Hochwasser in Bayern Deggendorf kämpft gegen die zähe Brühe
Die Schäden im bayerischen Deggendorf sind gigantisch - auf eine halbe Milliarde Euro schätzen die Behörden im Landkreis die Kosten des Hochwassers. Noch immer steht die braune Brühe der Donau in einigen Gebieten. Bewohner gelangen nur in Booten zu ihren Häusern.
Seit zehn Jahren hat Gerhard Sauer seinen Laden im Deggendorfer Stadtteil Fischerdorf, den Angel-Spezi. Mit einem Schlag ist nun alles weg. Köder, Ausrüstung -"alles Schrott", sagt Sauer. Im Garten stapelt sich der Sperrmüll, er und seine Kollegen haben alles nach draußen geräumt. Nur noch ein kleines Schild baumelt von der Decke, wo früher die Kasse war. Darauf steht: Reparatur.
Ob er alles reparieren kann, weiß Sauer am Sonntag noch nicht. Er hat zumindest angefangen. Seit den frühen Morgenstunden kämpft er gegen den Schlamm, den die Flut zurückgelassen hat. Auf seiner Brille kleben Schlammspritzer, sein weißes T-Shirt ist nass von Wasser und Schweiß. Mit einem Hochdruckschlauch spritzt er Türen, Boden und Wände ab. An manchen Stellen ist der Putz mit heruntergekommen, das Hochwasser hat die Wände mürbe gemacht. Die braune Brühe wirbelt vor seinen Füßen, mit dem Schlauch verjagt er die Reste des Hochwassers aus seinem Haus.
Sauer rechnet mit einem Schaden von 100.000, vielleicht 120.000 Euro. Die Versicherung übernimmt davon nichts, die Fischerdorfer leben im Deichgebiet, da hat man keinen Anspruch. Ob er den Laden wieder aufmacht? Das weiß er noch nicht, darüber kann er sich jetzt keine Gedanken machen. Kopfschütteln, Schweigen, hier geht jetzt alles Schritt für Schritt. Trotzdem sagt Sauer: "Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen."
500 Millionen Euro Schaden
Wenig später gibt das Landratsamt am Sonntag erste Zahlen zu den Schäden im Landkreis Deggendorf heraus - sie sind gigantisch: Die Summe liegt nach ersten Schätzungen bei 500 Millionen Euro. Fast drei Meter ist das Wasser seit Höchststand gesunken. Übrig geblieben ist nur Chaos. Mittags liegt der Pegel der Donau bei 5,40 Meter.
Vor einer Bäckerei im Fischerdorf gießt ein Mann schlammiges Wasser von einem Blech. Brühe statt Brötchen, das wird noch eine Weile so bleiben. Nach der Flut hat sich ein Trümmermeer ausgebreitet. Überall stapelt sich der Müll: Weihnachtsschmuck, Skier, Lampen, Keksdosen, Stereoanlagen, Schreibtischstühle - es sieht aus, als hätten die Häuser ihren gesamten Inhalt in die Vorgärten gespuckt.
Für diejenigen, die noch nicht in ihre Häuser können, ein Vorgeschmack auf die eigene Katastrophe. Sie begreifen langsam: Es ist nicht mehr viel zu retten. Bei vielen liegen die Nerven blank.
Die Sonne scheint, es ist schwül. Seit drei Tagen ist Regen angekündigt, vielleicht kommt er bald. Die Leute sind ungeduldig. Viele Menschen aus den vorsorglich evakuierten Gemeinden im Landkreis durften bereits wieder zurück. Nur im Stadtteil Fischerdorf will das Wasser nicht schnell genug abfließen. Der Großteil ist immer noch fest in der Gewalt der Flut, an manchen Stellen steht das Wasser 1,20 Meter hoch. Nun sollen Spezialmaschinen den Stadtteil trocken legen.
Seelsorger sind im Einsatz
Es geht nur schleppend voran. An einer Bushaltestelle warten die Menschen darauf, mit einem Boot zu ihren Häusern gefahren zu werden. Sie müssen lange Geduld haben, die Wasserwacht muss mit ihren Booten auch die Feuerwehr und THW bei der Arbeit unterstützen.
Wer es auf ein Boot geschafft hat, dem geht es nicht besser. Stumm und mit ausdruckslosen Gesichtern klettern die Bewohner zurück an Land. Langsam wird das Ausmaß der Rekordflut erkennbar, der Schaden ist überwältigend. Manche weinen. Mittlerweile sind Seelsorger vor Ort. Sie helfen den Leuten, das Unverkraftbare zu verkraften. Trösten, dass es nur so zäh vorangeht.
Nichtstun kaum auszuhalten
In Fischerdorf stehen rund 2500 Häuser. Statiker und Elektriker müssen alle einzeln begutachten und freigeben - das Heizöl wird kontrolliert abgepumpt. Zu groß ist die Gefahr, dass es zu einem Kurzschluss kommt.
Helfer dürfen deswegen noch nicht anpacken. Studenten haben über Facebook die Freiwilligen organisiert: Die Hilfsbereitschaft ist immer noch riesig, neben unzähligen Sachspenden haben rund 2500 Leute ihre Unterstützung bei "Deggendorf räumt auf" angeboten. Dass es nur so langsam vorankommt, bremst den Elan der Helfer. Das Nichtstun ist für die Deggendorfer kaum auszuhalten.
Die Rückkehr in ein zerstörtes Zuhause, das ewige Warten, die Ungewissheit - nicht nur deswegen wächst die Anspannung. Zwischendurch galten Personen als vermisst. In allen Fällen stellte sich heraus, dass sie nicht ans Handy gegangen waren. Hin und wieder sieht man ein totes Reh, qualvoll ertrunken. In der Stadt wurden Container für Tierkadaver aufgestellt. Bereits vor einigen Tagen mussten Dutzende Rinder erschossen werden.
Polizei Tag und Nacht auf Patrouille
Offiziell will die Polizei zwar nicht von Plünderungen sprechen. Aber in den vergangenen Tagen gab es Vorfälle und Hinweise darauf. In einem Gymnasium wurde beispielsweise der Computerraum ausgeräumt. Polizei und Wasserwacht fahren Tag und Nacht Patrouille.
Christoph Wolf von der Wasserwacht leitet momentan den Boots-Einsatz in Fischerdorf. Vor drei Tagen war er noch in Passau. Dort, sagt er, sind die Leute die Fluten gewohnt. Sie wissen, das Hochwasser kommt. Die betroffene Fläche in Deggendorf sei jedoch viel größer. Das viele Heizöl, die toten Tiere. "Die Leute hier haben das nicht erwartet."
Wolf ist froh, dass das Wetter halbwegs gut ist. Nicht, weil der Pegel sonst wieder steigen könnte. Sondern weil Regen die Moral weiter drückt.