Warn-App in Iran Achtung, hier lauert die Moralpolizei
Freizügige Kleidung, Küssen auf der Straße? In Iran ist das nicht erlaubt, Verstöße werden geahndet. Mit einer neuen App warnen sich Nutzer gegenseitig, wo die Sittenwächter auf Patrouille sind.
Ist das Gesicht zu auffällig geschminkt? Zeigt eine Frau zu viel von ihrem Haar, weil der Schal verrutscht ist? In Iran sind solche Fragen eine Angelegenheit für die Sittenpolizei Ershad.
Sie kann Verwarnungen verteilen und ist unter jungen Iranern dafür bekannt, nicht gerade zimperlich zu sein. Begegnen will man der Ershad auf der Straße daher nicht unbedingt.
Anonyme Programmierer haben nun eine App namens Gershad veröffentlicht, die dieses Ziel ein bisschen einfacher machen soll: Mit Hilfe der App können sich Nutzer in Echtzeit darüber informieren, wo die Sittenwächter gerade gesichtet worden sind und einen anderen Weg einschlagen.
Die App ist sozusagen ein Crowdsourcing-Projekt von Iranern, das dabei helfen soll, sich vor der Sittenpolizei zu drücken: Wie bei einer Blitzer-App oder der Verkehrsanwendung Waze werden Informationen eines Nutzers dem gesamten Netzwerk zur Verfügung gestellt. Der Ort jeder Meldung wird mit der stilisierten Figur eines Polizisten markiert. Liegt die Meldung länger zurück und wurde nicht aktualisiert, verblasst das Icon allmählich.
Entwickler beschreiben Schikanen durch die Sittenwächter
In Iran achten die offiziellen Sittenwächter darauf, dass die islamischen Kleidungs- und Benimmregeln in der Öffentlichkeit eingehalten werden. Dazu fahren die Agenten der Ershad genannten Moralpolizei regelmäßig Streife und errichten an belebten Stellen auch Kontrollpunkte.
Gerade junge Frauen loten in Großstädte wie Teheran aber aus, wo die Grenzen der Kleiderordnung liegen. Anstatt des Tschadors, eines großen, meist dunklen Tuchs, gibt es locker um den Kopf geschlungene Schals, dazu knielange Mäntel, unter denen enge Hosen getragen werden. Auch Männer können ins Visier der Sittenwächter geraten, und für Paare ist öffentliches Knutschen natürlich tabu.
Die Gershad-Macher erklären die Motivation hinter ihrem Projekt auf ihrer Webseite so: "Warum werden wir gedemütigt, weil wir tragen, was wir wollen? Die sozialen Netzwerke und Websites sind voller Fotos und Videos von unschuldigen Frauen, die von Ershad-Mitarbeitern geschlagen und zu Boden gestoßen wurden."
Allein im Jahr 2014 hätten die Sittenwächter drei Millionen Verwarnungen ausgesprochen, 200.000 der Verwarnten hätten zudem ein schriftliches Reuegeständnis abgeben müssen und in 18.000 Fällen sei es zu Anklagen gekommen.
"Jeder Download ist ein Protest"
Wie die BBC berichtet, verbreitet sich die Nachricht von der neuen App in iranischen sozialen Medien wie ein Lauffeuer. Manche Nutzer seien jedoch unsicher, was mögliche Konsequenzen angeht. Einer wird mit der Aussage zitiert: "Hoffentlich hat Gershad ein hohes Sicherheitsniveau, sodass niemand die Person aufspüren kann, die eine Ershad-Meldung abgesetzt hat." Auf Twitter erklärte eine Gershad-Nutzerin: "Es ist mir egal, ob die App wirklich funktioniert, aber jeder Download ist ein Protest."
Auch die Verantwortlichen der Internationalen Kampagne für Menschenrechte in Iran berichten von großer Nachfrage nach der Anwendung. Die Gershad-Server seien laut der App-Entwickler stark ausgelastet gewesen. Die plötzliche Popularität ist den iranischen Behörden natürlich nicht verborgen geblieben. Nach noch nicht einmal 24 Stunden sei der Zugang zur App in Iran blockiert worden. Derzeit arbeite das Gershad-Team daran, das Programm wieder online zu bringen.App that Detects Morality Police is Blocked in Iran within 24 Hours of its Debuthttps://t.co/d9RValynNJ pic.twitter.com/ACSMIuDomT
IranHumanRights.org (@ICHRI) 9. Februar 2016