Britisches Verhandlungschaos Aus der Traum
Theresa Mays Irland-Debakel zeigt auf brutale Art, warum die Brexit-Verhandlungen zu scheitern drohen: Die britische Regierung weiß noch immer nicht, dass sie nicht alles haben kann - oder sie ist zu mutlos, es dem Volk zu sagen.
Wären die potenziellen Folgen nicht so tragisch, könnte man die Ironie fast amüsant finden: Das mächtige Großbritannien, das so gern auf das kleine Irland herabsieht, wird von eben diesem Irland gerade vorgeführt - weil es die Unterstützung der EU hat. Jener EU, die Großbritannien gerade verlässt.
Die Iren zwingen die Briten gerade, endlich einzusehen, was der Brexit ist: kein Weg zurück in ruhmreiche Zeiten, kein Lottogewinn für das Gesundheitssystem, sondern eine Serie harter Entscheidungen.
Die Briten werden nun sehr schnell herausfinden müssen, was sie wollen. Wollen sie die volle Kontrolle über die Einwanderung zurück, obwohl das den Exodus zahlreicher EU-Arbeitskräfte aus dem Gesundheitssystem und den Forschungsinstituten bedeuten würde? Wollen sie die EU-Regeln loswerden, auch wenn sie damit den freien Zugang zum EU-Binnenmarkt verlieren und die britische Wirtschaft schädigen? Wollen sie die Freiheit, ihre eigenen Zölle festzulegen, auch wenn sie dadurch aus der Zollunion austreten und der irischen Insel die Rückkehr einer harten Grenze zumuten?
Die Regionalpartei DUP düpiert Premierministerin May
Diese Fragen sind offenbar so schwierig, dass die britische Regierung es bisher schlicht ablehnte, ihre Existenz anzuerkennen. Stattdessen übernahm sie das Kernversprechen der verlogenen Pro-Brexit-Kampagne: Großbritannien ist so groß, dass es alles haben kann.
An Irland zerschellt dieses Versprechen nun. May wollte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zusagen, dass es zwischen Nordirland und der Republik Irland nach dem Brexit "regulatorische Übereinstimmung" geben werde. Das konnte im Grunde nur bedeuten, dass Nordirland einen Sonderstatus erhalten und praktisch in der Zollunion bleiben sollte. Die Rückkehr einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland wäre damit vom Tisch; London könnte mit Brüssel endlich über ein Handelsabkommen reden.
Für die nordirische Unionistenpartei DUP aber ist das pure Blasphemie - denn sie vermutet dahinter einen Schritt zur Wiedervereinigung Irlands. Mitten in Theresa Mays Verhandlungen mit Juncker - und offenbar nur Minuten vor ihrem erfolgreichen Abschluss - intervenierte die DUP. May eilte gedemütigt und unverrichteter Dinge nach London zurück, um die DUP zu besänftigen, die Mays Minderheitsregierung duldet. Die Welt wurde Zeuge, wie eine Regionalpartei mit zehn Abgeordneten Großbritanniens Premierministerin im entscheidenden Moment der vielleicht wichtigsten Verhandlungen ihres Lebens mal eben so zurückpfiff.
Und May gehorchte.
Irland droht mit seinem Veto
Ein Herauslavieren mit vagen Formulierungen ist für sie nun nicht mehr möglich. Wenn überhaupt, werden sich die Fronten noch verhärten. Die irische Regierung hat mit einem Veto gedroht, sollte London nicht vor Beginn der zweiten Phase zusichern, dass es keine harte Grenze gibt. Der simple Grund: Hat die zweite Phase erst begonnen, haben die Iren kein Veto mehr - und sie vertrauen den Briten nicht. Die Episode mit der DUP zeigt nun, dass Dublin damit Recht hat. Denn offensichtlich haben die Unionisten die May-Regierung fest in der Hand.
Brexit-Minister David Davis aber tut so, als gäbe es die irische Vetodrohung gar nicht. Die Frage einer "reibungslosen Grenze" sollte man erst in der zweiten Phase der Verhandlungen besprechen, schlug Davis vor. Außerdem erklärte er am Dienstag:
- "Alles, was wir für Nordirland vereinbaren, wird für das gesamte Land gelten." Was hieße: Nordirland verlässt gemeinsam mit dem restlichen Königreich den EU-Binnenmarkt und die Zollunion. Zugleich aber bleibe die "absolute Bewegungsfreiheit zwischen Irland und Großbritannien" erhalten. Gesetzlich dürfte das unmöglich sein.
- "Regulatorische Übereinstimmung" könne man auch haben, wenn Großbritannien Binnenmarkt und Zollunion verlasse. In Brüssel hält man das für absurd.
- Man werde die Reisefreiheit zwischen Irland und Großbritannien - das seit 1923 bestehende "Common Travel Area" - erhalten. Zugleich aber soll die Zuwanderung aus der EU stark begrenzt werden - schließlich war das eines der zentralen Versprechen der Brexiteers. Dass Irland EU-Mitglied ist, scheint Davis kurzzeitig entfallen zu sein.
Dass Davis das am Tag nach Mays Nordirland-Debakel sagt, lässt für die Verhandlungen mit Brüssel nichts Gutes ahnen. Denn sollten er und seine Kabinettskollegen dem Volk endlich die Wahrheit über die Entscheidungen sagen, die der Brexit wirklich mit sich bringt, würde es am Ende womöglich noch seine Meinung ändern. Für viele Pro-Brexit-Politiker wäre das vermutlich noch schlimmer als eine geteilte irische Insel.
Brexit-Verhandlungen: Großbritannien und EU verfehlen Einigung