S.P.O.N. - Helden der Gegenwart Die Wahrheit hinter Sotschis Schrotthotels
Wladimir Putin hat die perfekten Olympischen Spiele geplant. Doch ausgerechnet die Journalisten bekommen die volle Breitseite der Realität zu Gesicht: halbfertige Hotels, in denen braunes Wasser aus den Hähnen tropft. Eine Pleite für den Präsidenten.
Was ist Unvermögen? Einbrecher, die durch den frischen Schnee vom Ort ihres Wirkens nach Hause laufen, Bankräuber, die ihre Geldforderung auf einen an sie adressierten Briefumschlag schreiben. Und ein Gastgeber, der ausgerechnet seine kritischsten Gäste nachlässig behandelt.
Jahrelang hat der russische Staatschef Wladimir Wladimirowitsch Putin an seinen Olympischen Spielen in Sotschi gebastelt. Hat Dörfer ins Nichts der Landkarte gezeichnet, andere ausradiert, Menschen ihr Land, ihre Heimat genommen, sie zwangsenteignet, zwangsumgesiedelt, Widerständler eingesperrt und ist durch die Natur gewütet wie einst Dschingis Khan durch ein Dorf voller Jungfrauen.
Alles hat er so hübsch geplant, damit er auf dem Olymp der Gigantomanie gaaanz oben steht. Dort, wo die Luft dünn ist und nur die Härtesten ohne Sauerstoffmaske und Oberbekleidung auskommen, will er der Einzige sein. Umjubelt von der neidvoll seine Größe anerkennenden Weltgemeinschaft, die ihm in der Folge eine noch größere Rolle im globalen Machtspiel zubilligen soll.
Und nun das!
Die Journalisten aus aller Welt kommen in Hotels unter, die nicht fertig sind. Ausgerechnet die Journalisten! Die Wichtigsten von allen. Nach den Sponsoren. Die, die man auf seine Seite kriegen muss. Immer. Ausgerechnet sie müssen Herbergen beziehen, in denen die Gardinenstangen herunterrauschen, die Türknöpfe abfallen, die Fußböden nicht verlegt sind, die Toiletten nicht in der Lage sind, das Papier zu verarbeiten, das Wasser in der Farbe von Earl Grey Tee aus der Leitung rinnt. In Unterkünften, in denen die Heizkörper auf einer Höhe von 2,50 Metern angebracht sind, Arbeiter in den nicht fertiggestellten Zimmern hausen und Hunde durch die Flure streunen. Die Zimmer sind mitunter vom Staub der Bauarbeiten bedeckt, mancherorts fehlt es noch an Strom und heißem Wasser. Und - das Schlimmste von allem - das Internet ist nicht da. So kann man Sportler unterbringen, aber doch keine Journalisten!
Es ist das Einmaleins der PR: Journalisten müssen glücklich gemacht werden. Gepampert. Umsorgt. Ihnen muss man die Trauben in den Mund hineinlegen.
Ich stelle mir das sehr lustig vor, wie nun ausgerechnet die Leute von den tollen Sendern und Redaktionen wie CNN, "The New York Times", BBC in Sotschi mit ihren Rollkoffern im Staub stehen und fragen, warum im Hotelzimmer kein Glas in den Fenstern ist. Warum nur eines von zehn bestellten Zimmern fertig ist. Wie sie sich aufregen. Fluchen. Und einen armen Hotelier, der vor 20 Jahren noch ein Weißkohlkombinat geleitet hat, fragen, ob er überhaupt wisse, wer sie seien.
Gelandet auf dem Sotschi-Mond
Da fliegen ja nicht unterbezahlte Schreiber nach Sotschi, nein, die Redaktionen haben ihre wichtigen und erfahrenen Reporter nach Sotschi geschickt. Und während es in Teilen Südeuropas, Südamerikas, Afrikas und Asiens völlig üblich ist, das Klopapier in einen Eimer zu werfen statt in die Toilettenschüssel, und man in Osteuropa außerhalb der großen Städte mancherorts Probleme hat, einen Internetzugang zu haben, kennen etwa die US-Amerikaner solche Zustände nicht. Und denken, sie sind auf dem Mond. Auf dem Sotschi-Mond.
Grotesk wird das Ganze, weil der Menschenrechtsverletzer Wladimir Putin die Olympischen Spiele benutzt, sich als sympathischer, weltoffener, freundlicher Staatsmann zu zeigen, der er nicht ist. Dafür braucht er potemkinsche Spiele, die der Weltöffentlichkeit etwas vorführen, das es nicht gibt. Dass es ausgerechnet die Journalisten sind, diejenigen, deren Beruf es ist, das Erlebte in die Welt zu tragen, die einen unfreiwilligen Blick hinter die Fassade bekommen, ist die Ironie der Stunde. Putin, der Prestige-Pleitier.
Das, was die Journalisten in Sotschi an Dilettantismus, an Fehlplanung und Groteskem erleben, worüber sie sich lustig machen und empören, ist ein Witz gegen das, was viele Russen - vor allem die Armen und die in den ländlichen Regionen des Riesenreichs - täglich erleben. Wäre ein nicht gemachter Fußboden ihr Problem, herabfallende Gardinenstangen, sie würden sich als sorgenfrei bezeichnen. Sie müssen mit diesem braunen, ungenießbaren Wasser leben und können nicht einfach eine Flasche Evian aufmachen, um sich das Gesicht zu waschen, wie die Besucher es nun tun. Wahrscheinlich ist die braune Plörre das, was die verwöhnten Berichterstatter und Berichterstatterinnen brauchen, um hinter der potemkinschen Fassade die russische Realität zu sehen.
Für die Menschen in Sotschi sind die Umstände, unter denen die Journalisten untergebracht sind, ein Glück. Für Putin sind sie der PR-Gau, den es unbedingt zu vermeiden galt.