Massenprotest gegen Mursi in Kairo Muslimbrüder gehen auf Konfrontationskurs
Ägyptens Präsident steht unter Druck: Hunderttausende protestierten auf Kairos Tahrir-Platz gegen Mohammed Mursi. Doch der will seine umstrittenen Dekrete nicht zurücknehmen. Seine islamistischen Muslimbrüder kündigen stattdessen noch größere eigene Demonstrationen an.
Es dauerte nicht lange, und auf dem Tahrir-Platz war kaum ein Durchkommen mehr. Aus allen Ecken schoben sich die Menschen auf den Platz im Herzen Kairos. Hunderttausende folgten dem Demonstrationsaufruf gegen die Dekrete von Ägyptens Präsident Mohammed Mursi, mit denen er sich für unangreifbar vor Gericht erklärte und die umstrittene Verfassungskommission unanfechtbar machte.
Innerhalb von nur fünf Monaten Amtszeit hat es Mursi damit geschafft, den Tahrir-Platz wieder zu füllen - diesmal richtet sich der Widerstand nicht gegen Husni Mubarak, sondern gegen ihn. Lehrer, Anwälte, Professoren mischten sich unter die Protestierenden. Viele waren seit dem Sturz von Mubarak im Februar 2011 nicht mehr auf dem Tahrir-Platz gewesen.
Ein Mann trug eine Zeichnung eines Sofas als Poster herum, darauf stand: "Ana Hisb al Kanabe" - ich bin die Sofa-Partei, die Partei der Couch-Potatoes, die schweigende Mehrheit. "Aber Mursi bringt mich auf die Straße!"
Ägypten ist nun tief gespalten. Groß ist die Angst der Opposition, dass die Muslimbruderschaft dabei ist, eine neue Diktatur aufzubauen. Die Stimmung und die Slogans vom Dienstagabend erinnerten an die Revolution. Die Wut gegen die Muslimbruderschaft ist groß. "Nieder mit dem Regime des religiösen Führers", "mit den Muslimbrüdern hat man keine Ruhe", zitieren sie eine Aussage des bekanntesten Ex-Machthaber Ägyptens, Gamal Abdel Nasser. "'Hau ab' heißt geh - oder verstehst du das nicht, Mursi?"
Mursi muss nun antworten. Entweder er nimmt seine Dekrete zurück, oder er mobilisiert seine eigene Anhängerschaft zur Gegendemonstration. Es sieht derzeit eher unwahrscheinlich aus, dass der Präsident sich für einen Rückzieher entscheidet. Mursi hat viel politisches Kapital in die Dekrete investiert. Nimmt er sie nun zurück, ist klar, dass als Nächstes die verfassungsgebende Kommission in Frage gestellt wird, in der die Islamisten klar dominieren.
Die Muslimbruderschaft scheint daher eher auf Konfrontation setzen zu wollen. "Die Opposition denkt, die Bedeutung vom Dienstag liegt in der Zahl der Protestierenden - 200.000 bis 300.000. Die sollte sich auf Millionen gefasst machen, die für den neuen Präsidenten auf die Straße gehen werden!", twitterte sie. Noch wurde kein neuer Termin für ihre Demonstration angesetzt, die ursprünglich ebenfalls für den Dienstag geplant worden war.
Mursi-Gegner setzen Parteizentralen in Brand
Die Muslimbrüder halten daran fest, dass Mursi zwar knapp gewählt, aber eben doch gewählt wurde. Auch die verfassungsgebende Kommission, in der Islamisten die Macht haben, gebe die Verhältnisse im gewählten Parlament wieder, das inzwischen teilweise von einem Gericht wieder aufgelöst wurde. Von Verhandeln und Zugeständnissen scheinen beide Seiten wenig zu halten.
Essam al-Erian, Vize-Chef der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), des politischen Arms der Muslimbruderschaft, stellte am Mittwochmorgen in einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira erneut klar, dass die Dekrete nicht aufgehoben würden. Er betonte wie schon zuvor Mursi, dass die autoritären Vollmachten des Präsidenten nur vorübergehend gelten würden - zwölf Wochen bis zur Präsentation der neuen Verfassung, die dann in einen Referendum verabschiedet werden soll.
Diese Beteuerungen sind der Opposition jedoch zu wenig - zumal sich ihre Vertreter inzwischen nach und nach aus der verfassungsgebenden Versammlung verabschiedet haben und die Verfassung nun ohne sie geschrieben wird.
Die Sorge ist daher groß, dass Ägypten auf eine neue Phase der Gewalt und Ausschreitungen zusteuert. Mohammed, ein junger Mann auf dem Tahrir-Platz, zeigte am Dienstag anklagend auf sein blaues, zugeschwollenes rechtes Auge. "In Mansura, wo ich herkomme, haben wir uns mit den Mursi-Unterstützern schon diese Woche Kämpfe geliefert."
"Es ist unklar, was der Ausweg aus dieser Blockade ist", sagt Hischam Kassem, ein politischer Analyst, der ebenfalls am Dienstag auf dem Tahrir-Platz demonstrierte. "Wenn Mursi nicht Kompromisse eingeht, könnte es zu einem Bürgerkrieg führen. Diese Angst geht um", sagt er.
Am Dienstagabend stürmten Mursi-Gegner die Parteizentralen der Muslimbruderschaft in Mansura und Alexandria und steckten sie in Brand. In Mahalla gab es bei Straßenschlachten zwischen Mursi-Gegnern und Unterstützern Hunderte Verletzte.