Student erforscht Höhenkrankheit Christians 30.000-Meter-Projekt
Die Antwort könnte Leben retten: Warum werden einige Bergsteiger höhenkrank und andere nicht? Der Medizinstudent Christian Kreisel aus Marburg geht dieser Frage nach - in Tansania. Dafür muss er mehrmals den Kilimandscharo besteigen.
Christian Kreisel reibt sich übermüdet die Augen. Gestern Nacht taumelte durch den Aufenthaltsraum des Kibosho Hospitals ein blutüberströmter Mann, dem ein Messerstecher den Oberarm aufgeschlitzt hatte. Danach wurde ein Nationalparkwächter mit einem Waran-Biss eingeliefert. Und jetzt auch noch ein Fall von Tollwut. "Tollwut habe ich gar nicht gelernt. In den vergangenen 30 Jahren gab es in ganz Deutschland davon gerade einmal zehn Fälle", sagt Kreisel. Viele Ernstfälle des Lebens, mit denen sich der Mediziner derzeit beschäftigen muss, gibt es fast nur in Afrika.
Kreisel, 34, ist fast rund um die Uhr gefragt. Mal bringt er mit dem Landrover dringend benötigte Wassersäcke ins knochentrockene Massailand. Dann dirigiert er den Kran, der einen steckengeblieben Lastwagen mit Spendengütern aus dem Morast ziehen soll. Heute Nachmittag muss er eine Baustelle besichtigen. Nach einigen dramatischen Zwischenfällen mit Notfällen, die stundenlang auf den behandelnden Arzt warten mussten und darüber fast verblutet wären, hat er den Bau einer Notaufnahme angeregt.
Dabei ist Kreisel, Medizinstudent aus Marburg, eigentlich wegen des Berges hier. Die schneebedeckte Kuppe des Kilimandscharo erhebt sich majestätisch hinter ihm, davor wuchern meterhoch die Bananenstauden. Sein Herz für die Berge entdeckte Kreisel schon während seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten in Konstanz. Damals fuhr er an den Wochenenden in die Schweizer Alpen. Später dann, im Medizinstudium, suchte er nach einem Promotionsthema. Mit den Bergen sollte es was zu tun haben. Es sollte nicht zu theoretisch sein, eher praxisorientiert. Ein bisschen Abenteuer konnte auch nicht schaden.
Warum werden einige Bergsteiger höhenkrank?
Kreisel erinnerte sich an eine Frage, die ihm schon länger auf der Seele liegt: Warum leiden einige der Bergsteiger so entsetzlich unter der Höhenkrankheit und andere nicht? Während Christian Kreisel gazellenhaft die Schweizer Bergwelt erkunden konnte, litten seine Wanderkumpanen bisweilen heftig unter Übelkeit, Erbrechen und hämmernden Kopfschmerzen. Sogar zu tödlichen Hirn- und Lungenödemen kann die Höhenkrankheit führen. "Man hat viel über das Höhenhirnödem geforscht, doch noch immer weiß man nicht genau, was es auslöst", sagt Kreisel. Echte Beweise für die Vermutung, dass es sich um Mikroblutungen im Gehirn handelt, stehen aus. Zudem wurden nie diejenigen richtig untersucht, die auch jenseits der 4000 Meter weitgehend symptomfrei blieben.
Plötzlich hatte Kreisel sein Thema: Die Höhenkrankheit wollte er erforschen. Nun stellte sich nur noch die Frage wo. Es musste einer der sieben Summits sein - einer der großen Gipfel dieser Erde. Der Kilimandscharo bot sich geradezu an. Er hat einen legendären Ruf, klingt nach Hemingway und Whisky, nach Safari und Savanne. "Er ist 6000 Meter hoch, aber trotzdem relativ leicht zu besteigen", sagt Kreisel, "außerdem ist er ein Magnet für Zehntausende Touristen, die das Abenteuer suchen." Ein ideales Forschungsgebiet also. Kein Wunder, dass Kreisel schnell einen Doktorvater für sein Vorhaben fand.
Seit Ende August ist Kreisel nun schon in Tansania. Insgesamt neun Monate will er für seine Langzeitstudie bleiben. Weil er sich in dieser Zeit nicht nur mit seiner Dissertation beschäftigen wollte, heuerte der Student zudem im Kibosho Hospital als Hilfskraft an. Und ist plötzlich Doktorand und Entwicklungshelfer in einem.
Sechsmal will Kreisel den Kilimandscharo besteigen
Mitte Dezember sollen auch die Forschungsarbeiten endlich losgehen. Dann will Kreisel mit einer siebenköpfigen Wandergruppe den Gipfel, der einst Kaiser-Wilhelm-Spitze hieß und nun den Namen Uhuru Peak trägt, erklimmen. Alle Probanden werden vor und nach der Reise in Deutschland in einen Computertomografen gesteckt. Danach werden die Ergebnisse ausgewertet. Insgesamt sechsmal will Kreisel in den nächsten Monaten den Kilimandscharo besteigen. Moshi liegt auf etwa 900 Metern, allein mit den Aufstiegen kommen also rechnerisch mindestens 30.000 Höhenmeter zusammen.
Am Ende soll die Frage beantwortet werden, warum einige Menschen in der dünnen Luft so leiden und andere nicht. "Es hat wohl mit den Genen zu tun", ist sich Kreisel sicher, "Tibeter etwa können gar nicht höhenkrank werden." Noch sind die meisten Fragen offen. Ein paar Tipps hat Kreisel für die Bergvagabunden dennoch schon jetzt parat: "Am besten lässt man sich für den Aufstieg mehr Zeit als die fünf bis sechs Tage, die manche Reiseveranstalter anbieten." Schließlich muss sich der Körper an die Höhe gewöhnen. Außerdem sollte man schon ein paar Tage vor dem Aufstieg anreisen und sich akklimatisieren. Entspannung ist in der endlosen Weite Afrikas schließlich kein Problem.