Türkische Medien im NSU-Prozess Verfassungsbeschwerde hätte Chance auf Erfolg
Das Gericht in München stellt sich stur, will nachträglich keine türkischen Medien beim NSU-Prozess zulassen. Jetzt hat eine türkische Zeitung eine Verfassungsbeschwerde angekündigt. Ihre Chancen stehen nicht schlecht.
Die Situation im Streit um die Zulassung türkischer Medienvertreter zum Münchner NSU-Prozess ist festgefahren: auf der einen Seite das Oberlandesgericht München, das sich auf eine Vergabepraxis der Presseplätze festgelegt hat, auf der anderen Seite empörte Politiker, Vertreter der türkischen Gemeinde, Prozessbeteiligte, Juristen, Journalisten. Der Ruf nach einer Änderung der Sitzvergabe wird täglich lauter.
Doch der 6. Strafsenat des OLG München und sein Vorsitzender Manfred Götzl bleiben standhaft wider alle Bitten und alle Vernunft: Die Plätze wurden nach Eingang der Anmeldungen vergeben, wer zuerst kam, mahlt zuerst und dabei soll es bleiben. Inzwischen will sich das OLG München nicht einmal mehr zu dem Vorgang äußern.
Doch ein neuer Zug der Gerichtsgegner eröffnet eine realistische Chance, dass türkische Medien doch noch an dem Verfahren teilnehmen können: Die türkische Zeitung "Sabah" wird nach Angaben ihres Anwalts Ralf Höcker Anfang kommender Woche Verfassungsbeschwerde gegen ihren Ausschluss einlegen. Und dieses Vorgehen ist keineswegs aussichtslos, im Gegenteil.
Schon in der Vergangenheit haben betroffene Medien - meist Rundfunkanstalten - immer wieder erfolgreich ihr Recht auf Berichterstattung über Gerichtsverfahren direkt beim Bundesverfassungsgericht eingeklagt.
Verfassungsgericht einzige Instanz
So verlangte das Verfassungsgericht schon im Jahr 1992, bezüglich des Prozesses gegen den ehemaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker vor dem Landgericht Berlin, dass ein Fernsehteam vor dem Beginn und nach dem Ende der Verhandlung "in angemessenem zeitlichen Umfang" filmen darf, und andere Teams dann auf diese Bilder zurückgreifen können. Dies war der Beginn der sogenannten Pool-Lösung, die heute gang und gäbe ist.
Dabei ist es an sich ungewöhnlich, dass sich Betroffene unmittelbar ans Bundesverfassungsgericht wenden können, ohne vorherige Instanzen bemühen zu müssen. Doch gegen sogenannte Sitzungsverfügungen eines Gerichts gibt es keine anderen Rechtsmittel - damit kann nach dem Grundgesetz Rechtsschutz direkt beim Bundesverfassungsgericht gesucht werden kann.
Türkische Medien können sich auf Pressefreiheit berufen
Außerdem, auch das eine Besonderheit solcher Verfahren, geht es meistens um Eilentscheidungen - und dabei gelten eigene Regeln: Wenn tatsächlich eine Grundrechtsverletzung in Betracht kommt, entscheidet das Verfassungsgericht zunächst nicht die eigentliche Rechtsfrage, sondern trifft eine sogenannte Folgenabwägung. Es prüft also, was schlimmer wäre: wenn der Antragsteller abgewiesen würde, und später dann doch recht bekäme. Oder wenn sein Anliegen zunächst befriedigt würde, sich dann aber später herausstellt, dass dies zu Unrecht geschah.
Auch türkische Medien können sich in Deutschland auf die Pressefreiheit berufen - Artikel 5 des Grundgesetzes ist ein sogenanntes Jedermann-Grundrecht. Dass ein Journalist den Gerichtssaal wegen Überfüllung nicht betreten kann, ist zwar für sich genommen, wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach entschieden hat, kein Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit. Auch die Regeln, nach denen Journalisten Zugang gewährt wird, liegen im Ermessen des Gerichts.
Dennoch könnten türkische Journalisten nun mindestens zwei Dinge geltend machen.
- Das vom OLG München gewählte Verfahren benachteiligt ausländische Medien: Da sie naturgemäß einer nur auf Deutsch veröffentlichten, reichlich komplizierten (und darüber hinaus stellenweise sogar irreführenden) Aufforderung zur Akkreditierung nicht so schnell Folge leisten konnten wie deutschsprachige Medien.
- Das OLG hätte von vornherein ein Verfahren wählen müssen, das sicherstellt, dass türkische Medien bei der Platzvergabe nicht völlig leer ausgehen.
So hat etwa das Landgericht Mannheim im Verfahren gegen den Schweizer Wettermoderator Jörg Kachelmann zehn Plätze für Schweizer Journalisten reserviert. Und das Verfassungsgericht hat bereits in einer Entscheidung zu einem der Hamburger Qaida-Verfahren darauf hingewiesen (wo die ausländische Presse ebenfalls ein eigenes Kontingent bekommen hatte), dass es Fälle geben könnte, in denen "eine Differenzierung zwischen verschiedenen Typen der Medien oder verschiedenen Medienunternehmen verfassungsrechtlich zulässig und zugleich geboten ist".
Videoübertragung ist denkbar
Bei der Folgenabwägung, die damit zu treffen wäre, spricht vieles für die türkischen Medien: Ohne technische (und vermutlich auch rechtliche) Probleme könnte der Senat etwa einige Sitzplätze im normalen Zuschauerraum nun gesondert an türkische Medien vergeben (entweder nach dem Eingang ihrer bisherigen Akkreditierungsschreiben oder per Los). Auch dass der Senat auf die Angebote deutscher Journalisten eingeht, ihre Plätze türkischen Kollegen zu überlassen, wäre ohne weiteres denkbar. Die Regel, nach der das nicht gehen soll, hat der Senat selbst aufgestellt; aus sachlichen Gründen wird er sie wohl ändern dürfen.
Auch die Ton- und Videoübertragung der Verhandlung in einen zweiten Sitzungssaal ist denkbar - auch wenn das OLG das bislang abgelehnt hat; möglicherweise wollen türkische Journalisten sich damit aber gar nicht zufrieden geben, sondern unmittelbar im Sitzungssaal der Verhandlung folgen.
Hochrangige Richter haben den möglichen Beschwerdeführern bereits Hoffnung gemacht: Der ehemalige, für Medienrecht zuständige Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem hat unlängst in den "Tagesthemen" darauf hingewiesen, dass es hier wegen der überwiegend türkischen Opfer der Mord- und Anschlagsserie "ein spezifisches Interesse der türkischen Medien" gebe, dem das gewählte "Windhund-Verfahren" nicht gerecht würde.
Wenn eine Zulassung türkischer Journalisten allerdings nur um den Preis zu bekommen wäre, dass das Verfahren nicht, wie geplant, am 17. April beginnen kann, wäre das eine schwere Hypothek. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Verfassungsrichter dies in Kauf nähmen.
Sollten sie jedoch eine Eilentscheidung treffen können, die sich rechtzeitig umsetzen ließe, spricht vieles dafür, dass türkische Journalisten doch noch ab Prozessbeginn das Verfahren gegen Beate Zschäpe und die mit ihr angeklagten mutmaßlichen Unterstützer des NSU verfolgen können.