Medien im Irak-Krieg Die Wahrheit starb zuerst
Mit der Irak-Invasion wurden viele amerikanische Journalisten zu unkritischen Kriegstrommlern. Das beschleunigte den Niedergang der US-Medien. Der Krieg verhalf Online-Medien und Bloggern zum Durchbruch - etablierte Marken verlieren seither an Wirtschaftskraft und Einfluss.
Vor kurzem war ein großer Tag für Mitglieder des White House Press Corps: Sie durften ihren Präsidenten sprechen. Barack Obama spazierte in die Pressekabine der Air Force One und plauderte mit den Journalisten, ganze zehn Minuten lang. Dass jene Reporter, die den mächtigsten Mann der Welt tagtäglich kritisch begleiten sollen, ihn zum Anfassen nah erleben, machte umgehend Schlagzeilen, weil es so ungewöhnlich geworden ist. Medienliebling Obama hält die Medien sonst gerne auf Abstand.
Es ist bloß ein Zufall, dass diese kuriosen Schlagzeilen kurz vor dem zehnten Jahrestag der Irak-Invasion zu lesen waren. Doch sie unterstreichen den Bedeutungsverlust der einst so stolzen amerikanischen Journalisten, die sich zu Recht als die besten Aufklärer der Welt sahen - und dieser Niedergang hat mit dem Irak-Jahrestag eine Menge zu tun. "Für die schlechte Stellung der US-Medien gibt es viele Gründe, aber ihr Versagen im Jahr 2003 ist ganz sicher einer davon", sagt Howard Kurtz, Gastgeber einer Medien-Talkshow bei CNN.
Denn Amerikas Bürger haben ihren Reportern nie recht verziehen, wie sehr diese damals das Nachfragen verlernt hatten. George W. Bush schüchterte mit seiner markigen Doktrin "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" in der Anfangsphase des Krieges gegen den Terror auch Journalisten ein.
Angebliche Belege für Massenvernichtungswaffen im Irak
Judith Miller, Starreporterin der "New York Times", veröffentlichte Bericht um Bericht über angebliche Belege für Massenvernichtungswaffen im Irak. Zwischen August 2002 und dem Kriegsbeginn am 19. März 2003 platzierte die "Washington Post" auf ihrer Titelseite nicht weniger als 140 Artikel mit Argumenten der Bush-Regierung für einen Einmarsch im Zweistromland. Nach dem berüchtigten Auftritt von Außenminister Colin Powell vor den Vereinten Nationen schrieb "Post"-Kolumnist Richard Cohen, nur Scharlatane - oder Franzosen - könnten nun noch an den Beweisen für die Bedrohung durch den Irak zweifeln. Die wenigen Autoren, die dies dennoch wagten, wurden auf hintere Seiten verbannt.
Derlei Kriegstrommelei, für die sich US-Leitmedien wie die "New York Times" öffentlich entschuldigen mussten, erschütterte das Ansehen eines ganzen Berufsstands.
Es kam mit dem Irak-Krieg aber noch etwas hinzu: Der Krieg als mediales Großereignis verhalf den Online-Medien und der Bloggerszene zum Durchbruch. Gleichsam über Nacht wurden sie zu einer neuen, von vielen Lesern bevorzugten Informationsquelle. Auch neue Technologien wie Smartphones haben den Journalismus in den vergangenen zehn Jahren rasant verändert. Die großen etablierten Marken durchleiden eine Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs - zugleich nimmt ihre publizistische Bedeutung ab.
Die einflussreichsten Journalisten Washingtons sind heute nicht mehr nur gestandene Rechercheure oder Kolumnisten der großen Blätter. Es sind auch Blogger und (zum Teil leider auch) atemlose Online-Berichterstatter. Neue Webseiten wie Politico oder Huffington Post produzieren im Minutentakt meinungsstarke Texte. Wie viele Follower ein Top-Journalist auf Twitter vorweisen kann, ist in den USA häufig wichtiger geworden, als die Zahl seiner exklusiven Enthüllungen.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass diese neuen Größen genauer nachfragen würden, sollte das Weiße Haus etwa einen Schlag gegen Teherans Atomprogramm planen. Und leider ist wahrscheinlich, dass den meisten Medien dafür ohnehin die Ressourcen fehlten.
Für sorgfältige Analyse fehlt vielen Reportern die Zeit
Denn deren Schrumpfkur geht ungehindert weiter, weit schneller noch als in Europa: "Newsweek", das einst den Lewinsky-Skandal enthüllte, existiert nur noch als Online-Ausgabe. "Time" steht vor einer Umstrukturierung. Die "Washington Post", verantwortlich für die Aufklärung des Watergate-Skandals, schreibt Millionenverluste. Die "New York Times" musste Teile des schicken neuen Redaktionsgebäudes, das sie sich gebaut hatte, aus Geldmangel wieder verkaufen. Die Online-Ausgabe des renommierten "Atlantic Monthly", 1857 gegründet, erregte gerade Aufsehen, weil es einem Journalisten für einen Text ein Honorar von null Dollar anbot.
Viele amerikanische TV-Sender haben ihre Auslandsberichterstattung so gut wie eingestellt. NBC, einer der drei größten US-Kanäle, widmete laut einer Studie den Kämpfen in Afghanistan im Schnitt rund zwei Minuten pro Woche. Das war immerhin etwa doppelt so lang, wie den Fernsehnachrichten in den vergangenen Jahren der Irak-Krieg wert war.
Für sorgfältige Analyse fehlt vielen Reportern schlicht die Zeit. Ein typischer White-House-Korrespondent wie Chuck Todd von NBC muss neben seinem Tagesjob twittern, er muss bloggen, er muss seine tägliche einstündige TV-Show moderieren, in der es auch noch die Tagessuppe in der Cafeteria des Weißen Hauses zu enthüllen gilt. So etwas gilt heutzutage als Exklusivnachricht. "Wir sind alle überlastet", sagt Todd.
Selbst der Air-Force-One-Triumph war nur von kurzer Dauer. Obama sprach zwar mit den Journalisten. Aber für den Fall, dass sie aus dem Gespräch zitieren wollten, hatte das Weiße Haus vorgesorgt: Die Konversation war natürlich "off the record".