 5 O 182/16)
lgr/dpa