EU-Regeln zu elektronischen Beweismitteln Deutschland wird überstimmt, Barley warnt vor Missbrauch
Ob SMS, E-Mail oder Handystandort: Straftäter hinterlassen oft elektronische Spuren. Die Mehrheit der EU-Staaten will deswegen die Zugriffsrechte von Ermittlern deutlich stärken. Deutschland gehört nicht dazu.
Die EU-Staaten haben gegen den Willen der Bundesregierung neue Regeln für eine schnellere Weitergabe von elektronischen Beweismitteln wie E-Mails oder Chatinhalte gebilligt. Die EU-Justizminister stimmten am Freitag mehrheitlich für einen entsprechenden Verordnungsentwurf. Er soll es Mitgliedstaaten erlauben, in anderen Ländern ohne Einverständnis der dortigen Behörden Daten von Online- und Kommunikationsanbietern anzufordern. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) warnte vor Missbrauch durch EU-Staaten mit ungenügenden Rechtsstaatsstandards.
"Wir halten deswegen das Vieraugenprinzip für wichtig", sagte Barley. "Es kann nicht nur der Provider entscheiden, ob Daten herausgegeben werden, sondern der betroffene Mitgliedstaat sollte das auch tun."
Nationale Behörden könnten nach dem Verordnungsentwurf "jede Art von Daten" von Teilnehmer- über Zugangs- bis zu Inhaltsdaten anfordern, erklärte der EU-Rat. Daten sollen allerdings nur dann direkt bei den Providern abgefragt werden können, wenn sich die Ermittlungen auf schwere Straftaten beziehen, für die eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren möglich ist. Ausnahmen sind nur für bestimmte Vergehen in den Bereichen Cyberkriminalität oder Terrorismus vorgesehen.
Wer sich weigert, dem drohen Bußgelder
Bisher sind die Fristen zur Herausgabe von elektronischen Beweismitteln ("e-evidence") lang und könnten sich über Monate erstrecken. Mit der neuen Regelung müssten Daten von den betroffenen Firmen normalerweise binnen zehn Tagen herausgegeben werden, in dringenden Fällen, zum Beispiel bei Terrorermittlungen oder Kindesentführungen, auch binnen sechs Stunden. Dienstleister, die sich weigern, können mit Bußgeldern von bis zu zwei Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes belegt werden.
"Elektronische Beweismittel sind ein wesentliches Element in Strafverfahren geworden", sagte Österreichs Justizminister Josef Moser. Durch die neue Regelung könnten österreichische Ermittler etwa direkt Daten von der Deutschen Telekom anfordern, ohne dass die deutschen Behörden verständigt werden müssten. Gegen dieses Verfahren sprachen sich auch andere Länder wie die Niederlande oder Finnland aus.
Deutschland teile zwar das Ziel, "dass die Verfahren beschleunigt werden sollen", sagte Barley. Es müsse aber eine staatliche Kontrolle aufseiten des Ziellandes geben, ob "ein möglicher Grundrechtsverstoß" vorliege.
Zu kurze Fristen?
Barley hofft, dass in den Verhandlungen mit dem Europaparlament noch Änderungen an den Regeln möglich sind. Reichen würde aus ihrer Sicht, dass die Behörden im Zielland der Datenanforderung zur Überprüfung so viel Zeit eingeräumt bekämen wie der Diensteanbieter.
Auch der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Stephan Thomae, forderte, den Schutz der Grundrechte der Bürger "nicht allein privaten Unternehmen" zu überlassen. "Die ersuchten Mitgliedstaaten müssen prüfen, ob eine Beweisanforderung rechtmäßig ist und ob zum Beispiel Berufsgeheimnisse oder der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt werden", erklärte er. Zudem sollte der dem Überwachten vorgeworfene Tatbestand auch in dem Land strafbar sein, an das das Auskunftersuchen gehe.
Kritik an der Ausgestaltung der neuen Regeln kommt auch vom Branchenverband Bitkom. "Die Fristen für eine Herausgabe der Daten sind für Unternehmen viel zu kurz bemessen, um etwaige Behördenanfragen inhaltlich korrekt prüfen zu können", kommentierte Geschäftsleitungsmitglied Susanne Dehmel.
Entscheidung noch vor den Europawahlen
Zudem könnten neben den großen Anbietern von elektronischen Kommunikationsdiensten, sozialen Netzwerken und Providern von Internetinfrastruktur auch kleine und mittelständische Anbieter betroffen sein. Aber auch diese müssten wegen der kurzen Fristen rund um die Uhr Personal bereitstellen, das eventuelle Anfragen der Behörden beantworten könne.
Die Befürworter verweisen indes darauf, dass Ermittler dem Entwurf nach strenge Regeln befolgen müssen, wenn sie Daten von einem Provider in einem anderen EU-Staat anfragen. So muss zum Beispiel ein Ermittler in seinem Heimatland erst eine richterliche Genehmigung beantragen, wenn er bei einem Provider im EU-Ausland Inhaltsdaten wie Texte, Videos oder Bilder abfragen will.
Ob es und welche Nachbesserungen es noch an den Regeln gibt, wird sich zeigen, wenn sie im Europaparlament thematisiert werden, es hat ein Mitspracherecht. Laut Ministerrat sollen die Verhandlungen mit dem Parlament möglichst vor Ende der Legislaturperiode und den Europawahlen im Mai abgeschlossen werden.
mbö/AFP/dpa