Hochschulzugang Zahl der Studenten ohne Abi steigt
Sie studieren, aber ohne Abitur: Die Zahl der Studienanfänger ohne klassische Hochschulreife hat sich seit 2009 fast verdoppelt. Doch ihr Anteil an allen Studenten ist noch immer gering.
Berlin - Ihre Zahl ist klein, aber sie werden mehr: 12.400 junge Erwachsene begannen 2012 ein Hochschulstudium ohne Abitur. Damit steigt die Zahl der Studienanfänger ohne klassisches Abitur oder Fachhochschulreife, die sich an einer Universität oder Fachhochschule einschreiben, teilte das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) am Freitag mit. Die Zahlen stammen aus dem Arbeitspapier "Studieren ohne Abitur - Stillstand oder Fortentwicklung?" der Gütersloher Hochschulforscher Sindy Duong und Vitus Püttmann.
Demnach hatten sich im Jahr 2009 nur rund 6300 (1,5 Prozent) junge Menschen ohne Abitur eingeschrieben, im Jahr 2011 waren es knapp 11.900 (2,3 Prozent). Damals hatte die Kultusministerkonferenz beschlossen, deutsche Hochschulen sollten sich auch diesen Bewerbern stärker öffnen und Meistern oder anderen beruflich Qualifizierten den Hochschulzugang erleichtern. Seitdem hat sich die Zahl der Studenten ohne Abitur knapp verdoppelt.
Dennoch ist der Anteil der Nicht-Abiturienten nach wie vor gering. Bei rund 500.000 Erstsemestern machten die 12.400 Nicht-Abiturienten gerade einmal 2,5 Prozent aus. In Schweden verfügt fast jeder dritte Studienanfänger nicht über ein klassisches Abitur, sondern hat die Studienberechtigung durch berufliche Qualifizierung erworben.
Bei der Fächerwahl entschied sich knapp die Hälfte der Neuimmatrikulierten ohne Abitur für die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Rund ein Viertel wählte Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften oder einen technischen Studiengang. 6600 Erstsemester ohne Abitur wählten eine Fachhochschule, 5800 eine Universität.
Hamburg will 3-Prozent-Quote einführen
Spitzenreiter im deutschen Bundesländervergleich sind Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Nicht-Abiturienten stellen dort einen Anteil von jeweils 4,5 Prozent unter den Erstsemestern. Berlin folgt mit 3,8 Prozent auf dem dritten Platz.
Brandenburg plane für dieses Jahr Erleichterungen für den Abi-freien Hochschulzugang, teilte das CHE mit. Dann ist es in allen Bundesländern möglich, auch ohne Abitur ein Studium aufzunehmen. Generell erforderlich ist ein Berufsabschluss und meist mehrjährige Berufserfahrung. Zum Teil gibt es auch Eignungsprüfungen. Einige Bundesländer wollen ihre Hochschulgesetze überarbeiten, um ihre Hochschulen weiter für die neue Zielgruppe zu öffnen. In Hamburg soll es eine 3-Prozent-Vorabquote für Studenten ohne Abitur geben. In Baden-Württemberg sollen spezielle weiterbildende Bachelorstudiengänge eingerichtet werden.
Außerdem wird an neuen Modellen gearbeitet. "Studierende ohne Abitur und Fachhochschulreife brauchen häufig Studienangebote mit flexiblen Studienzeiten", sagt CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele. "Studiengänge mit hohem Anteil an Präsenzzeiten und wenig Teilzeitangeboten machen es Studieninteressierten schwerer, sich aus dem Beruf heraus akademisch weiterzubilden." Die jetzige Zeitplanung vieler Studiengänge mag der Grund dafür sein, dass mehr als die Hälfte der Erstsemester ohne Abi an der Fernuniversität Hagen studieren. Die Fernuni hat jüngst angekündigt, ihre Studentenzahl verringern zu wollen.
Mehr Öffnung für beruflich Qualifizierte fordert auch Kai Gehring, Grünen-Politiker und Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung. Bislang sei es mit der "vielbeschworenen Durchlässigkeit im Bildungssystem" nicht weit her. Damit sich die gesellschaftliche Vielfalt an den Hochschulen widerspiegele, sei eine "echte Öffnung" für beruflich Qualifizierte nötig, so Gehring.
- Corbis
lgr/dpa