Durchsichtige Füße Na, Sohnemann, da strahlst du!
Das waren noch Zeiten: Ins Schuhgeschäft ging ich selbst als kleines Kind gern. Hinten gab es eine tolle Rutsche, und direkt davor stand der große Wunderkasten. Wenn ich lieb war, durfte ich mir darin meine Füße von innen ansehen. Im Ernst.
Wundermaschine: Das Fluoroskop (hier ein Modell um 1930/40)
"Hm, ja, sehen Sie mal", sagte die nette Verkäuferin, "das passt doch schon ganz gut."
"Das drückt aber!", meckerte ich, und die Verkäuferin legte mir die Hand auf den Kopf. "Die musst du doch noch einlaufen!"
Während Mama in die Okkulare des Apparates starrte, musste ich stillhalten. "Ich will auch mal!", quengelte ich dann, und wenn ich lieb war, durfte ich auch: Gerade so eben konnte ich mich so weit hochziehen, dass ich oben hineinsehen und unten mein Körperinneres entdecken konnte. Filigran und weißlich-blass auf bläulich-grau malte sich dort mein Kinderfuß im ledernen Gefängnis des neuen Schuhs ab.
"Ne, den nehmen wir nicht", sagte Mama bestimmt. "Er soll ja auch was davon haben!"
Was wir Kinder in den fünfziger und sechziger Jahren und - entgegen offizieller Beteuerungen - wohl hier und da auch noch in den siebziger Jahren von dieser Art der Verkaufsberatung hatten, ist bis heute nicht erfasst. Was für ein Glück, ist von Radiologen zu hören, dass nur Füße geröntgt wurden. Das aber geschah überall - auch nur so zum Spaß.
Das "Fluoroskop": Vom Party- zum Werbe-Gag
Wer bis 1965 geboren wurde, hatte gute Chancen, in besseren Schuhgeschäften ein "Schuh-Fluoroskop" in Aktion erleben zu dürfen. Damit ließen sich direkt im Geschäft - und unter Verzicht auf Kleinigkeiten wie Strahlenschutz - Füße in Schuhen röntgen und direkt betrachten. Schuhverkäufer müssen damals im Dunkeln geleuchtet haben, so verstrahlt wurden sie: Spätestens an diesem Punkt wird klar, warum die amerikanischen Drehbuchautoren Al Bundy ("Eine schrecklich nette Familie") gerade diesen Beruf andichteten.
Doch Scherz beiseite: Füße röntgen war "in", und kein Mensch dachte an mögliche Folgen. "Das haben die damals vor allem bei Kinderschuhen gemacht, und bei Babyschuhen immer", erzählt meine Mutter heute. "Ihr Kleinen konntet ja nicht sagen, wo es drückt."
Ergebnis einer Fluoroskop-Untersuchung: Der Schuh passt
Die später im Schuhhandel weltweit üblichen Modelle der fatal-genialen Maschinen wurden wahrscheinlich gegen 1924 von Clarence Karrer erfunden. Sie wurden schnell zu wahren Publikums- und Kundenmagneten, gebaut wurden sie rund um den Globus von zahlreichen Unternehmen.
Das örtliche Schuhgeschäft machten sie zum Mekka durchleuchtungswütiger Halbwüchsiger, und schnell erkannten Händler wie Hersteller das Reklame-Potenzial, das in den Apparaten steckte. Fluoroskope waren ein Freizeitspaß, den sich vorher nur Reiche hatten leisten können: Ab der Jahrhundertwende kamen mobile Röntgenapparate in Mode, mit denen man sich auf Partys selbst und gegenseitig "fotografierte".
Von wegen exotisch: ein Massenmarkt
Neben ihrer Anwendung in der Medizin bekamen Fluoroskope dann erst im Schuhandel eine weitere "Nutzanwendung", die sich sachlich begründen ließ. Hersteller von Fuß-Fluoroskopen warben allerdings unverhohlen mit deren werblichen Wirkung: Neben Killerargumenten für den Verkauf
Werbung für ein "fahrendes Fluoroskop"
Für Deutschland sind keine Zahlen zu finden. Die Geschichte der durchsichtigen Füße ist längst Teil der makabren Anekdotensammlung aus einer blind technikgläubigen Zeit. Wohl aber steht die Aussage im Raum, dass Fußdurchleuchtungsapparate in den frühen Sechzigern, kurz nach ihrem Verbot in den USA, auch aus hiesigen Geschäften verschwunden seien. Das aber stimmt definitiv nicht.
- 1. Teil: Na, Sohnemann, da strahlst du!
- 2. Teil: Es kommt noch toller: Zu den "medizinischen" Anwendungen radioaktiver Materialien gehörte die Einnahme. Der gesundheitsbewusste Bürger beherzigte die Devise "Radon-Gas ins Trinkwasser" - findige Tüftler bauten die dafür nötigen Apparate. Weiter zum zweiten Teil...