Angespielt Eine Stunde mit "Resident Evil 6"
Es ist ein schweres Erbe - und "Resident Evil 6" scheitert daran. Der neue Teil der legendären Zombie-Horror-Serie, die als Marke längst auch im Kino Erfolge feiert, ist ein zusammengestückeltes Sammelsurium voller logischer Lücken. Das merkt man schon nach einer Stunde.
"Hier muss irgendwo ein Erste-Hilfe-Kasten sein." Natürlich, klar. Wo sonst, wenn nicht auf diesem verlassenen Hinterhof, auf dem ich gerade meine verletzte Begleiterin abgelegt habe? Die Logik von Spielen gebietet es, dass ich jetzt losziehe und nach einem Erste-Hilfe-Kasten suche. Hier auf dem Hinterhof. Wo sonst?
Natürlich ist der Erste-Hilfe-Kasten kein Erste-Hilfe-Kasten sondern eine Pflanze in einem Tontopf, die ich an Ort und Stelle mit einer anderen Pflanze kombiniere, zu Tabletten verarbeite und in ein Döschen gebe, aus dem ich sie dann bei Bedarf hervorholen kann. Warum sollte es einfacher sein? So mache ich das doch zu Hause auch. Natürlich gebe ich meiner verletzten Begleiterin etwas ab und natürlich dient das alles nur der Ablenkung von Gefahren. Gleich nämlich taumelt ein Zombie auf mich zu, den ich nur mit äußerst rabiaten Mitteln davon abhalten kann, mich zu essen: Ich ramme ihm ein Messer in den Kopf.
"Resident Evil 6" fängt ziemlich spektakulär an und stellt sich dann selbst ständig neue Beine. Das erste gleich nach dem Intro. Da stoppt das Spiel einfach und stellt mich vor die Wahl zwischen drei verschiedenen Szenarien: Leon, Chris oder Jake? Weiter wird nichts erklärt. Für "Resident Evil"-Veteranen ist vielleicht noch erkennbar, dass es sich zumindest bei Leon und Chris um bekannte Protagonisten der Reihe handelt. Für Neulinge und Menschen, die das Werk nicht auswendig kennen, ist es komplett unverständlich. Unterscheiden sich die Szenarios, spielen sie sich unterschiedlich, oder ist es immer das Gleiche, nur dass mein Protagonist anders aussieht? Keine Ahnung. Nur Ausprobieren hilft. Es ist die erste Variante, so viel kann ich inzwischen sagen. Warum das so gemacht wurde? Keine Ahnung. Vielleicht soll das clever sein, vielleicht konnten sich die Entwickler nur nicht auf eine kohärente Geschichte einigen und haben die Entscheidung auf die Spieler abgewälzt.
Das Intro kannst du vergessen
Kaum habe ich die Entscheidung zwischen den drei Szenarios getroffen - ich nehme Leon, weil er ganz oben steht - kommt das nächste unverständliche Menü. Oder glaubt man beim Entwickler Capcom, dass jeder sofort versteht, was mit "NICHT ZUL" gemeint ist? (ZUL ist, soviel habe ich dann erschlossen, eine Abkürzung von Zulassen, kein besonders fieser Zombie.) Und was soll mir "Spielziel-Einstellungen 'Spaß-Liebhaber'" sagen? Ich bin genervt und habe das Intro inzwischen völlig vergessen.
Leon also: Ich schleiche durch die leeren Gänge einer amerikanischen Elite-Universität. Jemand hat ein Virus freigesetzt, das Menschen in Zombies verwandelt. Gruselig, aber wenig erstaunlich bei "Resident Evil". Ohne Virus und Zombies geht hier nichts. Irritiert bin ich über das Spiel. Mal darf ich zehn Sekunden schnell laufen, dann muss ich wieder schleichen. Das Spiel gibt die Geschwindigkeit vor. Ich frage mich, warum das so ist, und vergesse darüber den Grusel, den ich zumindest im Ansatz gespürt habe. Ich bin genervt, weil ich dreimal zu einer Tür schleiche, sie nicht aufmachen darf, und dann jemand anders kommt und sie einfach öffnet. Bei der nächsten Tür wieder. Danach darf ich dann wieder, wahrscheinlich, weil Blut an der Tür klebt und das Gefahr bedeutet. Das sind nur die ersten zwanzig Minuten.
Unfertige Sammlung von Ideen
Um es abzukürzen: Ich habe länger als eine Stunde gespielt. Ich wollte wissen, was sich hinter den verschiedenen Szenarien verbirgt. Ich bin mit Leon geschlichen und habe in einigen Momenten kurz Angst gehabt. Ich habe mit Chris auf Zombies und Mutanten geschossen und mich gefragt, warum die japanischen Entwickler von "Resident Evil 6" so sehr auf westliche Vorbilder schielen müssen. Das Szenario nämlich ist eine kompliziert zu steuernde Mischung aus "Call of Duty" und "Gears of War", die mit Horden von Zombies gewürzt wurde.
Ein neuer Teil einer erfolgreichen Reihe hat es nie leicht. Er wird immer an den Vorgängern gemessen werden. Vor allem dann, wenn diese als Klassiker gelten. Wie die ersten beiden Teile, die Spieler das Gruseln gelehrt haben, und den vierten Teil, für den die Reihe sich neu erfand und der Vorbild für viele andere Spiele wurde. Doch während der fünfte Teil konsequent auf hochtourige Gaga-Action setzte und zumindest ab und an Panik auslösen konnte, setzt sich der sechste konsequent zwischen alle Stühle. Mit den verschiedenen Szenarien versucht das Spiel, es allen recht zu machen. Denen, die sich lieber gruseln, und denen, die Action wollen. Doch dabei wurden diverse Dinge vergessen: Die Geschichte wird nicht konsequent erzählt, einzelne Ereignisse werden ohne Zusammenhang hintereinandergesetzt.
"Resident Evil 6" wirkt wie eine unfertige Sammlung von Ideen, die noch zu einer Einheit zusammengefügt werden müssten und dann vielleicht - aber auch nur vielleicht - ein gutes Spiel ergeben würden. Ich werde jedenfalls nicht weiterspielen. Die versprochenen 30 Stunden Spieldauer erscheinen mir mehr Drohung als Versprechen.
"Resident Evil 6" von Capcom, für Playstation 3 und Xbox 360; ca. 60 Euro; USK: Ab 18 Jahren
Das sagen die anderen: Viele der großen Spielemedien halten "Resident Evil 6" für einen schwachen Teil der Reihe. Eine Sammlung von Ideen, lange ausgedehnt und ohne Zusammenhang präsentiert. Die umständliche Steuerung und die Reaktionsspielchen während der Zwischensequenzen werden ebenfalls bemängelt. Nur wenige Kritiker finden das Spiel gut. Diese loben vor allem die Actionsequenzen.