Debatte über Cannabisverbot "Unser Strafrecht muss dringend entrümpelt werden"
Das Cannabisverbot ist "weder intelligent noch zielführend" - sagt der Chef des Bundes der Kriminalbeamten. Ähnlich sieht das der Rechtsprofessor Sebastian Scheerer. Eines seiner Argumente: Rassismus.
SPIEGEL ONLINE: Herr Scheerer, der Bund der Kriminalbeamten fordert eine Legalisierung von Cannabis. Was ist davon zu halten?
Scheerer: Sehr viel - allein schon aus Gründen der Effizienz.
SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?
Scheerer: Die Strafverfolgungsbehörden sollen sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Drogendelikte werden derzeit proaktiv verfolgt, was sehr viele Kräfte bindet: Weil es keine Opfer gibt, sondern nur Händler und Konsumenten, kann die Polizei nicht darauf warten, dass jemand eine Anzeige erstattet. Das zeigt: Unser Strafrecht muss dringend entrümpelt werden, das entlastet dann auch Polizei und Justiz.
SPIEGEL ONLINE: Sollte es in dieser Debatte nicht um mehr gehen als um die Arbeitsbelastung von Polizisten und Richtern?
Scheerer: Natürlich, es geht auch um Grundsätzliches. Das Strafrecht sollte nur bei Fremdschädigung greifen - und nicht, wenn sich jemand selbst Schaden zufügt. Außerdem muss man das Cannabisverbot auch historisch betrachten. Die Verbotsgeschichte ist ja bei keiner der heute illegalen Drogen ganz frei von rassistischen Aspekten.
SPIEGEL ONLINE: Was hat denn Rassismus damit zu tun?
Scheerer: Alle heute verbotenen Drogen wurden irgendwann mal illegalisiert, weil die Mehrheitsbevölkerung beunruhigt war über die Sitten einer ethnischen, kulturellen oder religiösen Minderheit. Im Fall von Cannabis lässt sich das auf entsprechende Konflikte in Südafrika, Ägypten und dann auch in den Südstaaten der USA zurückführen, wo von Anfang an auch Ressentiments gegen mexikanische Einwanderer eine Rolle spielten.
SPIEGEL ONLINE: Es lässt sich aber doch kaum bestreiten, dass Drogen wie Cannabis ein Gesundheitsrisiko darstellen.
Scheerer: Völlig richtig. Jugendliche oder Menschen mit einer Tendenz zu bestimmten psychischen Erkrankungen sollten möglichst die Finger davon lassen. Aber Risiken gibt es bei allen Genussmitteln. Das ist keine Frage des Strafrechts, sondern der Gesundheitspolitik, der Erziehung und der Aufklärung.
SPIEGEL ONLINE: Wie könnte das im Fall von Cannabis aussehen?
Scheerer: Zum Beispiel so, wie es bei Zigaretten seit Jahren funktioniert: ganz ohne Strafrecht. Nehmen wir den Fall von Zigarettenrauchen in Kalifornien. 1965 rauchte da jeder zweite Erwachsene. 2015 waren gerade mal noch 11,7% der Erwachsenen dort Raucher - und sie rauchten auch lange nicht mehr so stark wie ihre Vorfahren vor 50 Jahren.
SPIEGEL ONLINE: Wie kam es dazu?
Scheerer: Das Geheimnis des Erfolgs war die Kombination von kleinen Erschwernissen wie ortsbezogenen Rauchverboten und Preiserhöhungen mit einer ehrlichen Aufklärung und Therapieangeboten unter Wahrung der Würde der Betroffenen. Wenn man so mit Cannabisrauchern umgeht, kommt man auch da weiter. Alles andere führt zu Reaktanz - man raucht dann auch aus Protest gegen die unfaire Behandlung. Deshalb sollten Cannabisraucher trotz der Gesundheitsrisiken nicht kriminalisiert werden - ebenso wenig wie alle anderen Drogenkonsumenten.
SPIEGEL ONLINE: Selbst dann nicht, wenn es zu ihrem Besten ist?
Scheerer: Ja. Wenn Menschen eine gesundheitsgefährdende Substanz zu sich nehmen wollen, müssen sie das dürfen. Darin unterscheidet sich ein freiheitlicher Rechtsstaat von anderen Systemen: Erwachsene haben selbst die Verantwortung für ihre Freizeitvergnügen, auch für riskante Aktivitäten. Erst wenn es um unerträgliche Schädigungen Dritter geht, kommt das Strafrecht ins Spiel. Bis dahin gibt es eine ganze Reihe anderer, fein abgestufter Interventions- und Steuerungsmöglichkeiten.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung. Der Bund der Kriminalbeamten fordert, zumindest für Autofahrer das Cannabisverbot aufrechtzuerhalten.
Scheerer: Ja, Cannabis zu legalisieren bedeutet ja nicht, es überall zu tolerieren. Alkohol ist ja auch legal, trotzdem darf ich nicht besoffen Auto fahren.
SPIEGEL ONLINE: Kann man Alkohol und andere Drogen so direkt miteinander vergleichen?
Scheerer: Aus rechtswissenschaftlicher Sicht: natürlich. Das ist eine prinzipielle Frage, deshalb plädiere ich auch für die Legalisierung sämtlicher Drogen, also auch Kokain oder LSD. Die Droge, die man nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verbieten könnte, kenne ich nicht. Alles andere sind gesundheitspolitische Fragen.
SPIEGEL ONLINE: Wäre es nicht fragwürdig, wenn Schwarzfahrer ins Gefängnis müssten, der Konsum von Heroin aber völlig legal wäre?
Scheerer: Ich würde das nicht miteinander vergleichen - obwohl auch die Kriminalisierung von Schwarzfahrern absurde Züge trägt. Denkbar wäre, beide Straftaten in Ordnungswidrigkeiten umzuwandeln. In Portugal zum Beispiel funktioniert das im Fall von Cannabis ganz gut. Aber da, wo der Konsum legal ist, funktioniert es noch besser.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?
Scheerer: In Uruguay kann jedermann bis zu 40 Gramm Cannabis pro Monat in der Apotheke kaufen - vier verschiedene Sorten, fünf Gramm gibt's für ein paar Euro. Und gleichzeitig sieht man in anderen Ländern in Süd- und Mittelamerika, wohin die Kriminalisierung führen kann: Da geraten ganze Staaten wegen des Kriegs gegen die Drogen ins Wanken. Das wäre sicher anders, wenn es diese Verbote nicht gäbe.